# taz.de -- Schlechte Bedingungen für Doku-Filmer: Hätte, hätte, Auswertungs… | |
> Dokus boomen – doch die Bezahlung sind miserabel. Die Macher suchen nun | |
> auf anderen Wegen nach jener Anerkennung, die ihnen Sender versagen. | |
Bild: Hannes Jaenicke (2. v. r.) bei Factum Arte in Madrid, die Nachbildungen v… | |
Der Anblick beim Betreten der Großen Kuppelhalle ist beeindruckend: das | |
mächtige Reiterstandbild des Großen Kurfürsten, üppige Treppenaufgänge, ein | |
roter Teppich vor der Logowand des Senders. Zur Premiere der | |
Eigenproduktion „Guardians of Heritage – Hüter der Geschichte“ will man | |
beim Münchner Pay-TV-Sender History klotzen. Die dreiteilige | |
Dokumentationsreihe wird Anfang November prunkvoll in den zum | |
Weltkulturerbe gehörenden Räumlichkeiten des Bode-Museums gezeigt. | |
In der Basilika begrüßt Professor Doktor Günther Schauerte, Vizepräsident | |
der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Anwesenden vor dem Screening. | |
Die anschließende Podiumsdiskussion stellt die Protagonisten und | |
Verantwortlichen in den Mittelpunkt. | |
Unter der Leitung des senderverantwortlichen Produzenten Emanuel Rotstein | |
widmen sich die drei 45-minütigen Teile der Reihe dem Thema | |
Kulturzerstörung und der Frage nach kultureller Identität. Dafür schickte | |
der Sender die SchauspielerInnen Hannes Jaenicke, Christian Berkel, Ulrike | |
Folkerts, Clemens Schick, Aglaia Szyszkowitz und Esther Schweins an | |
Drehorte nach Jordanien, Kambodscha, in die USA, nach Kanada, Bosnien und | |
Herzegowina, Polen, Israel, Deutschland und Spanien. | |
„Uns ist es wichtig, dass sich die jeweiligen Prominenten in der | |
Vergangenheit bereits mit Menschenrechtsthemen auseinandergesetzt haben, | |
dass sie eine Stimme jenseits ihres schauspielerischen Schaffens haben, | |
dass sie sich für andere Menschen einsetzen und dass sie auch ein ganz | |
ehrliches geschichtliches Interesse haben“, begründet Rotstein die Auswahl | |
der bekannten Fernsehgesichter, die wichtige Aushängeschilder der | |
ambitionierten Produktion des Spartensenders sind. „Die Zerstörung von | |
Kultur gibt es seit Jahrtausenden“, so Rotstein, „und auf ihre Zerstörung | |
folgt die Zerstörung von Menschen. Der kulturelle Genozid geht dem echten | |
Genozid voraus.“ | |
## Bequem Zuhause konsumieren | |
Der Aufwand und das Engagement des Geschichtssenders passt zur weltweit | |
gestiegenen Popularität des Dokumentarfilmgenres. Neben Kinoerfolgen von | |
Regisseuren wie Michael Moore („Fahrenheit 9/11“), Joshua Oppenheimer („T… | |
Act of Killing“) oder Erwin Wagenhofer („We Feed The World“) bieten | |
Bezahlsender und Streaming-Plattformen ein wachsendes Angebot. Die Zeiten | |
scheinen gut für die Branche zu sein, freuen können sich aber nicht alle | |
darüber: „Die wirtschaftliche Situation der Dokumentarfilmer in Deutschland | |
ist prekär“, erklärt Regisseur und Produzent Stefan Eberlein, der Ende Juni | |
beim Deutschen Dokumentarfilmpreis des SWR in Stuttgart mit Kollegen | |
protestiert hat. | |
In ihrer Erklärung verweisen die zwölf nominierten Filmemacher auf die | |
Diskrepanz zwischen der anerkannten Bedeutung des Dokumentarfilmgenres und | |
dem Status, den diese Filme im Programm des öffentlich-rechtlichen | |
Fernsehens hätten. Man werde „als kulturpolitisches Lametta benutzt“, | |
verdiene selbst als auszeichnungswürdig erachtete Filmemacher umgerechnet | |
nur etwas über Mindestlohn. | |
„Innerhalb der Budgetierung gibt es eine Kultur des Kleinmachens“, sagt | |
Eberlein. „Der Sender zahlt in der Regel ungefähr drei bis vier Monate | |
Schnitt. Ich weiß aber, dass jeder Dokumentarfilm, der auf Festivals größer | |
rauskommt oder Preise gewinnt, mindestens zehn Monate lang geschnitten | |
worden ist, und ich habe sowohl in Deutschland als auch international sehr | |
viele Festivals besucht. Vor dieser Tatsache verschließt man aber die | |
Augen.“ | |
Dass Dokumentarfilmer in Zukunft nicht unbedingt von alten Strukturen und | |
Vertriebswegen abhängig sein müssen, zeigt das Beispiel des irischen | |
Regisseurs Frankie Fenton, dessen Film „It’s Not Yet Dark“ nach seiner | |
Deutschlandpremiere auf den Hofer Filmtagen nun landesweit über die | |
gängigen Video-on-Demand-Plattformen (VoD) zugänglich ist. „Obwohl das | |
Interesse und die Akzeptanz im Mainstream sicherlich immer größer werden | |
und die Dokumentarfilme selbst dadurch immer filmischer, konsumieren sie | |
die meisten Menschen auf der Welt bequem zu Hause“, erläutert er diese | |
Vertriebsentscheidung. | |
## Kein zwingender Widerspruch | |
„Uns ist klar, dass sich die Vertriebswege stark ändern“, weiß auch Kirst… | |
Niehuus, Geschäftsführerin der Filmförderung des Medienboard | |
Berlin-Brandenburg. „Wenn uns ein Produzent ein kohärentes | |
Auswertungskonzept darlegt, das vom Üblichen abweicht, aber überzeugend | |
ist, dann sind wir durchaus aufgeschlossen und bestehen nicht auf die | |
klassische Auswertungskette.“ | |
So unterstützte man beispielsweise die Berliner VoD-Plattform Realeyz beim | |
Kauf eines Kanals im Angebot von Amazon mit 200.685 Euro, „weil wir die | |
Überlegung interessant finden, neue potenzielle Zuschauer zu erreichen, die | |
nicht für einen Dokumentarfilm ins Kino gehen würden“. | |
Eberlein bestätigt das Interesse der Filmemacher an den neuen Möglichkeiten | |
durch Streamingdienste wie Netflix oder Amazon: „Ob aber die Idee greift, | |
dass diese Filme unabhängig vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen über VoD | |
grundsätzlich finanziert werden können? Da bin ich sehr skeptisch. Aus | |
meiner Sicht sind die Filme zu teuer, als dass sie so finanziert werden | |
können.“ Zudem weist er auf die Problematik hin, dass die neuen Player | |
keinem Kulturauftrag folgen, sondern kommerziellen Interessen. Doch | |
vielleicht muss das kein zwingender Widerspruch sein, wie der | |
internationale Serienboom in den vergangenen Jahren gezeigt hat. | |
25 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Mayer | |
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