| # taz.de -- Pro & Contra zum Grundeinkommen: Es kostet nicht Geld, sondern Macht | |
| > Finnland testet das Grundeinkommen und auch hier reißt die Debatte darum | |
| > nicht ab. Die Frage ist nach wie vor: Wer soll das bezahlen? | |
| Bild: Wie viele Deutsche wünschen sich eigentlich das Grundeinkommen? | |
| PRO | |
| Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen haben die Menschen nicht mehr | |
| Geld, aber mehr Macht. Sie können mehr selbst darüber bestimmen, was sie | |
| tun und was sie lassen. Das Grundeinkommen ist eine Ermächtigung zur | |
| Selbstermächtigung. Warum das wichtig ist? Weil, wer existenziell | |
| abgesichert ist, weniger manipulierbar ist. | |
| Die Bedingungslosigkeit des eigenen Einkommens fördert Freiheit und | |
| Verantwortung. Wie soll ich etwas verantworten, das ich nur aus | |
| existenzsichernden Gründen mache? Ein bedingungsloses Grundeinkommen | |
| ermöglicht es, nein zu sagen. Man muss weniger, kann und will aber mehr – | |
| das bestätigt die Motivationsforschung. | |
| Anscheinend aber macht die Vorstellung einer Gesellschaft ohne | |
| Existenzangst vielen Menschen Angst. Sie befürchten, dass viele nicht mehr | |
| ausreichend arbeiten würden, dass eine solche Gesellschaft eine Sogwirkung | |
| haben könnte auf Migranten. | |
| Die meisten befürchten oder glauben zudem, dass sich das bedingungslose | |
| Grundeinkommen nicht finanzieren ließe. Die Frage ist daher: Wie können wir | |
| eine solche Machtumverteilung finanzieren? | |
| Dazu drei Gedanken: | |
| 1. Wovon reden wir? Alle Menschen in Deutschland haben bereits ein | |
| Grundeinkommen. Das bedingungslose Grundeinkommen wäre kein zusätzliches | |
| Einkommen, sondern ein grundsätzliches. Es würde den Teil des bestehenden | |
| Einkommens in der Höhe des Grundeinkommens ohne Bedingungen garantieren. | |
| Ein Beispiel: Jemand hat ein Erwerbseinkommen von 3.000 Euro. Wenn das | |
| Grundeinkommen bei 1.000 Euro läge, verdiente diese Person nun nicht 4.000 | |
| Euro, sondern immer noch 3.000 Euro – davon aber 1.000 Euro bedingungslos. | |
| Beim bedingungslosen Grundeinkommen handelt es sich um das bestehende Geld, | |
| nur anders ausbezahlt. | |
| 2. Wie soll es funktionieren? Das Geld würde mittels einer | |
| Grundeinkommensteuer finanziert. Zu welchen Modalitäten und wie diese | |
| Steuer realisiert wird, ist politisch zu entscheiden. Je nach Steuerart | |
| werden die einen etwas mehr ausbezahlt bekommen, als sie einzahlen. Andere | |
| mehr einzahlen, als sie mit dem Grundeinkommen ausbezahlt bekommen. | |
| Insgesamt wäre es nicht mehr Geld, finanziell gesehen also ein | |
| Nullsummenspiel. Dafür braucht man keinen Taschenrechner. Das muss man | |
| wollen. | |
| 3. Kann man das finanzieren? Volkswirtschaftlich würde etwa ein Drittel des | |
| Bruttoinlandsprodukts zu bedingungslosem Einkommen werden, in Deutschland | |
| rund eine Billion Euro im Jahr. Der größte Teil davon wären, wie | |
| angedeutet, die bestehenden Erwerbseinkommen im Umfang von rund 550 | |
| Milliarden Euro. Der zweitgrößte Teil wären die staatlichen | |
| Sozialleistungen, die in der Höhe des Grundeinkommens bedingungslos würden | |
| (etwa 300 Milliarden Euro). Genauso verhielte es sich bei den bestehenden | |
| privaten Transferzahlungen, zum Beispiel innerhalb der Familie (in der | |
| Summe sind das geschätzte 150 Milliarden Euro). | |
| Das Grundeinkommen kostet nicht Geld, sondern Macht. In der Schweiz wollten | |
| es 2016 bereits 23 Prozent. Wie viele wären es in Deutschland? | |
| Von Daniel Häni – er ist Schweizer Unternehmer und hat die Initiative „Für | |
| ein bedingungslosen Grundeinkommen“ gegründet. | |
| *** | |
| CONTRA | |
| Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine wunderbare Utopie, denn es | |
| verspricht Freiheit und Selbstverwirklichung. Doch gibt es einen Haken: Es | |
| lässt sich nicht finanzieren. | |
| Die Befürworter warten mit Mogelrechnungen auf. Beliebt ist etwa diese | |
| Variante: Würde man jedem Bundesbürger jeden Monat 1.000 Euro auszahlen, | |
| wären dies 984 Milliarden Euro im Jahr. Da trifft es sich doch gut, dass | |
| die Sozialausgaben des deutschen Staates fast genauso hoch liegen: Im Jahr | |
| 2015 waren es genau 923,4 Milliarden Euro. Die kleine Lücke von etwa 60 | |
| Milliarden müsste sich doch mühelos schließen lassen! | |
| Das erste Problem: Längst nicht alle Sozialausgaben sind sogenannte | |
| Transferleistungen, die den Unterhalt von Menschen finanzieren. Stattdessen | |
| werden oft lebenswichtige Dienstleistungen bezahlt. Vor allem die Kranken- | |
| und Pflegekassen dienen dazu, die Arbeit von Ärzten, Krankenhäusern und | |
| Altersheimen abzugelten. Rechnet man diese Posten heraus, bleiben im | |
| deutschen Sozialtopf nur noch etwa 643,6 Milliarden Euro übrig. Dies wären | |
| rund 654 Euro pro Person und Monat. | |
| Aber selbst diese kümmerliche Summe ist eine theoretische Luftbuchung, denn | |
| der größte Posten im deutschen Sozialhaushalt sind die Renten und | |
| Pensionen. Zusammen machen sie 336 Milliarden Euro aus. | |
| Die Fans des Grundeinkommens sprechen es nie offen aus, aber sie müssten | |
| Millionen von Rentnern und alle Pensionäre enteignen. Ein Beamter im | |
| Ruhestand erhält durchschnittlich 2.780 Euro im Monat. Er müsste also 2.126 | |
| Euro abgeben, wenn es nur noch ein Pro-Kopf-Einkommen von 654 Euro im Monat | |
| geben soll. Das wird nichts, solange der Beamtenbund existiert. | |
| ## Sozialausgaben sind fest verplant | |
| Auch die normalen Rentner würden verlieren, denn sie erhalten im Schnitt | |
| monatlich 801 Euro – bescheiden, aber mehr als 654 Euro. Um diese leidigen | |
| Umverteilungsdebatten zu vermeiden, bliebe wohl nur, Rentner und Pensionäre | |
| zu schonen und beim Umbau zur Grundsicherung gar nicht zu berücksichtigen. | |
| Man würde also nur mit den „echten“ Sozialleistungen rechnen – | |
| Unfallversicherung, Arbeitslosenversicherung, Kindergeld, Erziehungsgeld, | |
| Hartz IV, Sozialhilfe und Wohngeld – und diese Summe auf alle Nichtrentner | |
| umlegen. Heraus kämen 264,29 Euro im Monat für jedes Kind und jeden | |
| Erwachsenen, der noch nicht Ruheständler ist. | |
| Ist ja auch schön, könnten vielleicht einige denken. Doch nichts ist schön. | |
| Für einen alleinstehenden Arbeitslosen würde es nicht zum Leben reichen. Er | |
| erhielte nur 264,29 Euro monatlich. Sonst nichts. Er würde in der | |
| Obdachlosigkeit landen. | |
| Fazit: Die Fans des Grundeinkommens tun so, als wären die Sozialausgaben | |
| des Staats frei verfügbar. Sie sind aber fest verplant. Für Pensionäre, | |
| Arbeitslose oder Krankenhäuser. | |
| Statt von einem bedingungslosen Grundeinkommen zu träumen, sollte man | |
| Realpolitik betreiben und ein bedingtes Grundeinkommen für Bedürftige | |
| einführen. Es spricht nichts dagegen, den Hartz-IV-Satz und die | |
| Mindestrente anzuheben. Dieses Geld wäre locker aufzubringen und würden das | |
| Leben für die Armen schöner machen. | |
| Von Ulrike Herrmann – sie ist Wirtschaftskorrespondentin der taz. | |
| 24 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Häni | |
| Ulrike Herrmann | |
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