# taz.de -- Debatte Israel und Palästina: Der Konflikt nützt den Regierenden | |
> Nicht nur die Zweistaatenlösung, auch alternative Lösungsvorschläge | |
> könnten durchgesetzt werden. Doch es fehlt an politischem Willen. | |
Bild: Zwischen Mittelmeer und Jordan gibt es nur einen Souverän: den israelisc… | |
Mit seiner jüngst erfolgten Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt | |
Israels nährt US-Präsident Trump wachsende Zweifel an der Realisierbarkeit | |
der Zweistaatenlösung. Diese international bevorzugte Option, den | |
israelisch-palästinensischen Konflikt dauerhaft zu regeln, umfasst den | |
Rückzug Israels zu seinen international anerkannten Grenzen bei geringem | |
und vereinbartem Gebietstausch, für beide Seiten akzeptable | |
Sicherheitsarrangements und Regelung der palästinensischen Flüchtlingsfrage | |
sowie Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten. | |
Die Realität vor Ort spricht indes eine klare Sprache. In den 1967 | |
besetzten Palästinensergebieten etablierte sich allen Friedensgesprächen | |
zum Trotz ein Projekt der permanenten israelischen Herrschaft. | |
In jenen 60 Prozent der Westbank, die Israel direkt unterstellt sind, und | |
im von Israel annektierten Ostjerusalem wurden über eine halbe Million | |
israelische Staatsbürger völkerrechtswidrig angesiedelt, während die dort | |
lebenden Palästinenser in dicht bevölkerte Enklaven verdrängt werden. Diese | |
werden von Palästinensern zwar verwaltet, doch das Eigenständigkeit | |
simulierende Gebaren der im bitterarmen Gazastreifen herrschenden Hamas | |
oder der Präsidententitel von Mahmud Abbas, der der Palästinensischen | |
Autonomiebehörde (PA) vorsteht, die die Westbank-Enklaven verwaltet, sollen | |
nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Enklaven in allen wesentlichen | |
Aspekten von Israel abhängen. | |
Israelische Regierung fürchtet um Vorrechte | |
Zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan gibt es also de facto nur einen | |
Souverän, den israelischen Staat. Israels Regierung möchte die Kontrolle | |
über die Palästinenser behalten und die Ausweitung der Siedlungen | |
ermöglichen. Zugleich fürchtet sie um die Vorrechte der jüdischen | |
Bevölkerung, wenn alle Menschen im Land gleiche Rechte genössen. Denn schon | |
heute gibt es hier keine jüdische Mehrheit mehr. | |
Folglich ist ein verschlungenes System entwickelt worden, in dem die | |
Einwohner je nach Staatsbürgerschaft, Wohnort und ethnisch-religiöser | |
Zugehörigkeit unterschiedliche Rechte besitzen – mit dem vorrangigen Ziel, | |
den Palästinensern Bürger- und andere Rechte vorzuenthalten, was einige | |
Beobachter dazu veranlasst, dieses System als eine Form der Apartheid zu | |
definieren. | |
Gibt es heute noch Kräfte, die die Zweistaatenlösung Realität werden lassen | |
können? | |
In Israel besteht momentan keine zwingende Notwendigkeit, ein solches | |
Projekt historischen Ausmaßes zu unternehmen. Die Wirtschaft wächst und das | |
Land ist zum führenden Forschungs- und Hightech-Standort geworden. Die | |
Außenbeziehungen Israels werden durch die Besatzung kaum gestört, während | |
die Kosten dafür durch ausländische Geldgeber übernommen werden. Der | |
Konflikt nützt zudem den Regierenden. Sie nutzen die äußere Gefahr, um die | |
immer wieder aufflammende Unzufriedenheit mit einem Prozess der | |
Konzentration von Kapital und Macht in die Hände weniger und der | |
Schrumpfung der Mittelklasse einzuhegen und um den Zusammenhalt einer | |
Einwanderergesellschaft zu stärken, in der eine fragile israelische | |
Identität mit einem Geflecht anderer Gruppenidentitäten konkurriert. | |
Internationalisierung des Konflikts | |
Schließlich gibt es in Israel momentan keine nennenswerte Opposition, die | |
es mit Israels stärkster Lobby, der Siedlerbewegung, aufnehmen könnte, da | |
die Arbeitspartei den nationalistischen Diskurs der Rechten übernommen | |
hatte und eine Allianz mit der Gemeinsamen Liste ablehnt – der neuen großen | |
Kraft in Israel, die für eine Zweistaatenlösung steht und die | |
arabisch-palästinensische Minderheit repräsentiert. | |
Derweil steckt die PA in einem Dilemma. Ihre Legitimation hängt ab von | |
ihrer Fähigkeit, palästinensische Nationalinteressen zu vertreten, | |
gleichzeitig ist sie völlig von Israel und ausländischen Geldgebern | |
abhängig und muss Israels Sicherheitsanforderungen durch repressive | |
Maßnahmen gegen die eigene Bevölkerung durchsetzen. Auch deshalb hat sie | |
alles daran gesetzt, die von den Großmächten vorgegebenen Parameter auf dem | |
Weg zur Zweistaatenlösung zu erfüllen. Vergebens. Ihre letzte verbliebene | |
Karte ist die Internationalisierung des Konflikts, etwa den Internationalen | |
Gerichtshof in die Pflicht zu nehmen, damit er Israel in die Schranken | |
weist. | |
Der Erfolg ist mäßig, da das westliche Ausland darauf zögerlich bis | |
ablehnend reagiert. Damit verstärken sich die Fliehkräfte, so im | |
Gazastreifen: Hier folgte der physischen die politische Abspaltung, und im | |
Gazastreifen herrscht die repressive Hamas, die ihrerseits Einschüchterung | |
benötigt, um ihre schwindende Popularität zu kompensieren. | |
Alternative Lösungsansätze | |
Angesichts dessen gibt es drei zivilgesellschaftliche palästinensische | |
Bewegungen, die sich der Besatzung stellen: Die eine fördert einen passiven | |
Widerstand gegen die Vertreibung von Palästinensern aus der Westbank, etwa | |
durch den Wiederaufbau zerstörter Häuser, die zweite fordert Boykott, | |
Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) gegen Israel, und die dritte eine | |
gewaltfreie Volksintifada mit Demonstrationen und Streiks. | |
Die Unterdrückungsmechanismen der israelischen Behörden und, mehr noch, der | |
PA, die auf der Basis eines Systems von Patronage und finanzieller | |
Abhängigkeit agiert, sowie die Verfasstheit der palästinensischen | |
Gesellschaft lassen all das jedoch derzeit unrealistisch erscheinen. Die | |
Option einer bewaffneten Intifada wird zwar immer wieder aufgeworfen, doch | |
Israel scheint zu übermächtig, die Angst vor Krieg und Chaos angesichts der | |
Fernsehbilder aus der Region sowie die Müdigkeit nach zwei vorherigen | |
bewaffneten Aufständen zu groß. | |
Folglich werden auf beiden Seiten vermehrt alternative Ansätze diskutiert, | |
etwa der eines binationalen Staats oder neue Konföderationsmodelle, die es | |
erlauben, kollektive Identitäten sowie individuelle Rechte zu | |
berücksichtigen. Doch auch diese Lösungen stehen vor den gleichen | |
Hindernissen wie die Zweistaatenlösung: dem Unwillen Israels, Privilegien | |
der jüdischen Bevölkerung und die Kontrolle über die Palästinenser | |
aufzugeben. | |
Radikale Nationalisten preschen vor | |
Gleichzeitig haben die Ausweitung der israelischen Präsenz im | |
Westjordanland und in Ostjerusalem und das internationale Schweigen über | |
die zehnjährige Abriegelung des Gazastreifens den israelischen | |
Erwartungshorizont von Rechtsaußen bis in die Mitte hinein erweitert: Bühne | |
frei für eine einseitige Festlegung, wie eine Dauerlösung aussehen kann. | |
Während die Mehrheit der israelischen Rechten eine formelle Annexion | |
zugunsten einer weiteren schleichenden Aneignung palästinensischen Lands | |
verschieben möchte, preschen radikale Nationalisten vor und fordern die | |
sofortige Annexion von etwa 60 Prozent der Westbank. | |
Die Arbeitspartei spielt mit der Idee eines einseitigen Rückzugs aus großen | |
Teilen der Westbank, will jedoch keine Siedlungen räumen. Und während die | |
Rechten den Palästinensern lediglich begrenzte Autonomie innerhalb komplett | |
kontrollierter Enklaven zugestehen wollen, plädiert die politische Mitte | |
für einen Ministaat Palästina, der aber kaum volle Souveränität hätte. | |
Diese Ansätze ähneln jenen, die die Hamas, die heute große Offenheit für | |
die Zweistaatenlösung zeigt, früher propagierte: Das gesamte Land solle | |
unter muslimische Vorherrschaft kommen, und die Juden könnten dort leben, | |
allerdings ohne kollektive politische Rechte. | |
Umdenken in den USA und der EU | |
Sowohl die Zweistaatenlösung als auch die alternativen Lösungen könnten | |
also durchgesetzt werden – mit genügend politischem Willen. Für eine | |
Regelung, die auf Gleichberechtigung und Selbstbestimmung beruht und die | |
Völker einer historischen Aussöhnung näher bringt, wären drei Akteure | |
nötig: Koloniale Prozesse enden fast immer durch den Widerstand der | |
indigenen Bevölkerung, sprich: Die Palästinenser müssten sich einen und | |
Widerstand effektiv gestalten. Dann müsste sich eine innerisraelische | |
Opposition zu einer echten Alternative entwickeln und einer noch | |
friedenswilligen Bevölkerungsmehrheit reinen Wein einschenken. | |
Dem Ausland schließlich, allen voran Israels Alliierten USA und EU, fiele | |
angesichts der tiefen Asymmetrie des Konflikts eine gewichtige Rolle zu. | |
Doch für Rechtspopulisten und illiberale Demokraten wie Trump oder Orbán | |
treten Völker- und Bürgerrecht zugunsten der Macht des Stärkeren zurück, | |
mitunter ergänzt um alte antisemitische Ressentiments oder eine imaginierte | |
Front zur Verteidigung eines jüdisch-christlichen Abendlands gegen den | |
Islam. Israel und die dortige hegemoniale Rechte gelten dabei als | |
Verbündete ersten Rangs. | |
Die zugespitzte Lagerbildung führt aber in den USA gleichzeitig dazu, dass | |
linke und liberale Kräfte – auch innerhalb der großen jüdischen Gemeinden … | |
Israels Politik zunehmend in Frage stellen und erheblichen Druck zugunsten | |
einer gerechten Konfliktlösung fordern. Auch in Europa findet ein Umdenken | |
statt – hin zu einer eigenständigeren Außenpolitik, auch in Nahost. | |
Da es momentan kaum um eine endgültige Konfliktlösung geht, sollten die | |
Europäer, die für Völker- und Bürgerrecht stehen, dazu beitragen, dass der | |
Weg zu künftigen Lösungen nicht völlig verbaut wird. Das hieße einerseits | |
eine viel klarere Sprachregelung als bisher, andererseits müssten die | |
regelbasierten Beziehungen zu den Konfliktparteien vertieft werden. Das | |
bedeutet hier vor allem die Klarstellung, dass die Vorteile bi- und | |
multilateraler Abkommen mit Israel weder für die völkerrechtswidrigen | |
Siedlungen noch für ihre Einwohner gelten können. | |
7 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Tsafrir Cohen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Jerusalem | |
Israel | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Palästina | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Israel | |
Israel | |
Antisemitismus | |
Israel | |
USA | |
Friedensprozess | |
Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
Antisemitismus | |
Jerusalem | |
Gaza | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
25 Jahre Osloer Friedensabkommen: Zonen-Grenzen in Palästina | |
Das Westjordanland ist in Zonen eingeteilt, Überbleibsel der | |
Friedensbemühungen. Eine Reise nach A, B und C, zu Palästinensern und | |
Israelis. | |
Kommentar Nationalgesetz in Israel: Panik im Judenstaat | |
Das neue Gesetz zielt auf eine Trennung von Arabern und Juden. Dabei müsste | |
das genaue Gegenteil Ziel des Staates sein: mehr Miteinander. | |
Rede des Palästinenserpräsidenten: Abbas gibt Juden Schuld an Holocaust | |
Der Holocaust sei durch das „soziale Verhalten“ der Juden ausgelöst worden, | |
sagt der Palästinenserpräsident. Es ist nicht das erste Mal, dass er durch | |
Antisemitismus auffällt. | |
Netanjahu trifft Trump: Über Jerusalem nach Iran | |
US-Präsident Trump bekommt Lob für seine Nahostpolitik. Israels Premier | |
Netanjahu macht im Weißen Haus klar, worum es ihm noch geht: den Iran. | |
US-Vizepräsident Pence in Israel: Umzug der Botschaft bis Ende 2019 | |
Mike Pence bekräftigt, dass ganz Jerusalem die Hauptstadt Israels sei. | |
Gastgeber Netanjahu ist entzückt – im Gegensatz zu vielen anderen. | |
Kommentar PLO und Israel: Drohgebärde der Palästinenser | |
Der PLO-Zentralrat will Israel nicht mehr anerkennen. Das ist eine Folge | |
der Eskalation durch die USA, Israel und die Hamas. | |
Politische Elite in den USA: Die Freiheit der wenigen | |
Die Autorinnen Nancy MacLean und Jane Mayer rekonstruieren, wie einige | |
Superreiche unbeobachtet die radikale Rechte in Stellung brachten. | |
Konferenz zum Antisemitismus: „Unbehagen am Jüdischen“ | |
Nach Trumps Jerusalem-Entscheid brannten israelische Fahnen. Die Tagung des | |
Netzwerks NEBA diskutiert aktuelle antisemitische Entwicklungen. | |
Nach Trumps Jerusalem-Entscheidung: Erdogans rote Linie | |
Für den türkischen Staatspräsidenten ist Israel ein Besatzungsstaat. Er | |
fordert, Jerusalem als besetzte Hauptstadt der Palästinenser anzuerkennen. | |
Annäherung zwischen Fatah und Hamas: Machtvakuum im Gazastreifen | |
Die neuerliche Gewalt im Nahostkonflikt bestimmt derzeit die Schlagzeilen. | |
Doch auch die palästinensische Aussöhnung verläuft schleppend. |