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# taz.de -- Kommentar GroKo und die AfD: Beben und Zittern
> Die liberale Demokratie steckt auch in Deutschland in einer Krise. SPD
> und Union müssen beweisen, dass sie noch erkennbar verschiedene Parteien
> sind.
Bild: CDU und SPD müssen sich stärker voneinander abgrenzen, in einer GroKo k…
In der Republik geht alles seinen gewohnten Gang. Die Arbeitslosigkeit ist
gering, die Busse kommen pünktlich. Dass im Kanzleramt Dienst nach
Vorschrift gemacht wird, fällt nicht auf. In Belgien war eine
geschäftsführende Regierung mal 541 Tage im Amt.
Allerdings: Wir stecken mitten in einer Krise der liberalen Demokratie. Was
2016 in den USA mit dem Trump-Beben begann, ist in Berlin als Zittern
angekommen. Die deutsche Krise hat zwei Namen: die AfD und die
Ungelenkigkeit der politischen Mitte darin, eine Regierung zu bilden.
Beides hängt zusammen.
In Sachen AfD ist es Zeit, sich von drei Irrtümern zu verabschieden. Nummer
eins: Gauland & Co werden sich durch rechtsextreme Ausfälle, interne Kämpfe
und die Unfähigkeit, politisch Produktives zu leisten, selbst entzaubern.
Das war Illusion. Die AfD duldet Nazisprüche, ist zerstritten und nutzt die
Parlamente als Bühne für Agitprop. Ihrer Beliebtheit tut all das keinen
Abbruch. Offenbar wollen die AfD-Wähler genau das: eine rechte
Protestpartei.
Illusion zwei: Die AfD ist eine Single-Issue-Bewegung, die nur von den
rassistischen Ressentiments lebt, die Merkels Move im Herbst 2015
aufwirbelte. Doch die Flüchtlinge waren nur der Anlass, nicht der Grund für
den AfD-Erfolg. Deshalb sind auch die Versuche von Union und SPD
gescheitert, die Rechten mit einer hartherzigen Migrationspolitik
zurückzudrängen.
## Die AfD hat keine Idee von der Zukunft
1992 konnten SPD und Union mit dem ausgehebelten Asylrecht den
„Republikanern“ das Wasser abgraben. Doch der Mechanismus, dass
Volksparteien Extreme einbinden, indem sie deren Themen kapern,
funktioniert nicht mehr.
Illusion drei: Die AfD ist ein Verein aggressiver Nostalgiker ohne Zukunft.
Die Rechtspopulisten träumen von einer Welt mit häuslichen Frauen,
arbeitsamen Männern, disziplinierten Kindern. Die AfD hat keine Idee von
der Zukunft, aber die braucht sie auch nicht, um selbst eine Zukunft zu
haben.
Ihr Versprechen ist eine stillgestellte Zeit – ohne Globalisierung,
Diversity, Migration, überfordernden Wandel. Der neue Populismus steht, so
der Publizist Ivan Krastev, „nicht für die Verlierer von gestern, sondern
für die voraussichtlichen Verlierer von morgen“. Deshalb tröstet es auch
nicht, dass die AfD bei der Bundestagswahl nur gut 12 Prozent bekam. Das
ist viel für eine Zeit ohne Wirtschaftskrise und Bankencrash.
Zudem katalysiert die AfD die seit Langem schwelende Krise der
Parteiendemokratie. In einem Parlament mit sechs Fraktionen wird es auf
absehbare Zeit keine Regierung ohne Union geben. Damit bricht das seit 1949
erprobte System im Grunde zusammen. Denn dieses System fußt auf dem
möglichen Machtwechsel zwischen Union und SPD. Doch ein SPD-Kanzler ist
derzeit so wahrscheinlich wie der 1. FC Köln in der Champions League. Eine
Demokratie, in der ein sichtbarer Machtwechsel de facto ausgeschlossen ist,
bedient das rechte Ressentiment, dass „die da oben alle gleich sind“. Und:
dies stimmt ja für die Volksparteien.
Seit Schröder die SPD wirtschaftspolitisch auf Unions-Linie brachte, Merkel
die CDU kulturell an das rot-grüne Milieu annäherte, sind die Unterschiede
verwischt. Der Koalitionsdeal zwischen Union und SPD kann nun, scheinbar
paradox, genau daran scheitern. Denn SPD und Union müssen beweisen, dass
sie noch erkennbar verschiedene Parteien sind – nicht nur die Flügel einer
pragmatischen Mittepartei.
So hat die AfD die Malaise der Berliner Republik bloßgelegt. In der Mitte
sind sich die Parteien zu ähnlich – deshalb wirken sie derzeit gelähmt.
Nicht nur politische Egoshooter wie Christian Lindner fürchten, als Teil
dieser Masse unsichtbar zu werden.
Ist das System Volkspartei noch reparabel? Vielleicht, wenn die Union
kulturell wieder konservativer, die SPD [1][sozialpolitisch wieder links]
wird. In einer Großen Koalition, die beide zum Kompromiss zwingt, ist das
unmöglich. Eine Merkel-Schulz-Regierung würde den Zerfall der Volksparteien
zwar erst mal vertagen – langfristig aber besiegeln.
29 Dec 2017
## LINKS
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## AUTOREN
Stefan Reinecke
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