# taz.de -- Debatte Grundeinkommen: Gerechtigkeit geht anders | |
> Das bedingungslose Grundeinkommen hilft nicht gegen Armut. Wer sie | |
> verringern will, darf keine Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip | |
> machen. | |
Bild: Geld für alle? So einfach ist es nicht | |
Die [1][Idee des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE)] besteht darin, die | |
Existenz aller (Wohn-)Bürger ohne Ansehen der Person, ohne Arbeitspflicht | |
und ohne besonderen Nachweis zu sichern. Tatsächlich aber würde es den | |
bestehenden Sozialstaat zerstören, ohne die Armut verringern und für mehr | |
Gerechtigkeit sorgen zu können. | |
Bedarfsgerechtigkeit schafft das Grundeinkommen deshalb nicht, weil es alle | |
Bürger über einen Kamm schert, ohne deren spezifische Arbeits- und | |
Lebenssituation, etwa als Wohnungsloser oder Schwerbehinderter, zu | |
berücksichtigen. Und Leistungsgerechtigkeit verwirklicht das Grundeinkommen | |
deshalb nicht, weil alle Bürger, unabhängig von ihrer Arbeits- oder | |
Lebensleistung, es in gleicher Höhe erhalten. Auch Verteilungsgerechtigkeit | |
ermöglicht das Grundeinkommen nicht, weil keinerlei Umverteilung von oben | |
nach unten stattfindet, wenn jeder (Wohn-)Bürger denselben Geldbetrag | |
erhält. | |
Begründet wird die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen | |
neuerdings oft mit der Digitalisierung. Modebegriffe wie „Industrie 4.0“ | |
oder „Internet der Dinge“, Bilder von einer menschenleeren Fabrik und | |
Horrorszenarien, wonach die Herrschaft der Algorithmen für einen Großteil | |
der arbeitsfähigen Bevölkerung sämtliche Verdienstmöglichkeiten beseitigt, | |
lassen das Grundeinkommen zum letzten Rettungsanker in einer aus den Fugen | |
geratenen Welt erscheinen. | |
Dabei ist jegliche Panikmache unangebracht, weil der Gesellschaft auch bei | |
früheren wissenschaftlich-technischen Umbrüchen, etwa der Mechanisierung, | |
der Elektrifizierung, der Motorisierung und der Computerisierung, nie die | |
(Erwerbs-)Arbeit ausging, obwohl ähnliche Kassandrarufe ertönten. | |
## Leiharbeiter, Crowdworker, „Generation Praktikum“ | |
Statt das digitale Prekariat mittels Grundeinkommen ruhigzustellen, müssten | |
sich die ökonomischen und politischen Eliten bemühen, die Lage der prekär | |
Beschäftigten durch einen höheren Mindestlohn ohne Ausnahmetatbestände und | |
durch weitere Arbeitszeitverkürzungen zu verbessern. Leiharbeiter, | |
Crowdworker und die „Generation Praktikum“ brauchen in einer so produktiven | |
Volkswirtschaft entsprechende Löhne und mehr soziale Rechte, aber keinen | |
Pauschalbetrag zur Sicherung des Überlebens. | |
Die linken BGE-Befürworter gehen davon aus, dass seine Bezieher schwere | |
beziehungsweise schmutzige Arbeiten meiden und so insgesamt für erträgliche | |
Arbeitsbedingungen und angemessene Löhne sorgen. Wahrscheinlicher ist | |
allerdings das Gegenteil: Weil das Grundeinkommen seinen Beziehern schon | |
aus Kostengründen höchstens eine spartanische Lebensführung ermöglicht, | |
ihre Existenz aber auf einem Minimalniveau sichert, könnten die Menschen | |
auch schlechter entlohnte Jobs annehmen, ohne darben zu müssen. | |
Ein neoliberales Kombilohnmodell wie das finnische, [2][bei dem Arbeitslose | |
ein Grundeinkommen auf Hartz-IV-Niveau erhalten], zu dem sie unbegrenzt | |
hinzuverdienen dürfen, mag für Transferleistungsbezieher im Einzelfall | |
attraktiv sein. Es fördert aber Lohndumping, das Nachteile für Millionen | |
abhängig Beschäftigte mit sich bringt, weil der Staat die Lebenshaltung | |
potenzieller Arbeitskräfte finanziert und an [3][Extraprofiten orientierte | |
Unternehmer nur noch wenig Lohn drauflegen müssen], damit sich | |
Erwerbsarbeit für Grundeinkommensbezieher lohnt. | |
Das bedingungslose Grundeinkommen erscheint utopisch, abgehoben und | |
realitätsblind, weil es sämtliche Individuen, unabhängig von Alter, | |
Herkunft und Besitz, gleichbehandelt. Was in der politischen und | |
Rechtssphäre angemessen ist, wirkt auf ökonomischem und sozialem Gebiet | |
paradox: Einer wohnungslosen Bettlerin in der Großstadt, einem arbeitslosen | |
Jugendlichen aus der Hochhaussiedlung am Stadtrand, einer Landarbeiterin | |
und einem pensionierten Ministerialrat im Eigenheim steht dieselbe | |
Geldsumme zu. Wer die Armut verringern will, muss die davon Betroffenen | |
gezielt unterstützen, darf aber keine Sozialpolitik nach dem | |
Gießkannenprinzip machen. | |
## Keinen großer Unterschied zur jetzigen Situation | |
Gibt der Staat einem Multimilliardär genauso viel wie einem Müllwerker und | |
einer Multijobberin, zementiert er damit die bestehende | |
Verteilungsschieflage. Wenn er Besserverdienenden und Vermögenden das | |
Grundeinkommen vorenthielte oder es ihnen im Rahmen der Steuerfestsetzung | |
wieder abzöge, um zu sparen, dann wäre es nicht mehr bedingungslos, sondern | |
an die Voraussetzung geknüpft, dass andere Einkommensquellen fehlen. | |
Nun würde eben das Finanzamt statt des Jobcenters überprüfen, ob Einkünfte | |
aus Schwarzarbeit existieren, was die Zahl der Kontrollierten | |
vervielfachen, für Hartz-IV-Betroffene aber keinen großen Unterschied zur | |
jetzigen Situation machen würde. | |
Weil es die AfD stärken würde, wäre das bedingungslose Grundeinkommen auch | |
eine Gefahr für die Demokratie. Fremdenfeindliche und rassistische Diskurse | |
bekämen Auftrieb durch das Argument, nunmehr könnten zahllose | |
„Wirtschaftsflüchtlinge“ aus aller Welt nach Deutschland strömen, um durch | |
den Grundeinkommensbezug „anstrengungslosen Wohlstand“ zu erlangen. Würde | |
man es Migranten deshalb erst nach vielen Jahren ihres legalen Aufenthalts | |
gewähren, könnte zwar von Bedingungslosigkeit keine Rede mehr sein, aber | |
von einer neuartigen Zweiklassengesellschaft. | |
Die linken BGE-Modellvarianten wollen das Grundeinkommen weder über | |
Verbrauchsteuern (wie Götz Werner) noch über eine Flat Tax (wie Thomas | |
Straubhaar), sondern über höhere Einkommen-, Gewinn- oder Vermögensteuern | |
finanzieren, sind im öffentlichen Diskurs aber gegenüber neoliberalen | |
Konzepten völlig chancenlos und verbessern höchstens deren | |
Realisierungschancen. | |
Auf das Grundeinkommen könnte man getrost verzichten, wenn ein gerechteres | |
Steuersystem zu seiner Refinanzierung durchsetzbar wäre. Denn mittels der | |
zusätzlichen Staatseinnahmen ließe sich der Sozialstaat fortentwickeln, zu | |
einer solidarischen Bürgerversicherung ausbauen sowie um eine | |
bedarfsgerechte, armutsfeste und repressionsfreie Grundsicherung ergänzen. | |
7 Jan 2018 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Butterwegge | |
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