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# taz.de -- Katalanische Unabhängigkeitsbewegung: Nie verheilte Wunden
> Der Freiheitsdrang der Katalanen hat vielfältige Ursachen. Er speist sich
> auch aus den nicht aufgearbeiteten Verbrechen der Franco-Diktatur.
Bild: Hinter den Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens von Spanien stecken h…
Jeder Konflikt und jede Krise hat seine eigene geschichtliche Gestalt und
kann nicht einfach mit anderen verglichen werden. Das Wort „Separatismus“
in Zusammenhang mit Katalonien zu verwenden kommt aber schon einer
politischen Parteinahme gleich.
Dieses Wort wird gerne von Zentralgewalten benutzt, um ihren
Herrschaftsanspruch zu festigen und die jeweiligen (Befreiungs-)Bewegungen
zu diffamieren. Das gilt für das Verhältnis China/Tibet genauso wie für das
Verhältnis [1][der Türkei zu den Kurden]. Auch das serbische
[2][Milošević-Regime] wollte 1991 seine militärische Intervention gegen die
Loslösung der Republiken Slowenien und Kroatien von Jugoslawien und später
im Kosovokonflikt mit dem Vorwurf des „Separatismus“ legitimieren.
In den Ohren vieler Katalanen löst dieses Wort eine Reihe von Assoziationen
mit der jahrhundertelangen Dominanz der spanischen Zentralgewalt aus. Wie
oft wurde die katalanische Sprache im Laufe dieser Jahrhunderte verboten?
Wie oft hat die Zentralgewalt zu diktatorischen Zwangsmitteln gegriffen, um
Katalonien und [3][das Baskenland] im Griff zu behalten? Sind die Wunden
des Spanischen Bürgerkrieges von 1936 bis 1939 tatsächlich verheilt? Oder
holt Spanien und Katalonien diese blutige und nie aufgearbeitete Geschichte
erneut ein?
Als das Franco-Regime nach dem Tod des Diktators 1975 angesichts von
Massendemonstrationen und Streiks zusammenbrach und 1978 endlich eine
demokratische Verfassung verabschiedet wurde, hatte sich ein Kompromiss
zwischen den beiden, etwa gleich starken Lagern in der postfranquistischen
Gesellschaft, der demokratischen Linken und dem noch immer von den
Herrschaftsmechanismen des Franco-Regime beeinflussten konservativen Lager,
herausgestellt: Die Vergangenheit sollte ruhen und der Blick in die Zukunft
gerichtet werden.
## Anti-Frankisten hofften langfristig auf Föderalisierung
Über die Verbrechen der Franco-Zeit sollte nicht diskutiert, die Träger des
alten Systems sollten nicht angetastet werden. Dafür gab es zunächst gute
Gründe. Denn die franquistische Rechte war bereit, ihr System mit Gewalt zu
verteidigen. Erst als der Putschversuch von General Milan Bosch 1981 am
breiten Widerstand der Gesellschaft und der eindeutigen Stellungnahme des
Königs gegen die Putschisten scheiterte, war der Weg zunächst frei für die
Demokratisierung des Systems.
Von der Demokratisierung erhofften sich die antifranquistischen Kräfte
langfristig auch die Föderalisierung Spaniens. Wenn heute fast alle
Regierungen der EU und Brüssel sich einseitig auf die Seite Madrids
stellen, sei daran erinnert, dass es damals eine Intervention „Europas“ für
die Demokratie und für eine neue Verfassung Spaniens gegeben hat. Während
starke Kräfte in der CDU/CSU – man denke nur an Franz Josef Strauß – gute
Beziehungen zum Franco-Regime unterhalten hatten, versuchte die deutsche
Sozialdemokratie unter Führung des Ex-Spanienkämpfers Willy Brandt schon
vor Francos Tod den Demokratisierungsprozess in Spanien zu unterstützten.
Der spätere langjährige Ministerpräsident Felipe González wurde wie viele
Kader der Sozialistischen Partei, der PSOE, in Bad Godesberg geschult.
Ohne die Rolle der SPD wäre der ans deutsche Grundgesetz angelehnte
Verfassungskompromiss wohl nicht zustande gekommen. Die massive
Intervention der europäischen Sozialdemokratie half also der spanischen
Demokratie auf die Sprünge. Die Webfehler des Systems sollten nach Ansicht
der Mehrheit der linken Kräfte dann in einem demokratischen Prozess
überwunden werden.
Denn auch die Verfassung von 1978 ist nach wie vor zentralistisch
ausgerichtet und berücksichtigt die Interessen der Regionen zu wenig. Der
Versuch der Sozialisten 2005, das Relikt der Franco-Zeit, den Madrider
Zentralismus, anzutasten und ein Autonomiestatut mit Katalonien
auszuhandeln, stieß auf den massiven Widerstand der Konservativen. Indem
Ministerpräsident Mariano Rajoy 2010 alles dafür tat, den Kompromiss in
Bezug auf Katalonien zu Fall zu bringen, hat er die Lunte an den Konflikt
zwischen Zentralstaat und den Regionen erneut gezündet. Seitdem befindet
sich die katalanische Unabhängigkeitsbewegung wieder im Aufwind. Und die
alten Wunden aus der Bürgerkriegszeit werden wieder aufgerissen.
## Kaum Denkmäler für die gefallenen Anhänger der Republik
Die Hoffnungen, mit der Demokratisierung würde auch symbolisch ein
Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen, haben sich nicht erfüllt.
Warum gibt es fast keine Denkmäler für die Gefallenen und die im
Franco-Staat ermordeten Anhänger der Republik, während die großen Monumente
für die „Helden“ der Faschisten bestehen blieben? Warum wurden überlebende
Kämpfer für die Republik im neuen System nicht nur politisch, sondern auch
sozial benachteiligt – so im Rentensystem, während Repräsentanten des alten
Regimes weiterhin ihre alten Privilegien genießen konnten? Die nationale
Aussöhnung wurde von den rechten Parteien blockiert.
Wie überall in ähnlichen Konflikten waren es auch in Spanien die Opfer, die
– ohne nachhaltigen Erfolg – ihre Hand gereicht haben. Die weit verzweigte
Zivilgesellschaft in Katalonien hat ihre Wurzeln im antifranquistischen
Kampf der 70er Jahre, der wiederum an die Traditionen der Linken des
Bürgerkriegs anzuknüpfen suchte. Die ehemals linke und multinationale
Arbeiter- und Stadtteilbewegung und jetzige Zivilgesellschaft tut sich
trotz der gemeinsamen Ablehnung des Madrider Zentralismus allerdings
schwer, mit dem nationalistisch denkenden katalanischen Kleinbürgertum zu
kooperieren.
Der Kern der nationalen Unabhängigkeitsbewegung besteht aus Leuten, die
sich wie Puigdemont in der Tradition der katalanischen kleinbürgerlichen
Nationalbewegung sehen. Die Repression in der Franco-Zeit, das Verbot ihrer
Sprache und Kultur, hat tiefe Spuren in Hunderttausenden von Familien
hinterlassen. Wie alle Nationalisten stehen auch die katalanischen
politisch rechts, sie sehen sich aber gezwungen, sich wie in der Zeit des
Bürgerkriegs mit den Linken zu verbünden, um ihr Ziel, die Unabhängigkeit
von Spanien, doch noch zu erreichen. Dagegen sind große Teile der
Zivilgesellschaft dem linken und multinationalen, demokratischen Spektrum
zuzurechnen, das proeuropäisch und basisdemokratisch gepolt ist. Dieses
Spektrum steht für eine Autonomie des Landes ein, aber nicht unbedingt für
die staatliche Unabhängigkeit Kataloniens.
Die katalanische Bewegung also ist in sich widersprüchlich und
differenziert. Doch es gibt durchaus Grund zu der Annahme, dass in den
nächsten Tagen und Wochen alle Seiten des katalanischen politischen
Spektrums zusammenstehen werden.
## Nicht vergleichbar mit anderen populistischen Bewegungen
Das Europa der EU darf nicht ignorieren, dass die katalanische Bewegung aus
ihrer Geschichte und ihrer Entwicklung der letzten Jahrzehnte heraus
proeuropäisch tickt und keineswegs in den Topf der populistischen
Bewegungen in anderen Teilen Europas geworfen werden kann.
Dagegen werden von europäischer Seite aus die neofranquistischen Bewegungen
in Spanien (Kastilien) unterschätzt. Die bisherige Haltung der EU und auch
Deutschlands mag zwar legalistisch sein, ist aber keineswegs klug. Dass die
spanischen Sozialisten offenbar jetzt Rajoy unterstützen, sollte die SPD
auf den Plan rufen.
Der Autor unterstützte Anfang der siebziger Jahre die antifranquistischen
Widerstandsbewegungen in Katalonien. Buch: Alle oder keiner, Rotbuch-Verlag
1 Nov 2017
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## AUTOREN
Erich Rathfelder
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