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# taz.de -- Kommentar SPD und mögliche Groko: Wieder nach Arbeiterschweiß rie…
> Schluss mit den Kompromissen. Die SPD übersteht den Koalitionsdeal nur
> dann ohne Brüche, wenn sie sich auf ihre soziale Kernaufgabe besinnt.
Bild: Sweat, SPD, sweat
Die SPD Thüringen ist nicht bekannt als Hort auffälligen
Widerstandsgeistes. Trotzdem wollen die Genossen dort, dass die
Bundespartei auf keinen Fall ein Bündnis mit der Union eingeht. Das zeigt,
wie stark der Zweifel ist, ob eine Regierung mit Merkel nicht zum Opfergang
würde. Die Thüringer wissen, wo auf Dauer gestellte Große Koalitionen
enden: bei 12 Prozent. Was sind die Alternativen?
SPD-Linken schwebt eine Art Groko light vor, eine Kooperations-Koalition,
in der die SPD Minister stellt, bei harten Themen mit der Union stimmt,
aber in abgezirkelten Bereichen freihändig agiert. Das wirkt erst mal
charmant. Denn es verheißt, dass Regieren ohne Kopfschmerzen und die
üblichen Kollateralschäden möglich ist. Das Dilemma aber, dass die Union
die Erfolge bei sich bucht und die SPD farblos wirkt, würde dieses Modell
nicht beheben. Die Hoffnung, dass der SPD öfter Scoops wie die Ehe für alle
gelingen, trügt. Ein Einwanderungsgesetz, das SPD, Grüne, FDP und
Linkspartei unterstützen, wird es nicht geben.
Vor allem aber würde diese Groko light der AfD nutzen. Im parlamentarischen
Alltag wäre nicht zu verhindern, dass rot-grüne-linke Gesetze nur mit
AfD-Stimmen eine Mehrheit bekommen. Wenn aber die politische Linke
AfD-Stimmen in Kauf nimmt, wird die Union dies auch tun. Das straft alle
Abgrenzungsrhetorik Lügen – und beschert den demokratischen Parteien
heiklen Selbstwiderspruch. Es wäre eine böse Ironie, wenn ausgerechnet die
SPD-Linke die AfD im Bundestag zum Machtfaktor macht. So bleibt für die SPD
nur die Alternative – Neuwahl oder Regieren.
Die SPD hat es mit mehreren sich überlagernden, gegenseitig verstärkenden
Problemen zu tun. So weiß sie nicht, was sie in der Ära nach den
Volksparteien sein soll. Martin Schulz merkte kürzlich an, dass die SPD als
einzige Partei in allen Gruppen, von Arbeitslosen bis Besserverdienern, von
rund 20 Prozent gewählt wurde. Dies verband der SPD-Chef in einem kühnen
Kurzschluss mit der Aufforderung, dass die Partei endlich wieder kantig und
erkennbar sein müsse. Das hat etwas Rührendes. Die SPD wirkt ja so
ausgewaschen, weil sie noch mehr als die Union eine Volkspartei ist. Sie
muss die Interessen von Managern und Leiharbeitern, von Feministinnen und
Machogewerkschaftern unter einen Hut bringen. Das erfordert nach innen
komplexe Aushandlungsprozesse – und produziert nach außen oft nur seicht
wirkende Kompromisse.
## Besser nach Rasierwasser riechen?
Darin spiegelt sich ein anderes Problem: Die SPD war immer die Partei, die
kollektive Solidarität organisierte. Doch wie das im globalen, digitalen,
individualisierten Kapitalismus gelingen soll, ist offen. Sigmar Gabriel
hat im Spiegel die sozialdemokratischen Dilemmata beschrieben. Demnach
überfordert die Postmoderne mit Minderheitenrechten und uferloser
Individualisierung viele – und beflügelt die Sehnsucht nach übersichtlichen
Verhältnissen, welche die AfD ausbeutet. Doch ginge es der SPD besser, wenn
sie wieder mehr nach Arbeiterschweiß und billigem Rasierwasser riechen
würde?
Umverteilung findet Gabriel indes „folkloristisch“. Und das ist die falsche
Weichenstellung. Denn anstatt seufzend festzustellen, dass „der
Nationalstaat seine Wohlfahrtversprechen nicht mehr einlösen“ kann, muss
die SPD diese, so gut es geht, durchsetzen. Wahrscheinlich übersteht die
SPD den kniffeligen Koalitionsdeal nur dann ohne Knochenbrüche, wenn sie
sich auf ihre soziale Kernaufgabe besinnt – und die Interessen von
Unterschicht, Mittelschicht und globalisierungszugewandten Milieus
verknüpft. Das geht mit einem Dreiklang: Sie muss 12 Euro Mindestlohn, die
Olaf Scholz bislang ohne Resonanz in die Debatte brachte, auf ihre Fahne
schreiben. Das würde handfest die Lage der Abgehängten verbessern. Und den
Einstieg in die Bürgerversicherung ermöglichen. Paritätische Finanzierung
des Gesundheitswesens klingt zwar grässlich – bedeutet aber de facto die
Entlastung der Mittelschicht um ein paar Milliarden Euro im Jahr. Und
drittens: die scharfe Ansage, dass Deutschland aktiv Macrons EU-Reform
unterstützt.
Falls die SPD mit diesen Forderungen ausgerüstet in die Groko-Verhandlungen
geht, kann ihr nicht allzu viel passieren. Scheitert die Groko, steht das
nicht zwingend als Minus auf ihrem Konto. Glückt sie, hat die SPD die
Chance, klarzumachen, warum sie regiert. Dafür aber braucht sie, was sie
allzu oft vermissen ließ: Selbstbewusstsein und strategischen Weitblick.
17 Dec 2017
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Mindestlohn
SPD
Schwarz-rote Koalition
CDU/CSU
Schwerpunkt AfD
SPD
Sondierung
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Paul Ziemiak
Sigmar Gabriel
Sozialpolitik
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