# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Die Umarmung der göttlichen Mutter | |
> Die Inderin Amma ist ein Guru. Sie wird von der UNO, dem Papst und Sharon | |
> Stone geschätzt. Ihre Zärtlichkeit ist ein Business – und das läuft wie | |
> geschmiert. | |
Bild: Mata Amritanandamayi bei ihrer Lieblingsbeschäftigung. Sie soll 33 Milli… | |
Hypnotische spirituelle Gesänge und Weihrauchdüfte strömen in Toulon durch | |
den Eventpalast Zénith Oméga. Hoch über unseren Köpfen steht in riesigen | |
Lettern „Embracing the World“ (ETW), „die Welt umarmen“. So heißt die | |
internationale Organisation des weiblichen Guru Mata Amritanandamayi, | |
besser bekannt unter dem Namen Amma (das Hindiwort für Mutter). | |
In einen strahlend weißen Sari gehüllt, sitzt sie unter den wachsamen | |
Blicken ihrer Leibwächter im Lotussitz auf einem kleinen Thron, vor dem | |
ihre begeisterten Anhänger darauf warten, sich an ihre Brust zu schmiegen – | |
die letzten Meter legen sie auf Knien zurück. Mehrere Tausend Menschen sind | |
gekommen, um den Darshan in Empfang zu nehmen, Ammas Umarmung, das Symbol | |
ihrer Organisation, die behauptet, der Guru habe damit weltweit schon mehr | |
als 36 Millionen Menschen beglückt. | |
1987 ging die „göttliche Mutter“ zum ersten Mal auf Europatournee. Nachdem | |
die jährliche „Amma Tour“ in diesem Sommer zehn US-Großstädte angesteuert | |
hatte, gastierte sie anschließend in Toronto und Tokio. Im Oktober machte | |
sie unter anderem im schweizerischen Winterthur Station; Toulon stand für | |
den 7. bis 9. November auf dem Programm, und Mitte November wird sie in | |
München erwartet. | |
Die ETW fungiert als eine Art Auslandsbüro für die Zweigstellen, die Ammas | |
Tourneen vor Ort organisieren. Die perfekte Logistik der Auftritte ist | |
wahrlich beeindruckend. Überall, wo Ammas Karawane haltmacht, werden | |
riesige mobile Industrieküchen aufgestellt; Hunderte Freiwillige stehen an | |
den Herden und kochen, andere servieren die vegetarischen Mahlzeiten, von | |
denen täglich Tausende verkauft werden, während Amma auf ihrem Thron | |
pausenlos die gleiche Geste zelebriert. Die Bons für den Darshan sind | |
gratis; aber es dauert viele Stunden, bis es so weit ist. Die freiwilligen | |
Helfer kontrollieren auch die langen Warteschlangen und greifen ein, wenn | |
der Strom der Zärtlichkeit ins Stocken gerät, indem sie dem Nächsten in der | |
Reihe mit sanftem Druck eine Hand in den Nacken legen. | |
## Exakt einstudierte Standardliebkosung | |
Amma spricht nur Malayalam, doch sie murmelt jedem, den sie umarmt, in | |
dessen Landessprache „mein Schatz“ ins Ohr. Ihre exakt einstudierte | |
Standardliebkosung erinnert an Fließbandarbeit: Arme öffnen, um den | |
Unbekannten schlingen, zehn Sekunden drücken, jedem Liebkosten ein | |
Rosenblatt, einen Apfel oder einen Bonbon schenken. Die Massenumarmungen | |
ziehen sich über viele Stunden hin. | |
Danach laufen die Umarmten barfuß in der riesigen Halle herum, viele sind | |
sichtlich berührt, manche brechen in Tränen aus. „Was ich empfinde, ist | |
unbeschreiblich. Amma ist reine Liebe“, schwärmt eine arbeitslose | |
Sekretärin mit rot glänzenden Wangen. „Amma hat mir mehr Liebe gegeben als | |
meine Eltern“, sagt ein Informatiker. „In dieser Welt von Verrückten tut | |
eine Unterbrechung gut, um bei Amma zu sein und sich wieder auf sich selbst | |
zu besinnen“, erklärt eine Säuglingsschwester, die mit ihrer Tochter | |
gekommen ist. Die beiden haben dreieinhalb Stunden gewartet, um vor Amma | |
niederknien zu können. | |
Für die Psychologin Elodie Bonetto ist der Fall klar: „In unseren modernen, | |
zutiefst narzisstischen Gesellschaften sind viele Menschen auf der Suche | |
nach sich selbst. Wenn sie sich Amma nähern, findet ein Prozess der | |
Idealisierung statt; Amma, der leader, verkörpert das Ideal. Die Hingabe | |
des Individuums lässt sich vor allem durch sein Verlangen erklären, als | |
einzigartig anerkannt zu werden. Man unterscheidet drei Typen: den | |
sozioaffektiven, der Trost sucht, den utilitaristischen, der nach | |
Selbstverwirklichung strebt, und den flexiblen Typus, der sich zwischen den | |
beiden Polen bewegt.“ | |
Dachorganisation des internationalen ETW-Netzwerks ist der karitative | |
Verein Mata Amritanandamayi Math, der seit Juli 2005 im UN-Wirtschafts- und | |
Sozialrat den Status einer konsultativen NGO hat. 2002 wurde Amma von der | |
UNO mit dem renommierten Gandhi King Award für Frieden und Gewaltlosigkeit | |
ausgezeichnet. Seitdem hat sie regelmäßig vor den Vereinten Nationen in New | |
York gesprochen. Im Dezember 2014 saß sie im Vatikan neben Papst Franziskus | |
und unterzeichnete eine Erklärung religiöser Führer gegen Sklaverei. Und im | |
vergangenen Jahr war sie eine von 50 Persönlichkeiten, die in der | |
Vorbereitungsphase für die UN-Klimakonferenz in Paris zu Gesprächen in den | |
Élysée-Palast eingeladen wurden. Die „göttliche Mutter“ schickte eine | |
Videobotschaft und entsandte ihren Stellvertreter Swami Amritaswarupananda, | |
der für ein Erinnerungsfoto mit dem französischen Staatspräsidenten | |
François Hollande posierte. Amma war auch schon im US-Kongress zu Gast, um | |
Abgeordnete der Demokraten zu umarmen. | |
## Ihre Haut war blau | |
Stars wie Marion Cotillard, Sharon Stone oder Jim Carrey haben den Darshan | |
empfangen. „Sie hat mich in die Arme genommen und gehalten. Man regrediert | |
förmlich. Das letzte Mal, dass ich so etwas erlebt habe, war in den Armen | |
meiner Mutter. Es ist wie ein sehr angenehmes warmes Bad“, erzählt der | |
Schauspieler Jean Dujardin, der in Claude Lelouchs Spielfilm „Un plus une“ | |
(2015) mit seiner Filmpartnerin Elsa Zylberstein zu Amma pilgert. | |
Internationale Anerkennung, ehrenvolle Einladungen, eine erlesene Schar | |
umarmter Persönlichkeiten auf der Suche nach Exotik oder Trost – Amma | |
verfügt über ein riesiges symbolisches Kapital und ein großes | |
diplomatisches Netzwerk. Für die meisten Medien, die sie als „große Figur | |
der Menschheit“ oder „indische Heilige“ beschreiben, ist sie über jeden | |
Zweifel erhaben. Aus den zahlreichen ETW-Publikationen erfährt man etwa, | |
dass die Haut von Mata Amritanandamayi bei der Geburt blau gewesen sei wie | |
die des Gottes Krishna. Als sie auf die Welt kam, habe Amma weder geweint | |
noch geschrien, sondern nur gelächelt. | |
Mit sechs Monaten konnte sie schon sprechen und habe als Kind mehrere | |
Wunder vollbracht, zum Beispiel eine Kobra umarmt, die ihr Heimatdorf | |
bedroht habe. Vor den Augen ungläubiger Rationalisten habe Amma einmal | |
Wasser in Milch verwandelt und einen Leprakranken geheilt, indem sie seine | |
Wunden geleckt habe. Wegen dieser Legenden, die im indischen Kerala | |
editiert und gedruckt werden, konkurriert Amma direkt mit den Heiligen der | |
großen Weltreligionen. Die Zahl ihrer außergewöhnlichen Taten schwankt je | |
nach Ausgabe, Überarbeitung und Sprache, in die diese Bücher übersetzt | |
sind. | |
Im dicht gefüllten Saal des Darshan werden unzählige Fanartikel verkauft, | |
darunter von Amma gesegnete Säckchen mit Basilikum oder Sandelpulver, | |
ETW-T-Shirts, Poster, Kinderbücher, ayurvedische Ratgeber zur Heilung von | |
Krebs, CDs mit Gesängen, Gebets-DVDs, Girlanden, Zweige, Talismane, | |
Kristalle, die „Überfluss erzeugen“, „energetische“ Steine, Messingket… | |
Ölessenzen und Kerzen. Die Kassen füllen sich rasch. Eine Puppe mit Ammas | |
Gesichtszügen kostet 90 Euro. „Wenn Sie einen Darshan erhalten wollen, aber | |
fern von Amma sind, können Sie die Puppe umarmen“, erklärt eine | |
Verkäuferin. Die Puppe wird vor allem von den treuesten Anhängern | |
verwendet, die als freiwillige Helfer Ammas Tourneen begleiten und für die | |
der Empfang des Darshan beschränkt ist, damit sie nicht zu viele | |
Gratisumarmungen erhalten. | |
## Merchendise als Fetisch der Gläubigen | |
Im Amma-Onlineshop gibt es außerdem Biokosmetik und Lebensmittelergänzungen | |
zur „reinigenden Entgiftung“, Ammas gesammelte Werke, Statuen und Stoffe | |
zur Raumdekoration, Sticker, Schlüsselanhänger, Thermoskannen und vieles | |
mehr. All diese Merchandisingprodukte sind in den Augen der Gläubigen | |
Fetische, in denen Ammas Liebe steckt. Vor allem ermöglicht ihr Verkauf | |
jedoch die Finanzierung „humanitärer Werke“, wie die ETW-Pressesprecher | |
erklären. Neben den Einnahmen aus dem Gastro- und Warenangebot wird während | |
der Veranstaltungen auch ordentlich gespendet. Die Helfer gehen die ganze | |
Zeit mit Sammelbüchsen herum. „Ammas Liebe ist kosten- und bedingungslos. | |
Jeder Einzelne kann entscheiden, was er geben möchte, entsprechend dem, was | |
er von Amma empfangen hat“, heißt es. | |
Wenn Amma auf Tournee geht, sind oft Wochen vor ihrer Ankunft alle Hotels | |
reserviert. Jede Reise wird von „Ammas Kindern“ begleitet: Hunderte | |
Gläubige aus aller Welt folgen auf eigene Kosten der „Göttin“, um | |
freiwillig zu helfen. Überdurchschnittlich vertreten sind alleinstehende, | |
meist arbeitslose Frauen, die nächtelang auf dem nackten Fußboden | |
campieren. In Toulon schlafen jedes Jahr sehr viele Anhänger unter | |
Missachtung sämtlicher Brandschutzbestimmungen in den Gängen oder | |
verborgenen Winkeln des Zénith Oméga. | |
Für die Mitfahrgelegenheit in den ETW-Bussen zahlen die Freiwilligen der | |
Europatournee fast 1500 Euro. Die vegetarischen Mahlzeiten und | |
Übernachtungen müssen sie ebenfalls selbst bezahlen. Nicht wenige müssen | |
sich vorher dafür viel Geld leihen. Dafür werden sie dann ganz in Weiß | |
gekleidet, bekommen ein Namensschild angeheftet und gelten als vollwertige | |
ETW-Mitglieder. Amah Ozou-Mathis, eine frühere Anhängerin, hat die | |
Europatourneen fünf Jahre lang begleitet: „Die Tage beginnen sehr früh mit | |
Mantras und der Rezitation der 800 Namen von Amma. Es folgt ein langer | |
Arbeitstag, und am Abend gibt es rituelle Zeremonien, bei denen viele | |
Teilnehmer in Trance geraten und die sehr spät enden. Meistens bekommt man | |
nachts nicht mehr als drei bis vier Stunden Schlaf.“ | |
Für die Tourneen wird vor allem in Werbemittel investiert: von den riesigen | |
Schauwürfeln aus Karton mit Fotos von Krankenhäusern und Schulen in Indien, | |
die zeigen sollen, dass alle Gewinne aus Ammas Tourneen wohltätigen Zwecken | |
dienen, bis zu den aufwendig gestalteten Pressemappen für Journalisten. Die | |
ungeprüft übernommenen Zitate aus den ETW-Texten tauchen weltweit in den | |
verschiedensten Medien auf. Seit mehr als 30 Jahren wird weltweit über | |
Amma-Tourneen berichtet – ein geradezu klassischer Topos ist die | |
Beschreibung des selbst erlebten Darshan. | |
## Kopf aus, Herz an | |
In Frankreich wird Amma in den Medien quasi vergöttert. Es begann 1994 mit | |
einem Beitrag in der linken Tageszeitung Libération: „Amma, Mêre divine aux | |
500 câlins quotidiens“(Amma, göttliche Mutter der 500 täglichen | |
Umarmungen). Seither folgt ein Artikel auf den anderen. 2005 lief Jan | |
Kounens Dokumentarfilm „Darshan – Die Umarmung“ außerhalb des Wettbewerbs | |
in Cannes und wurde im selben Jahr im Abendprogramm auf Arte gesendet. Im | |
Grunde lassen sich all die Lobeshymnen, die online, im Fernsehen oder im | |
Radio zu lesen, zu sehen und zu hören sind, in einem einzigen Zitat | |
zusammenfassen: „Amma ist eine große Weise, eine große Seele, wie man in | |
Indien sagt, die ihr Leben damit verbringt, zu trösten, und die alle, die | |
sich ihr nähern, mit Mitgefühl überschwemmt.“ | |
Vom Libanon bis Jamaika, von Japan bis Kanada, vom italienischen Fernsehen | |
bis zu den Hunderten US-amerikanischen Presseberichten wird über Ammas | |
einzigartige Lehren aus dem Munde einer „Vertreterin der Hindureligion“ | |
fast nur wohlwollend berichtet. | |
Amma wendet sich in ihren Werken gegen den Anspruch des Individuums, die | |
Welt zu verstehen und sie zu verändern: „Bis ihr versteht, dass ihr | |
ohnmächtig seid, dass euer Ego euch nicht retten kann und dass all eure | |
Errungenschaften nichts wert sind, wird Gott oder der Guru die notwendigen | |
Bedingungen schaffen, euch diese Wahrheit verstehen zu lassen.“ Sie predigt | |
den klassischen Rückzug auf sich selbst und erklärt: „Wenn Gott Teil | |
unseres Lebens ist, wird die Welt folgen. Aber wenn wir die Welt an die | |
erste Stelle setzen, wird Gott nicht folgen. Wenn wir die Welt umarmen, | |
wird Gott uns nicht umarmen.“ Es sei wichtig, den Geist nicht mit allzu | |
viel Verstand zu belasten: „Bemühen wir uns, den Intellekt von unnötigen | |
Gedanken zu leeren und unser Herz mit Liebe zu füllen.“ Ihre eigene Mission | |
besteht für Amma darin „die angeborene unendliche göttliche Energie zu | |
wecken, die in jedem von uns ruht, und die Menschheit auf den rechten Pfad | |
des Dienens und der uneigennützigen Liebe zu führen“. | |
In Tausenden Artikeln und Reportagen heißt es, ETW sei eine „karitative | |
NGO“. Die internationalen ETW-Websites präsentieren unzählige Bilder von | |
„humanitären Projekten“ und Fotos, auf denen etwa US-Präsident Bill Clint… | |
von Amma einen Scheck über eine Million Dollar für die Opfer des | |
Wirbelsturms „Katrina“ entgegennimmt, der 2005 über New Orleans | |
hinwegfegte. Die Organisation hat es jedoch nie für nötig gehalten, einen | |
detaillierten Finanzplan und einen Bericht über Einnahmen, Ausgaben oder | |
allgemeine Kosten zu veröffentlichen. Nach Abzug der Miete für die riesigen | |
Säle belaufen sich die Einnahmen aus der Welttournee täglich auf | |
Zehntausende Euro – besonders groß ist die Spendenfreudigkeit bei Menschen, | |
die den Darshan erhalten haben. | |
## Der Weltkonzern der Umarmung | |
„Ammas Reich ist keineswegs eine karitative NGO“, behauptet hingegen Sanal | |
Edamaruku, der Vorsitzende des Vereins der indischen Rationalisten. Er lebt | |
derzeit im finnischen Exil. Das Unternehmen Amma betreibe vielmehr „ein | |
schmutziges Business“, das man „auf die lange Liste der Scharlatane setzen | |
kann, die in Indien ihr Unwesen treiben“. Die genaue Verwendung der auf | |
ihren Tourneen gesammelten Gelder sei völlig undurchsichtig, meint | |
Edamaruku. | |
Nach Einsicht in die Unterlagen des indischen Innenministeriums und | |
Steuererklärungen einer US-amerikanischen ETW-Filiale fällt tatsächlich | |
auf, dass Ammas Verein über mehrere Jahre hinweg weniger Einnahmen | |
deklariert hat, als die US-Filiale an sie überwiesen hat. Noch | |
überraschender: 2012/2013 soll die Dachorganisation M. A. Math 219 | |
Millionen Rupien (fast 2,9 Millionen Euro) Zinsen eingenommen haben. Eine | |
„humanitäre Organisation“, die ihre Kassen füllt, um das Geld arbeiten zu | |
lassen? Die Pressesprecher von ETW lehnen jeden Kommentar dazu ab. | |
Amma spaltet die indische Gesellschaft, seit sich der kommunistische | |
Politiker T. K. Hamza 1998 im Bundesstaat Kerala öffentlich kritisch über | |
den Guru geäußert hat. Daraufhin brach der Zorn der hindunationalistischen | |
Bharatiya Janata Party (BJP) in organisierten Massenprotesten über ihn | |
herein. Ammas frühere Privatsekretärin Gail Tredwell, die 20 Jahre lang für | |
den Guru gearbeitet hat, erzählt in ihrem Erfahrungsbericht, wie sich Amma | |
vom lokalen Guru zum internationalen Star entwickelt hat. Tredwell | |
berichtet auch von Unterschlagungen und Gewalt, sogar Vergewaltigungen | |
innerhalb der Organisation, und den engen Verbindungen zu | |
hindunationalistischen Regierungsvertretern. | |
Der Weltkonzern der Umarmung hat durchgesetzt, dass Tredwells Buch wegen | |
„Blasphemie“ im Bundesstaat Kerala nicht vertrieben werden darf. Schon 1985 | |
wurde ein Buch des ehemaligen Polizisten Sreeni Pattathanam, der über | |
seltsame Todesfälle in Ammas Aschram berichtete, wegen „Blasphemie“ | |
zensiert. Der Autor arbeitet heute für den Verein der indischen | |
Rationalisten in Kerala. Kürzlich wurde eine indische Buchhandlung, die | |
einen Band mit Tredwell-Interviews herausgegeben hat, von Amma-Anhängern | |
verwüstet. | |
## Ein Geburtstag mit 100.000 Gästen | |
Trotz der Kritik nimmt Ammas Einfluss in Indien ständig zu. Der Geburtstag | |
der „göttlichen Mutter“ ist ein politisches Ereignis. Jedes Jahr am 27. | |
September versammeln sich Zehntausende Menschen. Die Feierlichkeiten | |
beginnen mit einer Zeremonie, die an die Eröffnung der Olympischen Spiele | |
erinnert: Gläubige aus allen Ländern paradieren in traditionellen Kostümen | |
und schwenken Nationalflaggen. Zu Ammas 50. Geburtstag, der 2003 im | |
Nehru-Stadion von Kochi (Kerala) gefeiert wurde, kamen mehr als 100.000 | |
Menschen. M. A. Math hatte über 2.500 Busse angemietet und sämtliche | |
Hotelzimmer im Umkreis des Stadions reserviert, das für diesen Anlass in | |
einen riesigen Aschram verwandelt wurde. | |
2015 wurde auch der französische Botschafter in Indien, François Richier, | |
zu den Feierlichkeiten geladen. „Es ist eine große Ehre, heute bei Ihnen zu | |
sein, um den Geburtstag unserer geschätzten Amma zu begehen“, erklärte er | |
im Beisein des indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi und des | |
BJP-Vorsitzenden Amit Shah. „Ammas Gedanken und ihre Weisheit helfen uns | |
beim Verständnis der großen Probleme unserer Zeit, zeigen uns | |
Möglichkeiten, Frieden zwischen den Ländern und den Völkern zu schaffen, | |
und behandeln Fragen, die uns alle betreffen, wie Bildung oder | |
Klimawandel.“ | |
Edamaruku warnt davor, sich täuschen zu lassen. Amma baue in Indien zwar | |
tatsächlich Krankenhäuser, Schulen und Hochschulen. Doch meistens handele | |
es sich um private Einrichtungen, die Profit generieren sollten, „damit | |
sich Ammas Organisation institutionell etablieren und ihre Macht noch | |
weiter festigen kann“. Unter dem Label Amrita verwaltet ETW einen eigenen | |
Hochschulverbund inklusive eigener Universitätsklinik mit mehr als 18.000 | |
Studierenden. In einem Werbeclip werden 23 wissenschaftliche | |
Forschungszentren (unter anderem für Luft- und Raumfahrttechnik, Chemie, | |
Ingenieurwesen, Informatik, Medizin und Biotechnologie) genannt, die 51 | |
Patente entwickelt haben sollen. Die Amrita-Universität, der Amma als | |
Präsidentin vorsitzt, wird im Ranking der besten indischen Hochschulen | |
geführt und kooperiert mit Universitäten in Europa und den USA. | |
Die vom Obolus der Gläubigen aus aller Welt finanzierte Hochschule ist in | |
der indischen Oberschicht sehr gefragt. Das Medizinstudium kostet 144.000 | |
Dollar. Laut Tredwell sind sämtliche Einrichtungen, also auch die | |
medizinische Versorgung, für die Sprösslinge ranghoher | |
hindunationalistischer Politiker kostenlos, während die Studierenden aus | |
armen Familien einen Kredit aufnehmen müssen. | |
## Die Blumenkette der EU-Kommissarin | |
Im Juli 2014 besuchten 300 Mitglieder der ETW-Jugendorganisation Amrita | |
Yuva Dharma Dhara (AYUDH) das Europaparlament, um dort im Beisein mehrerer | |
Abgeordneter das zehnjähriges Bestehen der Organisation zu feiern. AYUDH | |
ist vor allem dazu da, Ammas Interessen in Europa zu vertreten. Sie | |
beteiligt sich an der „No Hate Speech Movement“-Kampagneder | |
Jugendorganisationen des Europarats und erhält Fördermittel aus dem | |
Europäischen Jugendfonds. Die EU-Kommission unterstützt auch AYUDHs | |
religiöse Veranstaltungen, auf deren Programm unter anderem Gebete und die | |
Einführung in Kunsttherapie oder Permakultur stehen. | |
Der Guru aus Kerala kann sich auch auf die politische Unterstützung der | |
EU-Kommissarin für Kultur und Bildung, Martine Reicherts, verlassen. Auf | |
der Website von AYUDH sieht man die Luxemburgerin, die sich auch als | |
Yogalehrerin betätigt, zwischen lauter jungen Gläubigen fröhlich posieren, | |
und in den EU-subventionierten Broschüren der Organisation ist sie | |
ebenfalls abgebildet. Am 21. Oktober 2014, damals war sie noch | |
EU-Kommissarin für Justiz, besuchte sie die jährliche Massenveranstaltung | |
im französischen Pontoise. In einem Video ist zu sehen, wie der Guru | |
Blütenblätter auf Reicherts Kopf regnen lässt. Die EU-Kommissarin nähert | |
sich dem Thron, legt der Göttin eine Blumenkette um den Hals und umarmt sie | |
sichtlich gerührt. Dann kniet sie nieder, faltet als Zeichen ihrer | |
Hochachtung die Hände und neigt den Kopf, bis ihre Stirn Ammas Knie | |
berührt. | |
Später ergreift Reicherts auf der Bühne das Wort und wendet sich feierlich | |
an die Tausenden Anwesenden: „Ich habe das Amt einer Kommissarin, das ist | |
so etwas wie die europäische Justizministerin, und ich möchte Amma in | |
dieser Welt ohne Glauben meine Zuneigung bekunden, nicht als Anhängerin | |
oder als Schülerin (. . .). Wir leben in einer Welt, in der wir | |
Spiritualität, Werte und Mut brauchen. Dank Amma habe ich verstanden, dass | |
das Konkrete, das Alltägliche, das Politische zum Spirituellen führen | |
kann.“ | |
Allerdings beschränkt sich die Unterstützung der Europäischen Union nicht | |
auf warme Worte: Im Rahmen des Programms „Jugend in Aktion“ hat die | |
Kommission bereits mehr als 243.000 Euro an Ammas Jugendorganisation | |
überwiesen. | |
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz | |
13 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Jean-Baptiste Malet | |
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