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# taz.de -- Zensur einer Antisemitismus-Doku: Wehrhafte Juden sieht man nicht g…
> Eine WDR-Doku über Antisemitismus in Europa sollte auf Arte
> erstausgestrahlt werden. Weil sie nicht „ausgewogen“ sei, weigert sich
> der Sender.
Bild: Teilnehmer der Kundgebung „Steh auf! Nie wieder Judenhass!“ am 14. Se…
Josef Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, hält „die
Ausstrahlung der Dokumentation für außerordentlich wichtig“. Charlotte
Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, sagt,
Arte befinde sich „auf einem gefährlichen Irrweg“. Auch die
SPD-Bundestagsabgeordnete Michaela Engelmeier protestiert bei
Verantwortlichen des Senders.
Es geht um „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“,
einen Dokumentarfilm von Sophie Hafner und Joachim Schröder, den der WDR in
Auftrag gegeben und redaktionell abgenommen hat und der für eine
Erstausstrahlung bei Arte geplant war. Arte-Programmdirektor Alain Le
Diberder weigert sich aber, den Film zu zeigen, unter anderem mit dem
Verweis auf dessen mangelnde „Ausgewogenheit“ – als ob das beim Thema
Antisemitismus ein sinnhaftiges Argument sein könnte.
Der WDR äußert sich ähnlich bizarr. In einer Pressemitteilung schreibt er:
„Wir bedauern, dass die redaktionelle Abnahme im WDR offenbar nicht den
üblichen in unserem Haus geltenden Standards genügte.“ Zum Hintergrund:
Abgenommen hat den Film die Arte-Beauftragte des WDR, Sabine Rollberg, sie
ist eine mehrfach preisgekrönte Redakteurin, drei von ihr betreute Filme
wurden mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Es gibt in Deutschland im
Bereich Dokumentarfilm nur wenige Redakteure, die ähnlich kompetent sind
wie sie. Bleibt die Frage: Was haben die Kölner Hierarchen wirklich gegen
den Film?
Die taz hatte mittlerweile die Möglichkeit, den zurückgehaltenen Film zu
sehen. Das inhaltliche Spektrum reicht von einer Analyse der Sprache der
Antisemiten, die es verstehen, ihrer Ideologie freien Lauf zu lassen, ohne
konkret von Juden zu reden, bis zur detaillierten Beschreibung massiver
europäischer Finanzhilfen für israelfeindliche NGOs. Diese wiederum fachen
mit Falschdarstellungen über israelische Politik den europäischen
Antisemitismus an, der bis weit in die Mitte der Gesellschaft – und auch in
den Qualitätsjournalismus – hineinreicht.
Einer der Schwerpunkte des Films ist die Lage in Frankreich: In Sarcelles,
einem Vorort von Paris mit einer großen jüdischen Community, zeigt sich der
sozialistische Bürgermeister besorgt, weil junge französische Juden nach
Israel gehen wollen. Wenn sie das Land verließen, weil ihre
Religionsfreiheit massiv eingeschränkt werde, sei „Frankreich tot“, sagt
er.
## Der Film hat eine deutlich künstlerische Handschrift
Was man dem Film vielleicht vorwerfen kann: Die Macher wollen ein bisschen
zu viel. In der ersten Hälfte wirkt „Auserwählt und ausgegrenzt“ etwas zu
textlastig, man fühlt sich manchmal erschlagen von all den Zahlen und
historischen Exkursen. Andererseits: Der Inhalt sucht sich immer seine
Form, und Hafner und Schröder ging es darum, dem von Phantasmen und
Verdrehungen in Sachen Israel geprägten Bild der Bevölkerung möglichst viel
entgegenzusetzen. Da ist es durchaus zielführend, etwa ein paar Zahlen zu
liefern zu den Lebensverhältnissen in Gaza: 5.000 Menschen leben dort auf
einem Quadratkilometer – in Paris seien es 21.000.
Ungewöhnlich ist der teilweise sarkastische Tonfall, der an den
ARD-Moderator Dieter Moor erinnert. „Schade um das schöne Mittelmeer, wir
haben es so sehr gemacht“, heißt es an einer Stelle, nachdem die
Bundestagsabgeordnete Annette Groth der Linken tatsächlich Israel
vorgeworfen hat, das Mittelmeer zu vergiften. „Dieser Holocaust-Vergleich
wurde ihnen von ‚Brot für die Welt‘ präsentiert“, lautet wiederum der
Kommentar zu einer entsprechenden Äußerung einer großmütterlichen Frau aus
dem kirchlichen Milieu.
Diese Mittel sind aber angemessen. Man kann auf die wahnhaften Äußerungen,
die der Film aufgreift, kaum nüchtern reagieren. Selbst, wenn man die
sarkastischen Einsprengsel für unangebracht hielte, wäre das nur ein
geschmäcklerischer Einwand, der es nicht rechtfertigt, den Film in den
Giftschrank zu packen. „Vielleicht sollte man den Zuschauern zutrauen, sich
selber eine Meinung zu bilden“, sagt Schröder.
„Auserwählt und ausgegrenzt“ hat eine deutliche künstlerische Handschrift
und vor allem eine deutliche Haltung, es ist ein, so altmodisch das klingen
mag, gesellschaftskritischer Film. Wer ihn gesehen hat, fühlt sich
bestätigt in der Vermutung, dass die formalen Argumente der Sender
vorgeschoben sind. Den Hierarchen scheint die gesamte inhaltliche
Ausrichtung nicht zu passen.
Die Autoren erwähnen, dass, als sich 2014 bei Angriffen auf eine Synagoge
in Sarcelles Juden zur Wehr setzten, französische Medien ihnen vorwarfen,
sie hätten die Angreifer provoziert. „Wehrhafte Juden sieht man nicht
gern“, heißt es im Film dazu. Ein Ergebnis der Debatte um „Auserwählt und
ausgegrenzt“ lautet: Wehrhafte Filmemacher auch nicht.
11 Jun 2017
## AUTOREN
René Martens
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