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# taz.de -- Doku „The Miami Showband Massacre“: Das Ende der irischen Showb…
> Im Juli 1975 starben bei dem Massaker an der „Miami Showband“ fünf
> Menschen. Die Tat geschah auf dem Höhepunkts des nordirischen Konflikts.
Bild: Die „Miami Showband“ wurde auch die „irischen Beatles“ genannt
Ray Millar hatte Glück. Der Drummer fuhr am 31. Juli 1975 nach dem Konzert
seiner Miami Showband im nordirischen Banbridge mit seinem eigenen Wagen
zurück nach Dublin. Von den anderen fünf Bandmitgliedern, die im Tourbus
nach Hause unterwegs waren, überlebten nur Bandchef Des Lee und Bassist
Stephen Travers das Massaker an der Buskhill Road nicht weit von der
inneririschen Grenze.
Travers, der bei dem Anschlag schwer verletzt worden war, ist der Initiator
des Dokumentarfilms „The Miami Showband Massacre“ von Regisseur Stuart
Sender, der im März im Rahmen der achtteiligen ReMastered-Serie von Netflix
veröffentlicht wurde. Die Serie behandelt ungelöste Kriminalfälle aus dem
Bereich der populären Musik.
Netflix verspricht „bahnbrechende Entdeckungen und Einblicke, die über das
hinausgehen, was bisher bekannt“ geworden ist. Dieses Versprechen wird im
Fall der Miami Showband nicht eingehalten. Viele Fragen bleiben offen.
## Der Fall
Fest steht, dass die Band in jener Nacht von Soldaten des nordirischen
Regiments der britischen Armee an einer Straßensperre gestoppt wurde. Aber
die Soldaten waren auch Mitglieder der protestantisch-unionistischen
Terrororganisation Ulster Voluntee Force (UVF). Zwei der Soldaten wollten
eine Bombe in dem Bus verstecken, die die Bandmitglieder auf der
Weiterfahrt töten sollte. Aussehen sollte es aber wie ein Unfall, damit man
dann die Miami Showband als Bombenbeschaffer der Irisch-Republikanischen
Armee (IRA) denunzieren und die Grenze hermetisch abriegeln könnte.
Mitte der 70er war der Konflikt auf dem Höhepunkt. Sicherheitskräfte und
protestantisch-unionistische Kommandos wollten die Grenze abriegeln, um das
Rückzugsgebiet für die IRA abzusperren. Das erwies sich jedoch als
unmöglich bei mehr als 250 Grenzübergängen. Manche Straßen überqueren auf
10 Kilometern fünfmal die Grenze. [1][Das genau ist das Problem bei den
jetzigen Brexit-Verhandlungen.]
Die Bombe aber explodierte vorzeitig und tötete die beiden Soldaten. Die
anderen eröffneten daraufhin das Feuer. Der Sänger Fran O’Toole, der
Gitarrist Tony Geraghty und der Trompeter Brian McCoy starben im
Kugelhagel. O’Toole wurde von 29 Kugeln durchsiebt. Lee und Travers, der
erst sechs Wochen vorher zu der Band gestoßen war und schwer verletzt
wurde, identifizierten zwei der Mörder, die später zu lebenslangen
Haftstrafen verurteilt wurden. So weit die Fakten.
## Die Bands
Showbands waren unpolitisch. „Es war wie eine Therapie, zu einem ihrer
Auftritte zu gehen“, sagte ein Fan aus Nordirland, wo damals Anschläge und
Schießereien an der Tagesordnung waren. Showbands waren ein irisches
Phänomen, sie haben das kulturelle Leben auf der Grünen Insel lange
dominiert. Zu ihren Auftritten kamen oft mehr als 1.500 junge Leute. Die
Bands hatten sechs oder sieben Mitglieder, fast alle Männer, sie trugen
Anzüge und Krawatten oder Fliegen.
Die großen Showbands verdienten gut, die Musiker fuhren teure Autos und
hatten ihre eigenen Fanclubs. Auf dem Höhepunkt der Popularität Mitte der
sechziger Jahre tingelten 800 Bands durch das Land. Es war das Zeitalter,
in dem der Klerus den Tag und die Showbands die Nacht beherrschten, sagt
Derek Dean, der frühere Sänger der Freshmen Showband.
Das Repertoire der Bands war durchaus vielfältig. Sie spielten Tanzmusik,
aber auch Coverversionen von internationalen Hits, Rock ’n’ Roll sowie
Country and Western. So mancher Musiker, der später weltberühmt wurde,
hatte seine Karriere in einer Showband begonnen, [2][wie etwa Van
Morrison].
Die Musikhallen in den Städten waren Zweckbauten und aufwendig dekoriert.
Auf dem Land hingegen waren es Scheunen aus Betonschalsteinen am Rande von
Ortschaften. Sie lockten das Publikum mit bunten Lichtern und romantischen
Namen wie „Wonderland“ oder „Dreamland“. Veranstaltungen fanden in der
Regel zweimal im Monat statt, und die Jugend reiste aus dem Umkreis von
fünfzig Kilometern an. Alkohol wurde nicht ausgeschenkt, stattdessen gab es
an der Bar Schinkenbrote, Kartoffelchips, Tee, Kaffee und Limonade.
Mitte der siebziger Jahre begann der Niedergang der Showbands. Das lag zum
einen an den Diskotheken, die sich in den Städten ausbreiteten, denn anders
als in den Music Halls gab es dort Alkohol. Zum anderen änderte sich der
Musikgeschmack der jungen Leute. Ein wichtiger Faktor war auch das Massaker
an der Miami Showband, die als die „irischen Beatles“ galten. Danach
trauten sich viele Bands nicht mehr nach Nordirland, wo sie eine große
Fangemeinde hatten.
## Die Vermutungen
Travers und Lee hatten bei dem Massaker auch einen hochrangigen britischen
Soldaten gesehen. Dem wurde damals nicht nachgegangen. Nach Informationen
eines früheren Mitarbeiters des britischen Geheimdienstes, Fred Holroyds,
handelte es sich um Robert Nairac, der die Aktion mit dem berüchtigten
UVF-Mörder Robin Jackson, genannt „Schakal“, geplant hatte.
Die Idee dazu stammte angeblich vom britischen Inlandsgeheimdienst MI5. In
einem kürzlich bekannt gewordenen Brief beschwerte sich die UVF Ende der
siebziger Jahre darüber, dass sie fehlerhafte Zünder vom MI5 erhalten habe
– „wie im Fall der Miami Showband“.
In einer Dokumentation des irischen Fernsehens RTÉ behaupteten
UVF-Mitglieder 1987 hingegen, Nairac habe die Bombe absichtlich gezündet,
um Harris Boyle, einen der beiden dann getöteten Soldaten, auszuschalten.
Der hatte angeblich mit angesehen, wie Nairac einige Wochen zuvor den
IRA-Mann John Francis Green ermordet hatte.
Außerdem soll Nairac laut einer Dokumentation von Yorkshire Television die
UVF 1974 mit Sprengstoff für die Anschläge in Dublin und Monaghan versorgt
haben, bei denen 33 Menschen getötet wurden. Dennoch verlieh ihm die Armee
1979 posthum das Georgskreuz, die höchste zivile Auszeichnung für
Tapferkeit in Großbritannien, weil er trotz „Entführung und stundenlangen
Verhören durch die IRA keine Informationen preisgegeben“ habe.
## Das Gespräch
Der ehemalige IRA-Mann und Polizeiagent Eamon Collins erzählte mir in einem
Gespräch im Juni 1998 eine andere Version. Nairac war Verbindungsoffizier
des Militärgeheimdienstes. Er arbeitete gerne undercover ohne Wissen seiner
Vorgesetzten. So ließ er sich öfter von dem Offizierskollegen und späteren
Tory-Abgeordneten Patrick Mercer zu Kneipen in IRA-Hochburgen fahren.
Nairac hatte sich als Autoschlosser ausgegeben und nannte sich Danny
McErlaine. Der echte McErlaine wurde 1978 von der IRA erschossen, weil er
ihr Waffen geklaut hatte.
Am 14. Mai 1977 besuchte der damals 28-jährige Nairac das Three Steps Pub
in Dromintee. Im Laufe des Abends sang er aus vollem Hals das beliebte
IRA-Lied „The Broad Black Brimmer“, konnte auf Nachfrage aber nicht
erklären, was der Song bedeutet. Das wurde ihm zum Verhängnis. Die
Pubbesucher identifizierten ihn als Spitzel, zerrten ihn aus der Kneipe
und schlugen ihn tot.
„Dann haben sie die IRA gerufen, um den Leichnam zu entsorgen“, erzählte
mir Collins. „Wir haben ihn in der nahe gelegenen Fleischfabrik bei Dundalk
durch den Wolf gedreht und als Tierfutter verarbeitet.“ Collins war bis
1985 IRA-Nachrichtenoffizier, aufgrund seiner Informationen sind mindestens
15 Menschen ermordet worden. Dann wurde er geschnappt, packte aus und
musste Nordirland verlassen. Als ich mit ihm sprach, lebte er wieder offen
in der nordirischen Grenzstadt Newry. „Sie können mir nichts tun“, sagte
er damals. „Ich bin zu bekannt.“ Keine sechs Monate später wurde er von
IRA-Dissidenten ermordet, als er mit seinem Hund spazieren ging.
## Die offenen Fragen
Auf die offenen Fragen und die Spekulationen rund um das Massaker an der
Miami Showband gibt die Netflix-Dokumentation keine Antworten. [3][Das
Musical zum Thema, das im August im Belfaster Opernhaus auf die Bühne
kommt], versucht das gar nicht erst.
Geschrieben wurde es von dem Dramatikerduo Marie Jones und Martin Lynch.
„Die Idee stammt von Des Lee“, sagt Lynch. „Er möchte das Vermächtnis d…
Band am Leben erhalten.“ Das Musical zeige Irland, wie es in den sechziger
Jahren war. „Vor allem, wie es für die Jungs war, die plötzlich 65 Pfund in
der Woche verdienten“, sagt Lynch. „Das war angeblich mehr, als der
Premierminister bekam. Diese Jungs waren mit 19 im Paradies: Geld, tolle
Autos und Mädchen zu ihren Füßen.“
Für die Miami Showband endete das Paradies am 31. Juli 1975. Travers will
das britische Verteidigungsministerium dafür juristisch zur Verantwortung
ziehen. „Ein anderes Lebensziel habe ich nicht mehr“, sagt er.
4 Apr 2019
## LINKS
[1] /May-wegen-Brexit-Krise-in-Nordirland/!5567517
[2] /Neues-Album-von-Van-Morrison/!5341818
[3] https://www.irishnews.com/news/northernirelandnews/2018/12/20/news/miami-sh…
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
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