# taz.de -- Sozialpolitik in der Großen Koalition: Bewegt sich da was? | |
> Gesundheit, Wohnen, Rente, Pflege: Für den Fall einer Groko streiten SPD | |
> und Union über große Fragen. Einige Kompromisse sind möglich. | |
Bild: Ein paar Cents: Gibt es bald mehr Rente für Kleinverdiener? | |
Berlin taz | Wer wovon profitiert und wie gerecht das ist, das ist oft | |
nicht so einfach auszumachen. Zum Beispiel Christoph M., gut verdienender | |
Unternehmer in Berlin, 56 Jahre alt, CDU-Wähler: „Eine Bürgerversicherung | |
wäre großartig“, sagt M., „dann kann ich endlich aus meiner Privatkasse | |
raus.“ Diese kostet ihn 600 Euro im Monat, Tendenz steigend. M., zucker- | |
und herzkrank, hofft auf einen billigeren gesetzlichen | |
Krankenversicherungsschutz – durch ein Projekt der SPD. | |
Die „Bürgerversicherung“ steht als eines der Großprojekte der SPD im Raum, | |
denen die Union im Falle einer Großen Koalition auf keinen Fall zustimmen | |
dürfte. Auch wenn sich viele Menschen über die Privilegierung der | |
Privatversicherten ärgern – die Übergangsprobleme bei Einführung einer | |
„Bürgerversicherung“ wären groß. Dafür müssten private und gesetzliche | |
Krankenkassen langfristig zu einer einzigen Kasse verschmolzen werden. Die | |
Beiträge dazu wären – wie bei der gesetzlichen Kasse – einkommensabhängi… | |
In der Übergangsphase sollte laut SPD der Übertritt von der privaten in die | |
gesetzliche Kasse freiwillig sein. Leute wie Christoph M., die unter hohen | |
Prämien leiden, aber bisher nicht in die gesetzliche Kasse wechseln dürfen, | |
würden profitieren. | |
Wird die Bürgerversicherung eingeführt, sollen die Ärzte die gleichen | |
Honorare für gesetzlich und privat Versicherte bekommen. Gegen diese Pläne | |
einer „Einheitskasse“ protestieren Mediziner und Privatkassen | |
erwartungsgemäß vehement. | |
Die Gesamthonorarsumme für Ärzte solle jedoch gleich bleiben, beschwichtigt | |
der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Dies wiederum würde bedeuten, | |
dass die Ärzte mehr Geld aus der Bürgerversicherung erhalten müssten. Der | |
Kieler Gesundheitsökonom Thomas Drabinski rechnet bei Einführung der | |
Bürgerversicherung mit einem Anstieg der Beiträge für die gesetzlichen | |
Krankenkassen in Höhe von 1,5 Prozent. | |
## Minikompromiss möglich? | |
Die meisten Beamten sind privat versichert. Ihre Tarife sind günstig, weil | |
der Staat einen Großteil der Behandlungskosten für die Beamten als | |
„Beihilfe“ übernimmt. So überrascht es wenig, dass auch der Beamtenbund | |
Sturm gegen die Idee der Bürgerversicherung läuft. Sein Chef kanzelt den | |
Vorschlag als „fahrlässige Sozialpolitik“ ab. | |
Protestierende Ärzte, wütende Beamte und eine Union, die das Projekt | |
rundherum ablehnt – mit der Bürgerversicherung wird es wohl nichts. Aber | |
womöglich ist ein Minikompromiss möglich, könnte die SPD erfolgreich für | |
einen Teilaspekt der Bürgerversicherung kämpfen: Denn in deren Rahmen soll | |
der Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung wieder hälftig, also | |
„paritätisch“, von Arbeitgebern und -nehmern bezahlt werden. | |
Hier könnte die Union sich vielleicht auf die SPD zubewegen. Schließlich | |
wurden die Krankenkassenbeiträge bis zum Jahr 2005 immer hälftig von | |
Arbeitgebern und -nehmern finanziert, also auch zu Zeiten der | |
Kohl-Regierung. Erst im Juli 2005 kam es zu einem ersten Sonderbeitrag für | |
die Arbeitnehmer, im Jahre 2009 wurde der Arbeitgeberbeitrag auf 7,3 | |
Prozent (Arbeitnehmer: 8,2 Prozent) eingefroren. Das Argument für die | |
Deckelung der Arbeitgeberbeiträge war die angeblich hohe Belastung der | |
Unternehmen durch die hohen Lohnnebenkosten. Heute boomt die Wirtschaft, | |
eine höhere Belastung der Arbeitgeber durch den exakt hälftigen | |
Krankenkassenbeitrag ist wieder denkbar. | |
Auf anderen Feldern der Sozialpolitik sind gleichfalls Annäherungen | |
zwischen Union und SPD möglich. Die Union will, dass 1,5 Millionen | |
Wohnungen in dieser Legislaturperiode errichtet werden. Wobei die Union mit | |
einem großzügigen Baukindergeld von 12.000 Euro je Kind, auf eine Dekade | |
verteilt, vor allem das Wohneigentum fördern möchte. Die SPD wiederum | |
spricht sich vor allem dafür aus, den Mietwohnungsbau zu unterstützen, hat | |
einen künftigen sozialen Wohnungsbau mit Mietobergrenzen aber nicht | |
spezifiziert. | |
Wo sich beide Parteien treffen können: Sowohl die Union als auch die SPD | |
sind dafür, künftig Grundstücke der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben | |
(Bima), also im Bundesbesitz, verbilligt an Kommunen abzugeben, wenn diese | |
darauf bezahlbare Wohnungen errichten. Die Bima verfügt über 480.000 Hektar | |
Grundstücksfläche. Darunter ist auch ein großes „Verkaufsportfolio“ von | |
nicht mehr genutzten Flächen etwa der Streitkräfte und ehemaligen | |
Besatzungsmächte. Diese Bundesflächen sind potenzielles Bauland für | |
Wohnungen. | |
## „Solidarrente“ für Kleinverdiener | |
Kompromisse könnten sich auch in bestimmten Fragen der Rente ergeben. Die | |
SPD möchte eine „Solidarrente“ einführen für Kleinverdiener, die mit ihr… | |
Regelaltersrente nur auf Hartz-IV-Niveau kommen. Wer 35 Jahre eingezahlt | |
hat, soll durch die „Solidarrente“ zumindest auf ein Niveau kommen, das | |
zehn Prozent höher liegt als Hartz IV. | |
Die Union erwähnte eine solche Zuschussrente zwar nicht mehr im | |
Wahlprogramm 2017. Die ehemalige CDU-Sozialministerin Ursula Leyen hatte in | |
der vorvorigen Legislaturperiode aber die „Zuschussrente“ als Erste ins | |
Gespräch gebracht. | |
Auch in der Pflege könnte man aufeinander zugehen: Die SPD spricht sich in | |
ihrem Wahlprogramm für ein „Sofortprogramm“ für mehr Personal in der | |
Altenpflege aus. Auch die Union will die Altenpflege fördern, nennt aber | |
keine Details. Ein Knaller verbirgt sich in einem Punkt des | |
CDU/CSU-Programms: „Kinder pflegebedürftiger Eltern … wollen wir besser vor | |
einer Überforderung schützen. Ein Rückgriff auf Kinder soll erst ab einem | |
Einkommen von 100.000 Euro erfolgen“, heißt es. Damit könnte die Union | |
punkten bei der Mittelschicht: Die Angst, sein Vermögen drangeben zu | |
müssen, wenn die Eltern ins Pflegeheim gehen, ist groß. | |
Wenn aber ein Sohn mit 90.000 Euro Jahreseinkommen nicht für die Pflege der | |
Eltern mitzahlen soll, wenn die Privilegien der Beamten geschützt werden, | |
wenn darüber gesprochen wird, Privatversicherte wieder günstig in die | |
gesetzliche Krankenkasse wechseln zu lassen, wenn vor allem Wohneigentum | |
gefördert wird, dann stellt sich die Frage: Wem nützt das alles, und wer | |
zahlt dafür? Wer gehört zu der Mittelschicht, die da geschützt werden soll? | |
Was wäre links oder rechts, was sozialdemokratisch an diesen Kompromissen? | |
12 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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