| # taz.de -- Q&A zu den Groko-Sondierungen: Koalition der Unwilligen | |
| > Nochmal eine Groko will niemand so richtig. Ob sie zustandekommt, hängt | |
| > vor allem von der Kanzlerin ab. Was passt, was nicht? | |
| Bild: Andrea Nahles und Martin Schulz – zwei unsichere „Faktoren“ bei den… | |
| Wird das was mit der Großen Koalition? Aus Not – eher ja. Denn die | |
| Alternativen sind noch schlechter. Kanzlerin Angela Merkel will unbedingt | |
| ein stabiles Bündnis und keine Minderheitsregierung. Bloß keine | |
| Experimente. Die Gefühlslage der SPD ist komplexer. Viele Genossen fürchten | |
| den langsamen Tod an der Seite Merkels, an der SPD-Basis ist die Skepsis | |
| groß. Aber die Alternativen … | |
| Warum sind die so mies? Vor allem linke SPDler plädieren für die | |
| Tolerierung einer Minderheitsregierung der Union oder eine | |
| Kooperationskoalition. Doch das sind eher Beruhigungspillen für die eigene | |
| Basis. Schließlich würde die AfD bei einer Merkel-Minderheitsregierung zum | |
| entscheidenden Mitspieler werden. Weil Merkel sowieso dagegen ist, kämen | |
| also Neuwahlen – wohl Ende April. Die aber will keiner. Zu aufwendig, zu | |
| teuer, zu riskant. Die SPD zöge ohne jede Machtoption in den Wahlkampf. | |
| Aber verbindet SPD und Union genug? Angela Merkel, Martin Schulz und Horst | |
| Seehofer werden sich ab Sonntag bei den Sondierungen in der gleichen | |
| Arbeitsgruppe treffen: Europa. Denn die EU ist Chefsache. Das Bündnis aus | |
| den eher unwilligen Partnern braucht eine Überschrift, eine Erzählung. Das | |
| soll die Rettung der kriselnden EU werden. Eine Merkel-Schulz-Regierung, | |
| die den deutsch-französischen Motor wieder in Gang setzt und Macron | |
| entgegenkommt, würde damit über das verfügen, was sie braucht: politisches | |
| Kapital. | |
| Aber passen SPD und Union bei der EU zusammen? Die CSU will, dass Schluss | |
| ist mit immer mehr EU. Schulz verkündete kürzlich unter tosendem Applaus | |
| beim SPD-Parteitag, dass es 2025 die Vereinigten Staaten von Europa geben | |
| solle. Das scheint unvereinbar – doch beides sind nur rhetorische | |
| Blinklichter. Praktisch sind Einigungen denkbar: auf den EU-Finanzminister, | |
| den Macron will, auf ein paar Milliarden mehr für Investitionen und gegen | |
| Jugendarbeitslosigkeit. Plus mehr EU-Sicherheitspolitik. Die EU ist das | |
| Feld, auf dem CDU und SPD mit relativ wenig Geld maximalen politischen | |
| Gewinn erzielen können. Mit viel Symbolik – und ein bisschen Reform. | |
| Reicht Europa der SPD? Nein. Um den Parteitag, der am 21. Januar die | |
| Aufnahme von Koalitionsverhandlungen durchwinken soll, zu überzeugen, muss | |
| Schulz mindestens einen sichtbaren Erfolg bei SPD-Kernthemen vorweisen – | |
| Gesundheit, Rente, Arbeit, Mieten. Das wird schwierig. Ein Ja zur | |
| Bürgerversicherung, also der Abschaffung der privaten Krankenversicherungen | |
| (PKV), würde die Groko-Skeptiker verstummen lassen. Aber das will die Union | |
| nicht. Das Gleiche gilt für eine verschärfte Mietpreisbremse. Einfacher | |
| dürfte eine Einigung bei der Pflege werden. Doch Schulz und Nahles brauchen | |
| mehr als Absichtserklärungen und ein paar verbesserte Details für den | |
| SPD-Parteitag. | |
| Was möchte die CDU? Die Christdemokraten wollen vor allem weiter regieren. | |
| Inhaltlich sind sie traditionell weniger ambitioniert als die SPD, es geht | |
| um ein „Weiter so“. Merkel setzt auf ein paar Geschenke für Gutverdiener | |
| und die Mittelschicht. So verspricht sie den schrittweisen Abbau des | |
| Solidaritätszuschlags ab 2020 und ein Baukindergeld, das Immobilienkäufe | |
| von Familien bezuschussen würde. | |
| Klar ist vor allem, was die CDU nicht will: keine Steuererhöhungen, keine | |
| teure Rentenreform und auf keinen Fall mehr Flüchtlinge. Aber die | |
| pragmatische CDU wäre natürlich zu Kompromissen bereit. Die SPD will zum | |
| Beispiel eine Solidarrente für Niedrigverdiener, damit jene nach | |
| jahrzehntelanger Arbeit im Alter mehr bekommen als die Grundsicherung. | |
| Dafür gäbe es auch in der CDU Sympathien. | |
| Beim Geld hört der Spaß auf. Auch in der Groko? Das Bündnis schwämme im | |
| Geld. Finanzminister Peter Altmaier (CDU) hatte während der | |
| Jamaika-Verhandlungen Mehrausgaben von 45 Milliarden Euro in den kommenden | |
| vier Jahren in Aussicht gestellt. Mit schwarzer Null im Haushalt. So viel | |
| Geld dämpft Konflikte. | |
| Auch sonst käme man in der Finanz- und Steuerpolitik wohl zueinander. Eine | |
| Soli-Abschaffung ist nichts anderes als eine massive Steuersenkung für die | |
| obersten 10 Prozent; allerdings fällt der Soli auf Dauer sowieso weg. Die | |
| SPD könnte für den schnelleren Wegfall eine Gegenleistung fordern, etwa | |
| die Abschaffung der Abgeltungsteuer. Durch sie werden Kapitalerträge | |
| deutlich niedriger besteuert als Arbeit. Auch Korrekturen bei der | |
| Einkommensteuer, die Normalverdiener entlasten, wären für alle denkbar. | |
| Und worauf setzt die CSU? Scharfkantige Flüchtlingspolitik. Die CSU fordert | |
| Leistungskürzungen für Asylbewerber und umstrittene Untersuchungen, um das | |
| Alter junger Flüchtlinge festzustellen. Und subsidiär Geschützte, meist | |
| syrische Kriegsflüchtlinge, sollen weiterhin keine Familienmitglieder | |
| nachholen dürfen. Die SPD will das wieder erlauben. Doch auch hier ist eine | |
| Einigung drin. Sogar CSU und Grüne hatten sich angenähert. Und die | |
| SPD-Spitze weiß, dass ihre Basis in dieser Frage gespalten ist. | |
| Wer kann mit wem? Bei Koalitionen geht es nicht nur um sachliche Deals, | |
| sondern auch um Gefühle, Vertrauen, Loyalität. SPD und Union kennen sich | |
| zwar weit besser als die Jamaika-Verhandler – aber es gibt Schwachpunkte. | |
| Unsicherheit Nummer eins: Die CSU war in Machtkämpfe verstrickt und hat | |
| panische Angst vor der AfD-Konkurrenz bei der Bayernwahl. Söder und | |
| Seehofer scheinen nach der Machtteilung etwas berechenbarer als noch vor | |
| ein paar Wochen. | |
| Unsicherheit Nummer zwei sind Schulz und Nahles. Beide betonen zwar, wie | |
| gut sie mit Merkel können, neigen aber zu spontanen Gefühlsaufwallungen. | |
| Vor allem Schulz hat ein zwiespältiges Verhältnis zur Kanzlerin, die ihm im | |
| Wahlkampf auswich und ihn damit in Rage brachte. Merkel soll Schulz seitdem | |
| nicht mehr so ganz richtig ernst nehmen – auch ein Problem für rationales | |
| Verhandeln. | |
| Wer ist der wichtigste Akteur? Merkel. Ist sie noch stark genug, der SPD zu | |
| geben, was die braucht – auch mal gegen CDU-Wirtschaftsflügel und CSU? Die | |
| Zeit für eine Antwort ist knapp – 39 Verhandler, ein Dutzend Themen und nur | |
| sechs Tage Sondierung. Bei Jamaika ließ Merkel viel laufen. Jetzt muss sie, | |
| obwohl geschwächt, führen. | |
| 5 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
| Ulrich Schulte | |
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