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# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Die Umarmung der göttlichen Mutter
> Die Inderin Amma ist ein Guru. Sie wird von der UNO, dem Papst und Sharon
> Stone geschätzt. Ihre Zärtlichkeit ist ein Business – und das läuft wie
> geschmiert.
Bild: Mata Amritanandamayi bei ihrer Lieblingsbeschäftigung. Sie soll 33 Milli…
Hypnotische spirituelle Gesänge und Weihrauchdüfte strömen in Toulon durch
den Eventpalast Zénith Oméga. Hoch über unseren Köpfen steht in riesigen
Lettern „Embracing the World“ (ETW), „die Welt umarmen“. So heißt die
internationale Organisation des weiblichen Guru Mata Amritanandamayi,
besser bekannt unter dem Namen Amma (das Hindiwort für Mutter).
In einen strahlend weißen Sari gehüllt, sitzt sie unter den wachsamen
Blicken ihrer Leibwächter im Lotussitz auf einem kleinen Thron, vor dem
ihre begeisterten Anhänger darauf warten, sich an ihre Brust zu schmiegen –
die letzten Meter legen sie auf Knien zurück. Mehrere Tausend Menschen sind
gekommen, um den Darshan in Empfang zu nehmen, Ammas Umarmung, das Symbol
ihrer Organisation, die behauptet, der Guru habe damit weltweit schon mehr
als 36 Millionen Menschen beglückt.
1987 ging die „göttliche Mutter“ zum ersten Mal auf Europatournee. Nachdem
die jährliche „Amma Tour“ in diesem Sommer zehn US-Großstädte angesteuert
hatte, gastierte sie anschließend in Toronto und Tokio. Im Oktober machte
sie unter anderem im schweizerischen Winterthur Station; Toulon stand für
den 7. bis 9. November auf dem Programm, und Mitte November wird sie in
München erwartet.
Die ETW fungiert als eine Art Auslandsbüro für die Zweigstellen, die Ammas
Tourneen vor Ort organisieren. Die perfekte Logistik der Auftritte ist
wahrlich beeindruckend. Überall, wo Ammas Karawane haltmacht, werden
riesige mobile Industrieküchen aufgestellt; Hunderte Freiwillige stehen an
den Herden und kochen, andere servieren die vegetarischen Mahlzeiten, von
denen täglich Tausende verkauft werden, während Amma auf ihrem Thron
pausenlos die gleiche Geste zelebriert. Die Bons für den Darshan sind
gratis; aber es dauert viele Stunden, bis es so weit ist. Die freiwilligen
Helfer kontrollieren auch die langen Warteschlangen und greifen ein, wenn
der Strom der Zärtlichkeit ins Stocken gerät, indem sie dem Nächsten in der
Reihe mit sanftem Druck eine Hand in den Nacken legen.
## Exakt einstudierte Standardliebkosung
Amma spricht nur Malayalam, doch sie murmelt jedem, den sie umarmt, in
dessen Landessprache „mein Schatz“ ins Ohr. Ihre exakt einstudierte
Standardliebkosung erinnert an Fließbandarbeit: Arme öffnen, um den
Unbekannten schlingen, zehn Sekunden drücken, jedem Liebkosten ein
Rosenblatt, einen Apfel oder einen Bonbon schenken. Die Massenumarmungen
ziehen sich über viele Stunden hin.
Danach laufen die Umarmten barfuß in der riesigen Halle herum, viele sind
sichtlich berührt, manche brechen in Tränen aus. „Was ich empfinde, ist
unbeschreiblich. Amma ist reine Liebe“, schwärmt eine arbeitslose
Sekretärin mit rot glänzenden Wangen. „Amma hat mir mehr Liebe gegeben als
meine Eltern“, sagt ein Informatiker. „In dieser Welt von Verrückten tut
eine Unterbrechung gut, um bei Amma zu sein und sich wieder auf sich selbst
zu besinnen“, erklärt eine Säuglingsschwester, die mit ihrer Tochter
gekommen ist. Die beiden haben dreieinhalb Stunden gewartet, um vor Amma
niederknien zu können.
Für die Psychologin Elodie Bonetto ist der Fall klar: „In unseren modernen,
zutiefst narzisstischen Gesellschaften sind viele Menschen auf der Suche
nach sich selbst. Wenn sie sich Amma nähern, findet ein Prozess der
Idealisierung statt; Amma, der leader, verkörpert das Ideal. Die Hingabe
des Individuums lässt sich vor allem durch sein Verlangen erklären, als
einzigartig anerkannt zu werden. Man unterscheidet drei Typen: den
sozioaffektiven, der Trost sucht, den utilitaristischen, der nach
Selbstverwirklichung strebt, und den flexiblen Typus, der sich zwischen den
beiden Polen bewegt.“
Dachorganisation des internationalen ETW-Netzwerks ist der karitative
Verein Mata Amritanandamayi Math, der seit Juli 2005 im UN-Wirtschafts- und
Sozialrat den Status einer konsultativen NGO hat. 2002 wurde Amma von der
UNO mit dem renommierten Gandhi King Award für Frieden und Gewaltlosigkeit
ausgezeichnet. Seitdem hat sie regelmäßig vor den Vereinten Nationen in New
York gesprochen. Im Dezember 2014 saß sie im Vatikan neben Papst Franziskus
und unterzeichnete eine Erklärung religiöser Führer gegen Sklaverei. Und im
vergangenen Jahr war sie eine von 50 Persönlichkeiten, die in der
Vorbereitungsphase für die UN-Klimakonferenz in Paris zu Gesprächen in den
Élysée-Palast eingeladen wurden. Die „göttliche Mutter“ schickte eine
Videobotschaft und entsandte ihren Stellvertreter Swami Amritaswarupananda,
der für ein Erinnerungsfoto mit dem französischen Staatspräsidenten
François Hollande posierte. Amma war auch schon im US-Kongress zu Gast, um
Abgeordnete der Demokraten zu umarmen.
## Ihre Haut war blau
Stars wie Marion Cotillard, Sharon Stone oder Jim Carrey haben den Darshan
empfangen. „Sie hat mich in die Arme genommen und gehalten. Man regrediert
förmlich. Das letzte Mal, dass ich so etwas erlebt habe, war in den Armen
meiner Mutter. Es ist wie ein sehr angenehmes warmes Bad“, erzählt der
Schauspieler Jean Dujardin, der in Claude Lelouchs Spielfilm „Un plus une“
(2015) mit seiner Filmpartnerin Elsa Zylberstein zu Amma pilgert.
Internationale Anerkennung, ehrenvolle Einladungen, eine erlesene Schar
umarmter Persönlichkeiten auf der Suche nach Exotik oder Trost – Amma
verfügt über ein riesiges symbolisches Kapital und ein großes
diplomatisches Netzwerk. Für die meisten Medien, die sie als „große Figur
der Menschheit“ oder „indische Heilige“ beschreiben, ist sie über jeden
Zweifel erhaben. Aus den zahlreichen ETW-Publikationen erfährt man etwa,
dass die Haut von Mata Amritanandamayi bei der Geburt blau gewesen sei wie
die des Gottes Krishna. Als sie auf die Welt kam, habe Amma weder geweint
noch geschrien, sondern nur gelächelt.
Mit sechs Monaten konnte sie schon sprechen und habe als Kind mehrere
Wunder vollbracht, zum Beispiel eine Kobra umarmt, die ihr Heimatdorf
bedroht habe. Vor den Augen ungläubiger Rationalisten habe Amma einmal
Wasser in Milch verwandelt und einen Leprakranken geheilt, indem sie seine
Wunden geleckt habe. Wegen dieser Legenden, die im indischen Kerala
editiert und gedruckt werden, konkurriert Amma direkt mit den Heiligen der
großen Weltreligionen. Die Zahl ihrer außergewöhnlichen Taten schwankt je
nach Ausgabe, Überarbeitung und Sprache, in die diese Bücher übersetzt
sind.
Im dicht gefüllten Saal des Darshan werden unzählige Fanartikel verkauft,
darunter von Amma gesegnete Säckchen mit Basilikum oder Sandelpulver,
ETW-T-Shirts, Poster, Kinderbücher, ayurvedische Ratgeber zur Heilung von
Krebs, CDs mit Gesängen, Gebets-DVDs, Girlanden, Zweige, Talismane,
Kristalle, die „Überfluss erzeugen“, „energetische“ Steine, Messingket…
Ölessenzen und Kerzen. Die Kassen füllen sich rasch. Eine Puppe mit Ammas
Gesichtszügen kostet 90 Euro. „Wenn Sie einen Darshan erhalten wollen, aber
fern von Amma sind, können Sie die Puppe umarmen“, erklärt eine
Verkäuferin. Die Puppe wird vor allem von den treuesten Anhängern
verwendet, die als freiwillige Helfer Ammas Tourneen begleiten und für die
der Empfang des Darshan beschränkt ist, damit sie nicht zu viele
Gratisumarmungen erhalten.
## Merchendise als Fetisch der Gläubigen
Im Amma-Onlineshop gibt es außerdem Biokosmetik und Lebensmittelergänzungen
zur „reinigenden Entgiftung“, Ammas gesammelte Werke, Statuen und Stoffe
zur Raumdekoration, Sticker, Schlüsselanhänger, Thermoskannen und vieles
mehr. All diese Merchandisingprodukte sind in den Augen der Gläubigen
Fetische, in denen Ammas Liebe steckt. Vor allem ermöglicht ihr Verkauf
jedoch die Finanzierung „humanitärer Werke“, wie die ETW-Pressesprecher
erklären. Neben den Einnahmen aus dem Gastro- und Warenangebot wird während
der Veranstaltungen auch ordentlich gespendet. Die Helfer gehen die ganze
Zeit mit Sammelbüchsen herum. „Ammas Liebe ist kosten- und bedingungslos.
Jeder Einzelne kann entscheiden, was er geben möchte, entsprechend dem, was
er von Amma empfangen hat“, heißt es.
Wenn Amma auf Tournee geht, sind oft Wochen vor ihrer Ankunft alle Hotels
reserviert. Jede Reise wird von „Ammas Kindern“ begleitet: Hunderte
Gläubige aus aller Welt folgen auf eigene Kosten der „Göttin“, um
freiwillig zu helfen. Überdurchschnittlich vertreten sind alleinstehende,
meist arbeitslose Frauen, die nächtelang auf dem nackten Fußboden
campieren. In Toulon schlafen jedes Jahr sehr viele Anhänger unter
Missachtung sämtlicher Brandschutzbestimmungen in den Gängen oder
verborgenen Winkeln des Zénith Oméga.
Für die Mitfahrgelegenheit in den ETW-Bussen zahlen die Freiwilligen der
Europatournee fast 1500 Euro. Die vegetarischen Mahlzeiten und
Übernachtungen müssen sie ebenfalls selbst bezahlen. Nicht wenige müssen
sich vorher dafür viel Geld leihen. Dafür werden sie dann ganz in Weiß
gekleidet, bekommen ein Namensschild angeheftet und gelten als vollwertige
ETW-Mitglieder. Amah Ozou-Mathis, eine frühere Anhängerin, hat die
Europatourneen fünf Jahre lang begleitet: „Die Tage beginnen sehr früh mit
Mantras und der Rezitation der 800 Namen von Amma. Es folgt ein langer
Arbeitstag, und am Abend gibt es rituelle Zeremonien, bei denen viele
Teilnehmer in Trance geraten und die sehr spät enden. Meistens bekommt man
nachts nicht mehr als drei bis vier Stunden Schlaf.“
Für die Tourneen wird vor allem in Werbemittel investiert: von den riesigen
Schauwürfeln aus Karton mit Fotos von Krankenhäusern und Schulen in Indien,
die zeigen sollen, dass alle Gewinne aus Ammas Tourneen wohltätigen Zwecken
dienen, bis zu den aufwendig gestalteten Pressemappen für Journalisten. Die
ungeprüft übernommenen Zitate aus den ETW-Texten tauchen weltweit in den
verschiedensten Medien auf. Seit mehr als 30 Jahren wird weltweit über
Amma-Tourneen berichtet – ein geradezu klassischer Topos ist die
Beschreibung des selbst erlebten Darshan.
## Kopf aus, Herz an
In Frankreich wird Amma in den Medien quasi vergöttert. Es begann 1994 mit
einem Beitrag in der linken Tageszeitung Libération: „Amma, Mêre divine aux
500 câlins quotidiens“(Amma, göttliche Mutter der 500 täglichen
Umarmungen). Seither folgt ein Artikel auf den anderen. 2005 lief Jan
Kounens Dokumentarfilm „Darshan – Die Umarmung“ außerhalb des Wettbewerbs
in Cannes und wurde im selben Jahr im Abendprogramm auf Arte gesendet. Im
Grunde lassen sich all die Lobeshymnen, die online, im Fernsehen oder im
Radio zu lesen, zu sehen und zu hören sind, in einem einzigen Zitat
zusammenfassen: „Amma ist eine große Weise, eine große Seele, wie man in
Indien sagt, die ihr Leben damit verbringt, zu trösten, und die alle, die
sich ihr nähern, mit Mitgefühl überschwemmt.“
Vom Libanon bis Jamaika, von Japan bis Kanada, vom italienischen Fernsehen
bis zu den Hunderten US-amerikanischen Presseberichten wird über Ammas
einzigartige Lehren aus dem Munde einer „Vertreterin der Hindureligion“
fast nur wohlwollend berichtet.
Amma wendet sich in ihren Werken gegen den Anspruch des Individuums, die
Welt zu verstehen und sie zu verändern: „Bis ihr versteht, dass ihr
ohnmächtig seid, dass euer Ego euch nicht retten kann und dass all eure
Errungenschaften nichts wert sind, wird Gott oder der Guru die notwendigen
Bedingungen schaffen, euch diese Wahrheit verstehen zu lassen.“ Sie predigt
den klassischen Rückzug auf sich selbst und erklärt: „Wenn Gott Teil
unseres Lebens ist, wird die Welt folgen. Aber wenn wir die Welt an die
erste Stelle setzen, wird Gott nicht folgen. Wenn wir die Welt umarmen,
wird Gott uns nicht umarmen.“ Es sei wichtig, den Geist nicht mit allzu
viel Verstand zu belasten: „Bemühen wir uns, den Intellekt von unnötigen
Gedanken zu leeren und unser Herz mit Liebe zu füllen.“ Ihre eigene Mission
besteht für Amma darin „die angeborene unendliche göttliche Energie zu
wecken, die in jedem von uns ruht, und die Menschheit auf den rechten Pfad
des Dienens und der uneigennützigen Liebe zu führen“.
In Tausenden Artikeln und Reportagen heißt es, ETW sei eine „karitative
NGO“. Die internationalen ETW-Websites präsentieren unzählige Bilder von
„humanitären Projekten“ und Fotos, auf denen etwa US-Präsident Bill Clint…
von Amma einen Scheck über eine Million Dollar für die Opfer des
Wirbelsturms „Katrina“ entgegennimmt, der 2005 über New Orleans
hinwegfegte. Die Organisation hat es jedoch nie für nötig gehalten, einen
detaillierten Finanzplan und einen Bericht über Einnahmen, Ausgaben oder
allgemeine Kosten zu veröffentlichen. Nach Abzug der Miete für die riesigen
Säle belaufen sich die Einnahmen aus der Welttournee täglich auf
Zehntausende Euro – besonders groß ist die Spendenfreudigkeit bei Menschen,
die den Darshan erhalten haben.
## Der Weltkonzern der Umarmung
„Ammas Reich ist keineswegs eine karitative NGO“, behauptet hingegen Sanal
Edamaruku, der Vorsitzende des Vereins der indischen Rationalisten. Er lebt
derzeit im finnischen Exil. Das Unternehmen Amma betreibe vielmehr „ein
schmutziges Business“, das man „auf die lange Liste der Scharlatane setzen
kann, die in Indien ihr Unwesen treiben“. Die genaue Verwendung der auf
ihren Tourneen gesammelten Gelder sei völlig undurchsichtig, meint
Edamaruku.
Nach Einsicht in die Unterlagen des indischen Innenministeriums und
Steuererklärungen einer US-amerikanischen ETW-Filiale fällt tatsächlich
auf, dass Ammas Verein über mehrere Jahre hinweg weniger Einnahmen
deklariert hat, als die US-Filiale an sie überwiesen hat. Noch
überraschender: 2012/2013 soll die Dachorganisation M. A. Math 219
Millionen Rupien (fast 2,9 Millionen Euro) Zinsen eingenommen haben. Eine
„humanitäre Organisation“, die ihre Kassen füllt, um das Geld arbeiten zu
lassen? Die Pressesprecher von ETW lehnen jeden Kommentar dazu ab.
Amma spaltet die indische Gesellschaft, seit sich der kommunistische
Politiker T. K. Hamza 1998 im Bundesstaat Kerala öffentlich kritisch über
den Guru geäußert hat. Daraufhin brach der Zorn der hindunationalistischen
Bharatiya Janata Party (BJP) in organisierten Massenprotesten über ihn
herein. Ammas frühere Privatsekretärin Gail Tredwell, die 20 Jahre lang für
den Guru gearbeitet hat, erzählt in ihrem Erfahrungsbericht, wie sich Amma
vom lokalen Guru zum internationalen Star entwickelt hat. Tredwell
berichtet auch von Unterschlagungen und Gewalt, sogar Vergewaltigungen
innerhalb der Organisation, und den engen Verbindungen zu
hindunationalistischen Regierungsvertretern.
Der Weltkonzern der Umarmung hat durchgesetzt, dass Tredwells Buch wegen
„Blasphemie“ im Bundesstaat Kerala nicht vertrieben werden darf. Schon 1985
wurde ein Buch des ehemaligen Polizisten Sreeni Pattathanam, der über
seltsame Todesfälle in Ammas Aschram berichtete, wegen „Blasphemie“
zensiert. Der Autor arbeitet heute für den Verein der indischen
Rationalisten in Kerala. Kürzlich wurde eine indische Buchhandlung, die
einen Band mit Tredwell-Interviews herausgegeben hat, von Amma-Anhängern
verwüstet.
## Ein Geburtstag mit 100.000 Gästen
Trotz der Kritik nimmt Ammas Einfluss in Indien ständig zu. Der Geburtstag
der „göttlichen Mutter“ ist ein politisches Ereignis. Jedes Jahr am 27.
September versammeln sich Zehntausende Menschen. Die Feierlichkeiten
beginnen mit einer Zeremonie, die an die Eröffnung der Olympischen Spiele
erinnert: Gläubige aus allen Ländern paradieren in traditionellen Kostümen
und schwenken Nationalflaggen. Zu Ammas 50. Geburtstag, der 2003 im
Nehru-Stadion von Kochi (Kerala) gefeiert wurde, kamen mehr als 100.000
Menschen. M. A. Math hatte über 2.500 Busse angemietet und sämtliche
Hotelzimmer im Umkreis des Stadions reserviert, das für diesen Anlass in
einen riesigen Aschram verwandelt wurde.
2015 wurde auch der französische Botschafter in Indien, François Richier,
zu den Feierlichkeiten geladen. „Es ist eine große Ehre, heute bei Ihnen zu
sein, um den Geburtstag unserer geschätzten Amma zu begehen“, erklärte er
im Beisein des indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi und des
BJP-Vorsitzenden Amit Shah. „Ammas Gedanken und ihre Weisheit helfen uns
beim Verständnis der großen Probleme unserer Zeit, zeigen uns
Möglichkeiten, Frieden zwischen den Ländern und den Völkern zu schaffen,
und behandeln Fragen, die uns alle betreffen, wie Bildung oder
Klimawandel.“
Edamaruku warnt davor, sich täuschen zu lassen. Amma baue in Indien zwar
tatsächlich Krankenhäuser, Schulen und Hochschulen. Doch meistens handele
es sich um private Einrichtungen, die Profit generieren sollten, „damit
sich Ammas Organisation institutionell etablieren und ihre Macht noch
weiter festigen kann“. Unter dem Label Amrita verwaltet ETW einen eigenen
Hochschulverbund inklusive eigener Universitätsklinik mit mehr als 18.000
Studierenden. In einem Werbeclip werden 23 wissenschaftliche
Forschungszentren (unter anderem für Luft- und Raumfahrttechnik, Chemie,
Ingenieurwesen, Informatik, Medizin und Biotechnologie) genannt, die 51
Patente entwickelt haben sollen. Die Amrita-Universität, der Amma als
Präsidentin vorsitzt, wird im Ranking der besten indischen Hochschulen
geführt und kooperiert mit Universitäten in Europa und den USA.
Die vom Obolus der Gläubigen aus aller Welt finanzierte Hochschule ist in
der indischen Oberschicht sehr gefragt. Das Medizinstudium kostet 144.000
Dollar. Laut Tredwell sind sämtliche Einrichtungen, also auch die
medizinische Versorgung, für die Sprösslinge ranghoher
hindunationalistischer Politiker kostenlos, während die Studierenden aus
armen Familien einen Kredit aufnehmen müssen.
## Die Blumenkette der EU-Kommissarin
Im Juli 2014 besuchten 300 Mitglieder der ETW-Jugendorganisation Amrita
Yuva Dharma Dhara (AYUDH) das Europaparlament, um dort im Beisein mehrerer
Abgeordneter das zehnjähriges Bestehen der Organisation zu feiern. AYUDH
ist vor allem dazu da, Ammas Interessen in Europa zu vertreten. Sie
beteiligt sich an der „No Hate Speech Movement“-Kampagneder
Jugendorganisationen des Europarats und erhält Fördermittel aus dem
Europäischen Jugendfonds. Die EU-Kommission unterstützt auch AYUDHs
religiöse Veranstaltungen, auf deren Programm unter anderem Gebete und die
Einführung in Kunsttherapie oder Permakultur stehen.
Der Guru aus Kerala kann sich auch auf die politische Unterstützung der
EU-Kommissarin für Kultur und Bildung, Martine Reicherts, verlassen. Auf
der Website von AYUDH sieht man die Luxemburgerin, die sich auch als
Yogalehrerin betätigt, zwischen lauter jungen Gläubigen fröhlich posieren,
und in den EU-subventionierten Broschüren der Organisation ist sie
ebenfalls abgebildet. Am 21. Oktober 2014, damals war sie noch
EU-Kommissarin für Justiz, besuchte sie die jährliche Massenveranstaltung
im französischen Pontoise. In einem Video ist zu sehen, wie der Guru
Blütenblätter auf Reicherts Kopf regnen lässt. Die EU-Kommissarin nähert
sich dem Thron, legt der Göttin eine Blumenkette um den Hals und umarmt sie
sichtlich gerührt. Dann kniet sie nieder, faltet als Zeichen ihrer
Hochachtung die Hände und neigt den Kopf, bis ihre Stirn Ammas Knie
berührt.
Später ergreift Reicherts auf der Bühne das Wort und wendet sich feierlich
an die Tausenden Anwesenden: „Ich habe das Amt einer Kommissarin, das ist
so etwas wie die europäische Justizministerin, und ich möchte Amma in
dieser Welt ohne Glauben meine Zuneigung bekunden, nicht als Anhängerin
oder als Schülerin (. . .). Wir leben in einer Welt, in der wir
Spiritualität, Werte und Mut brauchen. Dank Amma habe ich verstanden, dass
das Konkrete, das Alltägliche, das Politische zum Spirituellen führen
kann.“
Allerdings beschränkt sich die Unterstützung der Europäischen Union nicht
auf warme Worte: Im Rahmen des Programms „Jugend in Aktion“ hat die
Kommission bereits mehr als 243.000 Euro an Ammas Jugendorganisation
überwiesen.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
13 Nov 2016
## AUTOREN
Jean-Baptiste Malet
## TAGS
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