# taz.de -- Klimaflüchtling über Flut und Dürre: „Das Meer kommt immer nä… | |
> Sigeo Alesana aus Tuvalu spricht über die Gründe, seine sinkende Heimat | |
> zu verlassen. Er erklärt, warum Klimaflucht dort verpönt ist. | |
Bild: Das Meer steigt immer weiter. Bei der „king tide“ überschwemmt es da… | |
taz: Herr Alesana, können Sie mir Familienfotos aus Tuvalu zeigen? | |
Sigeo Alesana: Wir haben dort nie eine Kamera besessen. Daher haben wir | |
nichts als unsere Erinnerungen. | |
Gute oder schlechte? | |
Ich vermisse meine Heimatinsel sehr. Ich komme von Nanoumea, ganz hoch im | |
Norden. Es ist ein einmaliger Schatz, genauso wie unsere Kultur, unsere | |
Lieder und Gebräuche. Aber dieser Schatz wird bald versinken. | |
Weil der Meeresspiegel aufgrund der Erwärmung des Pazifiks ansteigt? | |
Ich habe es mit eigenen Augen gesehen: Unser Haus stand mal 200 Meter vom | |
Ufer weg, dann waren es nur noch hundert Meter. Bei der jährlichen „king | |
tide“, der großen Flut, stand es jedes Mal unter Wasser. In zehn Jahren ist | |
es vielleicht verschwunden. Das Meer kommt immer näher. | |
Was bedeutet der Klimawandel für die Wasserversorgung auf den Atollen? | |
Sie wird immer schlechter. Lange Dürreperioden sind jetzt normal. Das | |
Wasser im Brunnen kann man oft nicht mehr trinken, weil es so salzig und | |
schmutzig ist. Als Kind hatte ich ständig Hautinfektionen. Wie will man | |
dort leben? | |
Wovon haben Sie gelebt? | |
Ich war Lehrer, aber wir alle müssen zusätzlich den Boden bewirtschaften: | |
Kokospalmen und Pulaka – so heißt unsere Taro-Pflanze. Durch die Dürre, die | |
Versalzung und die Wirbelstürme gab es immer schlechtere Ernten. Pulaka | |
wächst jetzt nur noch so hoch (hält die Hand auf Kniehöhe). | |
Gibt es nicht genug Land für fast 10.000 Menschen? | |
Unsere Atolle sind winzig. Die meisten Familien haben viele Kinder, aber | |
manchmal nur zwei kleine Grundstücke zu vererben. Wie sollen sie das | |
gerecht aufteilen? Die Tradition besagt, dass immer nur die ältesten Jungen | |
Land erben. Mein Cousin hat alles bekommen, ich nichts. Wenn der, der das | |
Recht auf das Land hat, kein guter Mensch ist, was dann? Dann können wir | |
dort nichts anbauen. | |
Das Inselleben war keine Idylle? | |
Nein. Es gibt viele soziale Probleme: zu viel Alkohol, zu viele Menschen | |
auf wenig Raum. Tuvalu ist überbevölkert. Bei uns gibt es ständig Gewalt, | |
und immer dreht es sich um Land. Meine Familie ist darüber komplett | |
zerstritten. Einmal hatte mich mein Vater als Junge losgeschickt, | |
Kokosnüsse zu ernten. Mein Onkel kam drohend mit der Machete auf uns Kinder | |
zu und nahm sie uns alle wieder ab. Wir gingen mit leeren Händen nach | |
Hause. Es war furchtbar. Ich wollte einfach nur Frieden. | |
War das der Grund, warum Sie gingen? | |
Ich wollte vor allem eine eigene Familie gründen. Eine bessere. Ich habe | |
jetzt drei gesunde Söhne – sieben, vier und ein halbes Jahr alt. Sie hätten | |
in Tuvalu nicht überlebt. | |
Warum nicht? | |
Als meine Frau Siga zum ersten Mal schwanger wurde, sind wir zur Entbindung | |
auf die Hauptinsel ins Krankenhaus gefahren. Aber dort gibt es keine | |
Notfallmedizin, nur einfachste Versorgung. Die Nabelschnur hatte sich um | |
den Hals des Babys gelegt, aber niemand konnte einen Kaiserschnitt machen. | |
Ein Nottransport nach Fidschi ging auch nicht, weil das Flugzeug von dort | |
nachts bei uns nicht landen konnte. Wir haben keine Lichter, wir sind ein | |
armes Land. Die Infrastruktur ist sehr schlecht. Unser Baby starb, und Siga | |
verlor viel Blut. Sie hätte es beinahe auch nicht überlebt. | |
Wie erging es Ihnen danach? | |
Auch das zweite Baby verloren wir im achten Monat. Wieder gab es keine | |
richtige ärztliche Versorgung. Wir wollten dann nur für einen Besuch nach | |
Neuseeland fliegen, wo meine Schwestern lebten. In Fidschi mussten wir erst | |
wochenlang auf ein Visum warten. Als wir endlich in Auckland landeten, war | |
Siga wieder schwanger. Da wussten wir: Wenn wir Kinder haben wollen, können | |
wir nicht nach Tuvalu zurück. Das konnten wir nicht riskieren. | |
Also blieben Sie illegal in Neuseeland? | |
Ich habe das Besuchervisum erst auf sechs und dann auf neun Monate | |
verlängert. Ich musste einen Job finden, egal was, um meine Familie zu | |
ernähren. Unser Geld war aufgebraucht. Ich arbeitete zuerst bei McDonald’s | |
und versuchte es mit einem Arbeitsvisum. Es wurde abgelehnt. Aber ich habe | |
dennoch geglaubt, dass ich es schaffe. Ich wusste auch, dass ich als | |
illegaler „overstayer“ jederzeit geschnappt und abgeschoben werden könnte. | |
Also hielt ich mich an alle Gesetze, trank keinen Alkohol, fuhr nur mit | |
Führerschein. In Tuvalu läuft man überall hin, niemand hat ein Auto. In | |
Neuseeland hatte ich schon nach zwei Monaten die Prüfung gemacht. | |
Was wäre passiert, wenn man Sie in der Zeit deportiert hätte? | |
Ich hätte es in einem anderen Land versucht. Ich wäre nicht in Tuvalu | |
geblieben. Niemals. | |
Ein anderer „Overstayer“ – aus dem Inselstaat Kiribati – ist letztes Ja… | |
aus Neuseeland abgeschoben worden, obwohl er in seinem Land mit den | |
gleichen Klimaproblemen zu kämpfen hatte. Wie haben Sie es geschafft, die | |
dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen? | |
Es war ein langer Prozess, bis ich schließlich einen Anwalt fand. In meinem | |
Antrag habe ich nichts verschwiegen. Ich musste vor ein Tribunal und ihnen | |
alles erzählen – über mein Leben, meine Eltern, all unsere Probleme in | |
Tuvalu. Es waren harte Fragen über ein hartes Leben, stundenlang. Sie | |
brachten mich sogar zum Weinen. Aber ich bin dem neuseeländischen Staat | |
unendlich dankbar, dass er mich angehört hat. Meine Frau schrie vor Freude, | |
als dann die Zusage kam. Nach sieben Jahren Ungewissheit! | |
Legal besitzen Sie jedoch keinen Flüchtlingsstatus. | |
Meine Antwort darauf ist, dass ich ein echter Klimaflüchtling bin. Auch | |
wenn ich es juristisch oder formal nicht bin – in meinem Herzen und in | |
Wahrheit bin ich es. Mein Antrag wurde in der Begründung auch deshalb | |
bewilligt, weil meinen Kindern ein Leben in Tuvalu aufgrund der Zustände | |
dort nicht zumutbar wäre. Ohne meine Familie wäre ich abgeschoben worden. | |
In Tuvalu, Kiribati und den anderen bedrohten Südsee-Staaten wird das Wort | |
„Klimaflüchtling“ nicht gern gehört. | |
Das liegt daran, dass die Menschen dort zutiefst christlich sind und nur an | |
das glauben, was in der Bibel steht. Dass Gott sie schützen wird und sie | |
nicht versinken. Vor allem bei den Älteren ist die Klimakatastrophe ein | |
Tabu. Aber ich war Lehrer, ich verstehe die Wissenschaft hinter dem | |
Problem, ich kann es nicht verdrängen. Es gibt viele von uns aus Tuvalu, | |
die nicht zugeben, dass sie Flüchtlinge sind. Sie werden es nie laut sagen. | |
Aber sie unterstützen mich. | |
Bei Ihnen hängen Bibelsprüche an der Wand. Sind auch Sie gläubig? | |
Ich bin immer noch Christ. Wenn mein Herz mir sagt, dass ich Tuvalu | |
verlassen muss, weil es dort nicht sicher ist, dann kommt das von Gott. | |
Gott will, dass ich meine Familie ernähren und beschützen kann. | |
Dunedin, wo Sie jetzt wohnen, ist eine kalte Stadt und hat kaum | |
polynesische Einwohner. Fühlen Sie sich hier wohl? | |
Ich liebe es, mit meinen Jungen ins Kino und den Park zu gehen. Parks gibt | |
es in Tuvalu nicht. Tupou, mein Ältester, spielt Rugby und Fußball, er hat | |
Auszeichnungen in der Schule. Ich weiß, dass sie hier etwas Richtiges | |
lernen können und Chancen haben, die ich nie hatte. Ich will das Beste für | |
sie und bin sehr glücklich, dass mein Leben sich so verändert hat. | |
Fehlt Ihnen das Inselleben manchmal? | |
Die Menschen dort sind entspannter, sie feiern mehr miteinander, tanzen und | |
essen gemeinsam. Hier in Neuseeland musst du vor allem erst mal hart | |
arbeiten. Das hat in Tuvalu nicht Priorität. Dort zählt die Gemeinschaft – | |
hier zählt die Familie. Ich möchte, dass meine Kinder anders aufwachsen als | |
ich. Sie essen auch lieber Brot als Taro (lacht). | |
Sorgen Sie sich dennoch um Ihr Land? | |
Wenn wir alle fortgehen, wird auch unsere Kultur und Identität verloren | |
gehen. Das ist sehr traurig. Aber ich persönlich denke zuerst an meine | |
Familie. Tuvalu kommt an zweiter Stelle. | |
15 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Anke Richter | |
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