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# taz.de -- Antisemitismus-Doku im Ersten: Mängel nicht beseitigt
> Die „Bild“ spielt Verfechterin der Pressefreiheit und die ARD ist nun
> doch gezwungen, die Doku zu zeigen. Am Ende hilft es nur den Antisemiten.
Bild: Die Gäste bei Maischberger am Mittwochabend zur Besprechung der umstritt…
Der Antisemit, er ist ein rares Wesen. Wirklich niemand will einer sein.
Was auch immer dafür sorgt, dass Juden mitten in Berlin oder Paris
geschlagen werden, dass das Wort „Jude“ als Schimpfwort auf Schulhöfen
üblicher Sprachgebrauch ist, dass jedes jüdische Café unter Polizeischutz
steht – mit Antisemitismus hat es nichts zu tun.
So gesehen war das Anliegen von WDR und Arte höchst ehrenhaft, ein
Film-Team ins Feld zu schicken, um den heutigen europäischen Antisemitismus
aufzuspüren. Erfolgreich: Die Sammlung von einschlägigen Statements quer
durch alle Bevölkerungsschichten in Deutschland und Frankreich, von den
Linken bis zu den Nazis, von Verschwörungsspinnern bis zu Rappern, von
christlichen Ureinwohnern bis zu muslimischen Einwanderern, ist ebenso
bedrückend wie erhellend.
Leider mussten die Filmemacher nebenbei auch noch den Nahost-Konflikt
klären. Dass die dort vertretene Sichtweise (kurze, aber präzise
Zusammenfassung: Israel = gut, Palästinenser = böse) gar nicht so sehr die
Sache der Juden und noch nicht einmal die Israels unterstützt, sondern dass
diese Film gewordene Netanjahu-Fantasie den Blick auf das Problem eher
verwässert, scheint ihnen nicht aufgefallen zu sein.
Wohl aber den Fernsehredakteuren, die die Ausstrahlung verhinderten. Aber
nicht etwa, um an der Beseitigung der Mängel zu arbeiten, sondern um den
Streifen ganz tief unten in der Schreibtischablage verschwinden zu lassen,
in der Hoffnung, er löse sich da schon irgendwie auf. Tat er aber gar
nicht. Schon stand der Verdacht im Raum, der Film werde nicht gezeigt, weil
„Die“ seine Ausstrahlung verhindern – was insofern verwirrend ist, weil
„Die“ ja üblicherweise Juden sind, wie der Film in seinen guten Momenten
zeigt.
So aber konnte sich die Bild als Verfechterin der Pressefreiheit
inszenieren, nebenbei ihre anti-öffentlich-rechtliche Kampagne pushen und
zeigte also den Film online, was die Debatte so sehr befeuerte, dass die
ARD nun doch noch im Hauptprogramm nachzog, nicht ohne sich fortwährend
vor, im und unter dem Film von selbigem zu distanzieren.
## Blüm und Schönenborn bei Maischberger
Abschließend sollte Sandra Maischberger alles wieder einfangen, lud statt
der Autoren aber lieber zum Beispiel Norbert Blüm ein, der immerhin auch
schon mal im Nahen Osten war. Nach dem Brimborium um das Ableben seines
Ex-Chefs Kohl war es zumindest beruhigend zu erfahren, dass es Blüm noch
gutgeht; wie eh und je beklagte er vor allem von Israelis begangenes
Unrecht.
Klar, wenn man über Antisemitismus in Deutschland redet, muss man zuerst
über Kinder im Gaza-Streifen sprechen. Blüm jedenfalls hätte man
effizienter nicht nach, sondern in dem Film zu Wort kommen lassen, irgendwo
zwischen Elsässer und Jebsen.
WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn versuchte derweil, die Untätigkeit
seiner Leute mit journalistischen Standards schönzureden, die
überraschenderweise lauten, dass eine ARD-Doku nicht einseitig sein und
keine Agenda verfolgen dürfe. Ob der Mann jemals zuvor ins eigene Programm
geguckt hat?
Am Ende jedenfalls dürften sich alle Antisemiten darin bestätigt sehen,
dass es gar keinen Antisemitismus gibt, sondern dass die Juden halt
schlimme Finger sind, die ihre Propagandafilme inzwischen sogar schon vom
WDR produzieren lassen. Was genauer betrachtetet eigentlich ein Beweis
gegen die Theorie des allmächtigen Judentums wäre, denn hätte das wirklich
was zu sagen, es würde kaum derartig dilettantische Auftragnehmer wählen.
Aber mit Logik ist Antisemiten ja ohnehin nicht beizukommen.
Den jüdischen Schülern in Berlin und Paris jedenfalls dürfte das ganze
Spektakel kaum geholfen haben, eine diskriminierungsfreie Kindheit zu
erleben.
22 Jun 2017
## AUTOREN
Heiko Werning
## TAGS
ARD
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