| # taz.de -- Menschenrechtsanwalt über Klimaflucht: „Das Migrationsrecht ausb… | |
| > Klimavertreibung hat viele Ursachen, sagt Walter Kälin. Er will einen | |
| > besseren Schutz für Menschen, die wegen Naturkatastrophen fliehen. | |
| Bild: In Westafrika erlauben Gesetze, dass Menschen während Dürren in Nachbar… | |
| taz: Herr Kälin, in Deutschland bezeichnen wir Menschen, die aufgrund des | |
| Klimawandels vertrieben werden gerne als „Klimaflüchtlinge“. Ist das | |
| eigentlich ein treffender Begriff? | |
| Walter Kälin: Ganz und gar nicht. Im Kern des Flüchtlingsbegriffes steckt | |
| die Idee der Verfolgung und Gewalt – Menschen wenden sich gegen Menschen. | |
| Bei Klimavertriebenen trifft das nicht zu. Vertreibung im Zusammenhang mit | |
| dem Klimawandel hat immer viele Ursachen. | |
| Was heißt das genau? | |
| Ein Beispiel: 2010 gab es in Haiti ein Erdbeben, einige Monate später in | |
| Chile. Beide Beben waren in etwa gleich stark – mehr als sieben auf der | |
| Richterskala. In Haiti gab es bis zu 200.000 Tote, in Chile 570. Der | |
| Unterschied war nicht die Naturgewalt selbst, sondern inwiefern die Länder | |
| vorbereitet und angepasst waren. Das Gleiche gilt auch für das Klima und | |
| wetterbezogene Katastrophen. | |
| Sie haben die Nansen-Initiative mitgeleitet, eine Staateninitiative, die | |
| einen besseren Schutz für Menschen erreichen will, die bei | |
| Naturkatastrophen fliehen. Im Oktober dieses Jahres haben Sie ein | |
| Abschlussdokument herausgebracht. Sind sie zufrieden? | |
| Ja, vor allem weil 110 Staaten die Schutzagenda unterzeichnet haben. Wir | |
| schlagen dort eine Art Werkzeugkasten vor. Zum einen muss es um Prävention | |
| gehen: Anpassungen an den Klimawandel, Risikovorsorge. Aber es muss auch | |
| möglich werden, dass Menschen freiwillig aus unbewohnbaren Gebieten | |
| umsiedeln können. Und dann haben wir Strategien zusammengetragen für | |
| Menschen, die bei Katastrophen über Landesgrenzen hinweg fliehen müssen, | |
| beispielsweise bei Überschwemmungen oder Windstürmen. | |
| Aber es geht ja in dem Dokument nur um plötzlich auftretende | |
| Naturkatastrophen. Was ist mit Dürren, der Versalzung von Böden, dem | |
| langsam ansteigenden Meeresspiegel? | |
| Bei langsam voranschreitenden Katastrophen müssen wir das bestehende | |
| Migrationsrecht ausbauen. In Westafrika erlauben Gesetze, dass Menschen und | |
| Tiere während Dürren in Nachbarstaaten Zuflucht finden. Neuseeland hat | |
| Einwanderungsquoten für Menschen aus bedrohten Inselstaaten. | |
| Was sagen sie zu der Kritik, dass das Dokument keine verbindlichen Zusagen | |
| enthält? | |
| Das ist keine Kritik, sondern eine realistische Einschätzung. Wir stehen am | |
| Anfang eines langfristigen Prozesses zu einem sehr sensiblen Thema. Da ist | |
| es ganz einfach realistisch, erst mal mit nicht bindenden Prinzipien zu | |
| beginnen. | |
| Wie soll es denn jetzt weitergehen? Das Dokument nennt sich ja | |
| Abschlussdokument, sie sprechen von Anfang. | |
| Im Moment finden Diskussionen statt über eine Anschlussphase. Nun muss es | |
| um die Umsetzung der Schutzagenda gehen. Welche Staaten neben Deutschland | |
| und der Schweiz mitziehen und wie das konkret aussieht, ist vollkommen | |
| offen. Ich denke, im Frühjahr wissen wir mehr. | |
| Also keine rechtlich bindenden Regelungen. | |
| Noch nicht. Die Staaten wollen auf globaler Ebene momentan schlicht kein | |
| rechtlich verbindliches Dokument zur Klimavertreibung. Es ist ihnen zu | |
| wichtig, selbst zu entscheiden, wer auf ihr Territorium kommt und wer | |
| nicht. Aber es gibt ja auch noch andere Möglichkeiten, zum Beispiel bei den | |
| Klimaverhandlungen in Paris. | |
| Warum ist die Konferenz in Paris so wichtig? | |
| Das Abschlussdokument wird die Prioritäten setzen für die kommenden Jahre. | |
| Wenn die Klimavertreibung dort nicht drinsteht, dann steht das Thema nicht | |
| auf der Agenda. Und was in Paris beschlossen wird, ist eben auch bindendes | |
| Recht. | |
| Stichwort Klimagerechtigkeit: Diejenigen, die vertrieben werden, haben den | |
| Klimawandel ja gar nicht verursacht. Ist das nicht ein Problem der | |
| Ungleichheit? | |
| Absolut. Die Antwort kann aber nicht ein Quotensystem gemäß CO2-Emissionen | |
| sein. Also wer mehr emittiert, muss auch mehr Menschen aufnehmen. Menschen | |
| in den betroffenen Regionen sagen ja immer wieder: Wir wollen hier bleiben. | |
| Was dann? | |
| Für mich bedeutet Solidarität ein klares Bekenntnis zur Verringerung von | |
| Emissionen. Wie sehr bekommen wir den Temperaturanstieg in den Griff? Dann | |
| aber auch eine ganz klare finanzielle und technische Unterstützung für die | |
| betroffenen Staaten: Vorsorge bei Katastrophen, geplante Umsiedlungen und | |
| Entwicklungsprojekte. Es braucht aber auch die Bereitschaft zur | |
| Großzügigkeit bei der Migration und zur Aufnahme von Menschen, denen nur | |
| die Flucht bleibt. | |
| Spüren Sie diese Solidarität, gerade bei den Staaten mit hohem CO2-Ausstoß? | |
| Wir werden es in den kommenden Tagen in Paris sehen. | |
| 9 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jonas Seufert | |
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