# taz.de -- Verkehrspolitik in Berlin: Der Oberradler steigt vom Sattel | |
> Heinrich Strößenreuther, der Mann hinter dem Volksentscheid Fahrrad, hört | |
> auf. Dabei ist das Mobilitätsgesetz noch nicht verabschiedet. | |
Bild: „Bewusst agierender Provokateur“: Heinrich Strößenreuther auf einem… | |
Zum 50. Geburtstag ein Radgesetz: Das ist der Wunsch von Heinrich | |
Strößenreuther, wie er vor kurzem am Rande eines Pressegesprächs verriet. | |
Der Initiator und – man kann es ruhig so sagen – Anführer der Initiative | |
Volksentscheid Fahrrad will fortan aber keinen Einfluss mehr darauf haben, | |
ob das erhoffte Präsent auch rechtzeitig eintrifft. Am Mittwoch verkündete | |
der 49-Jährige seinen Rückzug aus der Initiative. „Aus beruflichen | |
Gründen“, schreibt Strößenreuther in einer Mitteilung. | |
„Ich habe die vergangenen zwei Jahre als Radlobbyist weitgehend | |
ehrenamtlich gearbeitet, mein Konto ist leer“, sagt er auf Nachfrage der | |
taz. Künftig will er wieder als selbstständiger Berater vor allem im | |
Verkehrsbereich tätig sein. | |
Die Entscheidung kommt auch für einige Mitstreiter überraschend, denn das | |
bundesweit erste Radgesetz ist noch nicht verabschiedet. Im August stellte | |
Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für die Grünen) den zusammen | |
mit der Initiative und dem ADFC erarbeiteten Gesetzentwurf vor, nun muss er | |
noch durchs Parlament. Strößenreuther und die Initiative gehen fest davon | |
aus, dass das Gesetz in der letzten Sitzung des Abgeordentenhauses dieses | |
Jahr am 14. Dezember verabschiedet wird. „Alles andere wäre ein | |
Armutszeugnis für die Grünen und die Verkehrssenatorin“, betont er. Aber im | |
parlamentarischen Ablauf ist der Entwurf der Kontrolle durch die Initiative | |
und den Senat entzogen. | |
Doch selbst wenn es noch länger dauern würde: Es ist vor allem die Leistung | |
von Strößenreuther, ein solches Gesetz in so kurzer Zeit auf den Weg | |
gebracht zu haben. Vor ziemlich genau zwei Jahren sei er nach Gesprächen | |
mit Mitgliedern anderer Volksgesetzinitiativen auf die Idee gekommen, den | |
Klimaschutz durch den Ausbau des Radverkehrs voran zu treiben, berichtet | |
er. Professionell wie keiner vor ihm in Berlin mobilisierte und | |
organisierte er die Initiative Volksentscheid Fahrrad, die Anfang 2016 | |
bereits aus 70 Menschen bestand. | |
Innerhalb von nur vier Wochen sammelten sie im Juni 2016 rund 90.000 | |
Unterschriften für den massiven Ausbau der Infrastruktur für Radler – | |
20.000 hätten genügt, um die erste Hürde zu nehmen. Der Druck auf die | |
Politik wuchs immens, Radsicherheit wurde zu einem zentralen Thema über den | |
Wahlkampf hinaus. In den Koalitionsverhandlungen übernahmen SPD, Linke und | |
Grüne im Herbst die Forderungen, seit Februar verhandelte die neue | |
Verkehrssenatorin mit den Radlobbyisten. Ein Volksentscheid sollte so | |
vermieden werden. | |
Nicht immer verlief die Zusammenarbeit zur Zufriedenheit der Initiative. | |
Mehrfach piesackte Strößenreuther öffentlich die Senatorin, nachdem der von | |
Rot-Rot-Grün selbst gesetzte Zeitplan in Verzug kam. Anfang Mai | |
veröffentlichte die Initiative ohne Absprache mit dem Senat den damals | |
aktuellen Entwurf – Regine Günther reagierte mit Vertrauensentzug. Und | |
nicht immer war man sich sicher, ob Strößenreuther nicht allzu viel Wind um | |
nichts machte. Trotzdem dankte Günthers Sprecher Matthias Tang am Mittwoch | |
dem Mann, der „Bewegung in die Berliner Radpolitik gebracht“ habe. „Sein | |
zivilgesellschaftliches Engagement war beispielgebend“, so Tang gegenüber | |
der taz. | |
Der grüne Abgeordnete Stefan Gelbhaar, der an den Verhandlungen zum Gesetz | |
maßgeblich beteiligt war, bezeichnet Strößenreuther als einen „politisch | |
bewusst agierenden Provokateur mit einem klaren Ziel vor Augen.“ Womit er | |
richtig liegt. | |
Mit dem Kernteam der Initiative hatte Strößenreuther seinen Rückzug | |
abgesprochen und zuletzt Aufgaben an andere verteilt. Mit „Wehmut“ habe sie | |
die Entscheidung aufgenommen, sagt Kerstin Stark, ein Gründungsmitglied der | |
Initiative, und betont, dass es kein „Abschied im Bösen“ gewesen sei. | |
Strößenreuther habe viel Wissen weitergeben und das Team aufgebaut. „Davon | |
profitieren wir weiter“. Ersetzen werde ihn aber so schnell niemand. | |
Die Initiative will sich weiterhin einmischen, kündigt Kerstin Stark an: | |
Derzeit werde mit dem Senat der Radverkehrsplan erarbeitet, der zusammen | |
mit dem Gesetz verabschiedet werden und die Details des Ausbaus regeln | |
soll. „Im Gesetz ist ein Monitoring vorgesehen. Daran werden wir uns | |
beteiligen“, sagt Stark. | |
Und auch Heinrich Strößenreuther wird nicht gleich ganz von der Radspur | |
verschwinden: „Mir wird die Politik fehlen. Ich habe gemerkt, dass mir | |
Campaigning doch mehr Spaß macht als gedacht“, sagt er und kündigt an: „I… | |
beobachte die Entwicklung des Gesetzes, keine Angst.“ Schließlich ist sein | |
50. Geburtstag am 26. Dezember. Und er will sein Geschenk wirklich haben. | |
13 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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