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# taz.de -- Zum 25. Geburtstag des Senders: Arte braucht den Dokumentarfilm
> Arte feiert am Dienstag 25. Geburtstag. Doch gerade jetzt verliert der
> Sender seine Identität, weil er am großen Dokumentarfilm spart. Ein
> Gastbeitrag.
Bild: Arte wurde zum Mekka für den internationalen Dokumentarfilm
Das Jahr 1992: Die Mauer war weg, der Vertrag von Maastricht da, eine
gemeinsame europäische Währung sollte kommen, das Internet war noch klein –
und am 30. Mai ging Arte das erste Mal auf Sendung.
Deutsche und französische Politiker hatten einen gemeinsamen Kulturkanal
ins Leben gerufen, der unabhängig von Einschaltquoten – die für ARD und ZDF
seit Einführung des Privatfernsehens 1984 immer wichtiger geworden waren –
ein paneuropäisches Programm produzieren und ausstrahlen sollte. Als
deutsch-französisches Kulturinstitut sollte Arte eine europäische
Öffentlichkeit schaffen, mit einem Programm, das auf Bildung, Kultur und
Information statt auf Unterhaltung setzt. Ein Programm, das Hintergründe
und Geschichten jenseits der Tagesaktualität bietet.
Und so wurde Arte zum Mekka für den internationalen Dokumentarfilm.
Mindestens einmal pro Woche gab es ein „Grand Format“, dazu kamen
Themenabende, Geschichts- und Wissenschaftsfilme, investigative Filme und
Kulturdokumentationen. Während bei ARD und ZDF die kurze,
durchformatierte TV-Doku auf dem Vormarsch war, bot Arte unzählige
Möglichkeiten für lange, abendfüllende Dokumentarfilme mit individueller
Autorenhandschrift.
3.000 Dokumentarfilme hat der Sender allein in den ersten fünf Jahren
seiner Existenz ausgestrahlt, denn, so schreibt der Doku-Chef des Senders,
Jacques Laurent, 1997 zum fünften Arte-Geburtstag, „dieses Genre ist ganz
besonders geeignet, neugierige und nachdenkliche Zuschauer anzusprechen.“
Arte sei es innerhalb von fünf Jahren gelungen „auf dem Gebiet des
Dokumentarfilms Maßstäbe zu setzen“, so Laurent weiter, und daher habe man
sich entschieden, „diese Filme in die Hauptsendezeit zu übernehmen“.
## Unzählige Preise, gefeierte Auftritte
Goldene Zeiten. Dokumentarfilmer hatten in Arte einen Auftraggeber, der
offen war für inhaltliche und formale Experimente und der international
wettbewerbsfähige Dokumentarfilme koproduzieren konnte und wollte. Und Arte
konnte sich schmücken mit unzähligen Filmpreisen und gefeierten Auftritten
auf den wichtigsten Filmfestivals der Welt. Artes Markenzeichen waren Filme
in höchster Qualität, die radikal und künstlerisch die Wirklichkeit
beleuchteten, gesellschaftliche Missstände anprangerten und einen tiefen
und engagierten Blick auf die Geschichten hinter den kurzatmigen Beiträgen
der Nachrichten erlaubten.
Schon immer gab es allerdings eine Zweiklassengesellschaft im System Arte.
Bekommen französische Produzenten für einen 90-Minüter bis zu 250.000 Euro,
so erhalten deutsche Produzenten – warum auch immer – für die meisten
Sendeplätze von Arte nur gut die Hälfte des Budgets, das ihren
französischen Kollegen zur Verfügung gestellt wird. Man behilft sich mit
Filmförderung. Dies allerdings bedeutet für Arte, dass viele
Dokumentarfilme aufgrund der gesetzlichen Kinosperrfristen erst Jahre nach
ihrer Fertigstellung ausgestrahlt werden können, was für den Sender heute,
in Zeiten permanenter und sofortiger Verfügbarkeit von Filmen, immer
unattraktiver geworden ist.
Die neue Konkurrenz für das lineare Fernsehen, Plattformen wie Netflix und
Amazon, schmückt sich zunehmend mit Dokumentarfilmen und hat so einen
internationalen Hype ausgelöst. Doch Arte selbst drängt das für den Sender
markenstiftende Genre an den Rand. Heute gibt es gerade mal 16 „Grand
Formats“, also lange und unformatierte Sendeplätze pro Jahr.
Auch inhaltlich ist das Programm ausgedünnt worden. Eine Sendereihe wie „La
vie en face“, die von großer thematischer Vielfalt geprägt und auch Themen
und Produktionen aus Zentral- und Osteuropa ins Programm brachte, wurde
genauso abgeschafft wie die Plätze für den unformatierten Dokumentarfilm.
Der wöchentliche Sendeplatz „Lucarne“ ist dazu keine Alternative. Für die
hier aufgerufenen Budgets von 15.000 bis 30.000 Euro lassen sich keine
Dokumentarfilme herstellen – schon gar nicht in Arte-Qualität.
## Die Forderung: Back to the roots
Arte ist dabei, seine Identität zu verlieren. Das ist gerade jetzt fatal,
da die europäische Idee zwischen einer weltweiten Allianz von Fake News und
Populismus aufgerieben wird und wir alle dieses europäische Kulturinstitut
mit seinem hohen Anspruch an Bildung und Kultur dringender denn je
brauchen. Für die Branche ist dieser Trend existenzbedrohend. Mit jedem
Sendeplatz, der bei Arte wegfällt, entfällt für Produzenten außerdem auch
eine potenzielle Kooperationsmöglichkeit mit ARD und ZDF.
Arte hat über fast ein Vierteljahrhundert maßgeblich zu den Innovationen
und Erfolgen des Dokumentarfilms beigetragen. Zum Geburtstag wünschen wir
dem Sender, dass er zu seinen Wurzeln zurückfindet und den dringend
notwendigen Kampf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gegen die
Plattformen aus dem Silicon Valley aufnimmt. Arte ist da mit seinen
innovativen Webprojekten und guten Abrufzahlen in der Mediathek einerseits
auf einem guten Weg. Es beraubt sich andererseits aber ohne Not seines
Markenkerns, wenn es, getrieben von der Einschaltquote, in programmatische
Beliebigkeit verfällt. Arte braucht den Dokumentarfilm. Und der
Dokumentarfilm braucht Arte. In diesem Sinne: Alles Gute und viel Film zum
Geburtstag!
30 May 2017
## AUTOREN
Arne Birkenstock
## TAGS
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