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# taz.de -- Schwarz-rote Sondierungsgespräche: Klar zum flotten Dreier
> Union und SPD wollen nur sechs Tage sondieren. Schon Mitte Januar soll
> feststehen, ob es zu Koalitionsverhandlungen kommt.
Bild: Angela Merkel ist ihrem Ziel einer Großen Koalition ein Stück nähergek…
Berlin taz | Bei SPD-Parteitagen gehört die Rede von Gewerkschaftern zum
Ritual. Aber dass ein DGB-Chef den Genossen so direkt den Weg leuchtet, wie
es Reiner Hoffmann Anfang Dezember in Berlin tat, ist selten. Am Ende ruft
er in Pott-Idiom in den Saal, dass die SPD sehen muss, ob sie „eine neue
Regierung mittragen kann“. Die Botschaft ist klar: Die Gewerkschaften
hoffen auf die Große Koalition, auch Linke wie Verdi-Chef Frank Bsirske.
Sie drängen die zögerliche SPD.
Das war vor eineinhalb Wochen. Mittlerweile steht der Fahrplan für die
Wiederauflage einer Großen Koalition. Am 7. Januar wollen CDU, CSU und SPD
in die Sondierungen einsteigen. Schon sechs Tage später sollen die
Sondierungen beendet sein. Das Ergebnis solle anschließend in den
Parteigremien und Fraktionen beraten werden, teilten CDU, CSU und SPD am
Mittwoch nach gut siebenstündigen Beratungen in Berlin mit. Am 21. Januar
soll in Bonn ein SPD-Sonderparteitag grünes Licht für die Aufnahme von
Koalitionsverhandlungen geben. Ostern könnte die Merkel-Schulz-Regierung
fix sein.
Der Plan für die Sondierungen wurde am Mittwoch im Jakob-Kaiser-Haus
entworfen. Man vereinbarte 15 Themencluster – von Finanzen und Steuern bis
Europa. Es war Martin Schulz’ 62. Geburtstag, der SPD-Chef konferierte mit
CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Oberhaupt Horst Seehofer sowie den
FraktionschefInnen und dem Landesgruppenchef. Um Inhaltliches soll es
eigentlich noch nicht gehen. Martin Schulz hat seinen GenossInnen
versprochen, ergebnisoffen mit der Union zu reden, auch über eine
Minderheitsregierung.
Aber so offen, wie Martin Schulz es darstellt, ist die Situation
keineswegs. Am Montag hat die Kanzlerin die Bremse gezogen. Im
Adenauer-Haus sagte sie, ihre Partei strebe eine „stabile Regierung“ an.
Und das bedeute, „nicht mit wechselnden Mehrheiten abzustimmen“. CSU-Chef
Seehofer verhöhnte die von der SPD-Linken ins Spiel gebrachte lockere
„Kooperationskoalition“ als „Krabbelgruppe“. Und Merkel machte klar, da…
das mit der CSU ausgehandelte „Regelwerk zur Migration“ Grundlage der
Gespräche ist.
Das ist harter Tobak. Um die SPD-Basis auf Kurs zu bringen, braucht die
Parteispitze Erfolge. Mehr Geld für Pflege oder Infrastruktur, worauf sich
die Parteien einigen können, reicht nicht. Die sinnstiftende Erzählung für
die SPD soll die Rettung der EU sein, die von Warschau bis Wien von rechts
unter Beschuss genommen wird. En détail, vermuten Spitzen-Genossen, kann
man sich mit Merkel einigen. Martin Schulz hat zwar kürzlich einen
europäischen Bundesstaat 2025 in den Himmel gemalt – aber das war
Parteitagslyrik.
## Jenseits von Sonntagsreden
Schulz ist in der Europafrage Realo. Im Wahlkampf musste man bei ihm
Abweichungen von Schäubles Sparpolitik mit der Lupe suchen. In der Frage,
ob es in der EU mehr Investitionen geben muss, trennt Schulz und Merkel
nicht Ja und Nein – sondern wie viel. Auch die SPD ist, jenseits von
Sonntagsreden, vorsichtig, wenn es gilt, mehr deutsche Euros nach Brüssel
zu transferieren. Die Praxis der Merkel-Schulz-Regierung könnte jener der
alten ähneln: Ja zu Europa, aber zu deutschen Bedingungen.
Also ist alles eingetütet für die Große Koalition? Nicht ganz. Die Union
ist auf die Koalitionsbereitschaft der Sozialdemokraten angewiesen. Aber
Angela Merkel ist nicht mehr so frei wie früher. Sie steht innerparteilich
unter Druck. Noch vor drei Jahren hätte sie eine Ansage gemacht, wohin die
CDU ihr folgen soll. Jetzt legt sie großen Wert darauf, die Beschlusslage
der Union gerade beim Thema Flüchtlingspolitik zu erwähnen. Und bei der
Aufzählung ihrer zwölf CDU-DelegationsteilnehmerInnen fällt auf, wer fehlt:
Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Statt seiner sitzt aber einer von
Merkels lautesten Kritikern mit am Tisch: CDU-Präsidiumsmitglied und
Finanzstaatssekretär Jens Spahn.
Dass Merkel ausgerechnet Spahn einbindet, ist ein Zeichen an den Nachwuchs.
Der 37-Jährige Münsterländer hat beste Verbindungen zum Industrie- und
Arbeitgeberflügel. Und einen guten Sensor für gesellschaftliche Stimmungen.
Spahn kritisiert offen innere Sicherheit, Islamverbände oder zuletzt
Antisemiten vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Das klingt oft, als sei
nur die Regierungspartei CDU dafür verantwortlich. Und jede seiner
Äußerungen wird gierig auf Merkel-Kritisches untersucht. Auch die erneute
Große Koalition sieht Spahn nicht als Muss – und hat dabei zumindest Teil
der Arbeitgeber hinter sich, die sozialpolitische SPD-Forderungen ablehnen.
## „Kein einfacher Ritt“
Juso-Chef Kevin Kühnert ist der Kopf der Groko-Gegner in der SPD. Er
prophezeit, dass der Parteitag in Bonn am 21. Januar für Martin Schulz
„kein einfacher Ritt“ wird. „Der Erwartungsdruck in der SPD ist extrem
hoch“, so Kühnert zur taz. Der Ablaufplan der SPD sieht eine Reihe von
Kontrollen vor, ehe die nächste Große Koalition gebildet werden kann. So
soll in Bonn grünes Licht für die Koalitionsverhandlungen gegeben werden.
Danach muss die Basis, wie schon 2013, Ja zum Koalitionsvertrag sagen.
Kühnert verlangt schon am 21. Januar Resultate von Schulz & Co. „Die
Ergebnisse der Sondierungen müssen sehr konkret sein – zu jedem einzelnen
Punkt der elf SPD-Forderungen“, sagt Kühnert. „Bloße Absichtserklärungen,
etwa das Gesundheitssystem zu verbessern, reichen nicht. Nach den
Sondierungen muss klar sein, was beispielsweise mit der Bürgerversicherung
wird.“
Die ist eine neuralgischer Punkt. Bei keinem Thema ist der Dissens so groß,
sind die die Ankündigungen im Vorfeld so hart formuliert – außer der
Migration von CSU-Seite vielleicht. Denn die Union will auf keinen Fall Ja
zur langfristigen Abschaffung der privaten Krankenversicherungen sagen.
Wohl auch aus innerparteilichem Kalkül.
Das jedenfalls legt eine am Dienstag veröffentlichte Studie der CDU-nahen
Konrad-Adenauer Stiftung nahe. In der Untersuchung wird die Kluft zwischen
Basis und Parteiführung deutlich. Aus der Perspektive der Mitglieder
befinde sich die CDU „als Partei deutlich links von der eigenen Position“,
so der Befund. Das ist vor allem deshalb interessant, weil die Befragung
der 7.000 Mitglieder im Frühling 2015 durchgeführt wurde. Mittlerweile, gut
zwei Jahre nach dem Flüchtlingssommer, dürfte die Lücke noch tiefer sein.
Und da soll die Union nun noch die Reform wie die SPD-Bürgerversicherung
mit tragen?
## Schwierige Kompromisssuche
Auch Fachpolitiker der Union sehen das Problem, dass die privaten
Krankenversicherungen für ihren Kunden immer teurer werden – und sich
vielleicht irgendwann selbst abschaffen werden. Aber die Kompromisssuche
bei der Bürgerversicherung wird schwierig. Denn letztlich gibt es da nur –
Ja oder Nein. Und nicht, wie bei Europa – Verhandlungen über mehr oder
weniger.
Bei der Union befürchtet man, die SPD könne sich in die Bürgerversicherung
verbeißen. Merkel betont zwar, man sehe Möglichkeiten, die Lage von
ÄrztInnen und PatientInnen zu verbessern, also zusätzliches Geld fließen zu
lassen. Bei der Bürgerversicherung befürchten die Konservativen jedoch den
Unmut der ArbeitgeberInnen. Paul Ziemiak, Chef der Jungen Union, sagt dazu
der taz: „Eine Einheitskasse, wie die SPD sie will, lehnen wir ab.“ Eine
Groko müsse dafür sorgen, dass „nicht alle Menschen gleich schlecht
versorgt werden“.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach versichert: „Die Bürgerversicherung
ist „für uns ein sehr wichtiger Punkt“. Allerdings sagt Lauterbach auch:
„Wir ziehen für die Gespräche keine rote Linien.“
Gibt es einen Kompromiss beim Gesundheitssystem? Vielleicht. So ist zu
erwarten, dass die Union den Genossen bei der Wiederherstellung der
paritätischen Finanzierung im Gesundheitssystem entgegenkommt. Will sagen:
Arbeitgeber zahlen dann wieder genauso viel wie die Arbeitnehmer. Diese
Parität hatte einst Rot-Grün aufgehoben. Deshalb dürfte es der Union
leichter fallen, die SPD-Aufräumarbeiten bei Hinterlassenschaften der
Schröder-Ära durchzuwinken. Allerdings geht es dabei um echte Beträge: Jahr
für Jahr müssten Arbeitgeber Milliarden Euro mehr zahlen, Arbeitnehmer
entsprechend weniger, mit steigender Tendenz. Denn Gesundheit und Pflege
werden teurer.
## Juso-Chef will konkrete Absprachen
Martin Schulz braucht, um beim Parteitag am 21. Januar eine Mehrheit für
die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zu bekommen, ein Symbol. Rot-grüne
Fehler zu korrigieren reicht nicht. Auch das wolkige Versprechen, dass das
Parlament freier und nicht mehr, wie bei der letzten Großen Koalition,
bloße Abstimmungsmaschine sein soll, wird nicht genügen. Der selbstbewusste
Juso-Chef Kevin Kühnert kündigt schon mal an: „Der Versuch am 21. Januar,
das Wichtige in mögliche Koalitionsverhandlungen auszulagern, wird
scheitern.“
Es wird eine Herausforderung, in den Sondierungen schon etwas wirklich
Vorzeigbares zu erreichen. Bis jetzt hat nur die kleine Sechserrunde
lautlos und effektiv den Plan festgelegt. Twitterten die TeilnehmerInnen
aus den Jamaika-Sondierungen munter Eindrücke und Selfies, geben sich SPD
und Union nun verschlossen.
Klar ist: Die Sondierungen werden anders. Allein die CSU hat 19 für sie
wichtige Themen angemeldet, die CDU 15 und die SPD 12. Und die Runde der
Verhandler wird groß – insgesamt 36 PolitikerInnen. Das klingt schon fast
nach Jamaika-Sondierungen, die zäh verliefen.
Das aber können sich die SPD-Verhandler nicht erlauben. Schulz und Nahles
müssen in Windeseile ein paar Erfolge erzielen. Mal sehen, ob die Union
bereit ist, sich dem Zeitplan der SPD zu fügen.
20 Dec 2017
## AUTOREN
Anja Maier
Stefan Reinecke
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