# taz.de -- Vor Beginn der Klimakonferenz in Bonn: Zügig zum Klimaschutz | |
> 25.000 demonstrierten in Bonn für den Kohleausstieg. Und 200 kamen mit | |
> der Umweltministerin per Sonderzug zur Klimakonferenz. | |
Bild: Nichts ist so dringlich wie der Klimaschutz – Demoteilnehmerin am Samst… | |
BONN taz | „Unser Volk hatte nie ein Konzept von arm und reich“, sagt Tafue | |
Lusama. „wir waren alle arm. Aber mit Fischen und Landwirtschaft konnten | |
wir gut leben. Jetzt brauchen die Menschen plötzlich Geld, weil die Felder | |
versalzen und die Korallen ausbleichen.“ Draußen huscht die sonnige | |
deutsche Herbstlandschaft am ICE vorbei. Lusama kommt aus dem Pazifikstaat | |
Tuvalu. Jetzt sitzt er im „Train to Bonn“, dem Sonderzug von | |
Bundesumweltministerium und Deutscher Bahn zur Klimakonferenz. Tuvalus | |
Nachbarn aus Fidschi sind Gastgeber der Konferenz. Mit ihnen wird der | |
abstrakte Klimawandel plötzlich sehr konkret: verdorbene Felder, steigende | |
Meere, hilflose Regierungen. Spricht man mit Lusama, wird deutlich: Es geht | |
immer wieder um arm und reich. | |
„Die Experten geben meinem Land noch 50 Jahre“, sagt Lusama und blickt aus | |
dem Zugfenster. Tuvalu hat 12.000 Staatsbürger, manche Kleinstädte da | |
draußen an der Bahnstrecke haben mehr. Noch gibt es keine Pläne der | |
Regierung für eine Umsiedlung, sagt Lusama, Generalsekretär der | |
evangelischen Kirche in der Hauptstadt Funafuti. Aber in Fidschi wurden | |
2014 die ersten 30 Haushalte auf höheres Land umgesiedelt. Das kostete | |
300.000 Dollar und zerstörte die traditionelle Siedlungs- und Lebensmuster. | |
Und die Einwohner mussten den Umzug, den höheres Wasser erzwungen hat, | |
selbst bezahlen. Die Armen baden im Klimawandel aus, was die Reichen | |
anrichten. | |
Mit diesen konkreten Problemen soll sich die 23. Klimakonferenz in Bonn | |
befassen, die am Montag beginnt. Auf dem Weg dahin ist die deutsche | |
Delegation unterwegs, an Bord des Zuges sind neben Umweltministerin Barbara | |
Hendricks (SPD) und ihrem Ministerium auch Vertreter der Industrie, der | |
Wissenschaft und der Medien. Bahnchef Richard Lutz nutzt im offiziellen | |
Programm die Gelegenheit, die Öko-Anstrengungen der Bahn zu preisen, BMW | |
stellt sich den Fragen zum Verkehr, die Münchner Rückversicherung | |
präsentiert mit dem Entwicklungsministerium Versicherungsmodelle für | |
bedrohte Staaten. Sie wollen von oben Druck machen, damit sich die COP | |
diesen Problemen annimmt. | |
## Eine rote Linie quer über das Gesicht | |
Von unten ist der Druck schon da. Während der Zug fährt, sammeln sich in | |
Bonn bereits Menschen, um für die „größte Klimademo, die es je in | |
Deutschland gab“, auf die Straße zu gehen, wie Ann-Kathrin Schneider vom | |
BUND sagt. Mehr als 100 Klima-, Umweltschutz- und | |
Bürgerrechtsorganisationen hatten unter dem Motto „Klima schützen, Kohle | |
stoppen“ dazu aufgerufen, rund 25.000 Menschen sind nach Angaben der | |
Veranstalter gekommen. Die Polizei will keine Zahlen nennen und beschränkt | |
sich auf die Mitteilung, dass es deutlich mehr als die angemeldeten 10.000 | |
TeilnehmerInnen geworden sind. | |
Dazu trugen wohl nicht nur strahlender Sonnenschein und der Beginn der COP | |
bei, sondern auch die Tatsache, dass die Sondierungsgespräche nach der | |
Bundestagswahl gerade in die entscheidende Phase gehen. Der Münsterplatz in | |
der Bonner Innenstadt war zu klein, um die TeilnehmerInnen der | |
Auftaktveranstaltung überhaupt zu fassen, die mit Transparenten, bunten | |
Luftballons und Trommeln Stimmung machten. Die Botschaft der Demo war klar: | |
„End Coal!“, skandierten tausende Menschen. Das Rheinische | |
Braunkohlerevier, dessen Kraftwerke allein für mehr als zehn Prozent der | |
deutschen CO2-Emmissionen verantwortlich sind, liegt nur etwa 50 Kilometer | |
vor Bonn. | |
Vor allem die Grünen, machten die TeilnehmerInnen der Demo klar, stehen | |
momentan stark unter Druck: „Ich will mit meiner Teilnahme an der Demo | |
darauf drängen, dass die Grünen ihre Haltelinie beibehalten, den | |
Braunkohleausstieg“, sagte Sabeth Häublein, die extra aus Freiburg | |
angereist war. Manche TeilnehmerInnen hatten sich ihre rote Linie einmal | |
quer über ihr Gesicht gezeichnet. Auch Eberhard Heindl aus Mettmann, der | |
mit seiner Frau und zwei Kindern bei der Demo mitlief, sagte: „Wir wollen, | |
dass vor allem die Grünen mutiger in die Koalitionsverhandlungen gehen.“ Um | |
die Parteien auf den richtigen Weg zu bringen, brauche es Druck aus der | |
Bevölkerung. „Und wenn wir weiter in Frieden leben wollen, müssen wir den | |
Klimawandel stoppen.“ | |
## „Es bringt nichts, Schuldige zu suchen“ | |
„Der politische Wille fehlt eben überall“, sagt Tafue Lusuma im „Train to | |
Bonn“. Er ist auf Einladung der evangelischen Hilfsorganisation Brot für | |
die Welt in Deutschland und weiß sehr wohl, dass die möglichen | |
Regierungsparteien über den Kohleausstieg streiten. „Wir müssen das Pariser | |
Abkommen umsetzen, aber das ist nicht genug“, sagt der Mann von den | |
bedrohten Inseln. „Wir müssen aber auch optimistisch bleiben. Ein Ziel von | |
100 Prozent erneuerbarer Energie wäre schon ein starkes Symbol.“ Hat er ein | |
Problem damit, die Klimatäter in den Industriestaaten zu besuchen? „Es | |
bringt nichts, Schuldige zu suchen“, sagt der Kirchenmann. „Aber wir haben | |
die Chance, hier zu erzählen, welche Folgen euer CO2-Ausstoß hier bei uns | |
hat.“ | |
Die TeilnehmerInnen der Demo jedenfalls sind auf seiner Seite: „Bis | |
spätestens 2030 muss Schluss sein mit dem ganzen Dreck“, sagt | |
Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz, einer der Organisatoren, auf der | |
Bühne. „Nur dann werden wir das Klimaziel der Bundesregierung von 40 | |
Prozent weniger CO2 bis 2020 erreichen.“ Und nur dann werde Deutschland | |
andere Staaten davon überzeugen können, welches Potenzial die Energiewende | |
habe, so Bautz. „Energiewende heißt beides: Sonne und Wind anschalten – und | |
Kohle abschalten.“ | |
Die Zeit drängt. Der Sonderzug der Ministerin zumindest war überpünktlich | |
und kam 15 Minuten zu früh am neu eröffneten Bahnhof „UN Campus“ in Bonn | |
an. Vor zwei Jahren, beim Sonderzug zur COP in Paris, hatten radikale | |
Klimaschützer Hendricks und ihr Gefolge durch eine waghalsige Kletteraktion | |
zwei Stunden in Frankfurt aufgehalten. Diesmal hatte die Polizei den | |
einzigen Zwischenstopp in Hannover weiträumig abgeschirmt. | |
4 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
Bernhard Pötter | |
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