| # taz.de -- Schrottimmobilien in Berlin: Ein dreckiges Geschäft | |
| > In verwahrlosten Häusern vermieten gewissenlose Eigentümer Zimmer zu | |
| > horrenden Preisen. Ein Besuch in einem Weddinger Haus. | |
| Bild: Rund 50 Kinder wohnen in dem Haus | |
| Orhans Blick wandert vorbei an überfüllten Mülltonnen die graue Fassade mit | |
| den vielen kaputten Fenstern hinauf. Der 43-Jährige, der eigentlich anders | |
| heißt, steht im Innenhof, den sich Kameruner Straße 5 und Lüderitzstrasse | |
| 22 in Wedding teilen. Die Nachmittagssonne schafft es nicht über das | |
| fünfgeschossige Eckhaus in den Hof. Orhan zeigt auf den Kellereingang, wo | |
| Einkaufswagen den Weg versperren. In einem verwest eine Ratte. Ein Nachbar | |
| kommt hinzu „Çok pislik“, schimpft der – so dreckig. Orhan stimmt ein – | |
| „und die Ratten“, er winkt ab. „Kedi gibi“ – manchmal groß wie eine … | |
| ergänzt der Nachbar. Seit vier Jahren schon wohnt Orhan hier. Es sei schon | |
| immer eine Bruchbude gewesen, erklärt er. | |
| Orhan steigt die Stufen im Treppenhaus der Kameruner Straße hinauf, | |
| löchrige Planen ersetzen die Fensterscheiben zum Hof. Den Gestank von | |
| Abfall löst im ersten Stock ein chlorhaltiges Putzmittel ab, im zweiten | |
| duftet es dann schon nach köchelndem Suppenfleisch. Vom Treppenhaus blickt | |
| man auf jeder Etage in lange Flure mit hohen Decken. Die Wände wären kahl, | |
| wenn nicht schwarzer Schimmel oder gelbe Flecken von Wasserschäden an ihnen | |
| blühten. | |
| Die insgesamt 120 Bewohner*innen mieten meist zu mehreren einzelne Zimmer | |
| in den heruntergekommenen Altbauwohnungen. Küche und Bad teilen sie sich. | |
| In der Küche, drittes Obergeschoss rechts, liegt ein gelber Schwamm in | |
| kleine Stücke gerupft auf der Spüle. „Die Ratten sind in den Decken und | |
| Wänden, die fressen alles, was man liegen lässt“ sagt Orhan. Gleich neben | |
| der Küche liegt das Gemeinschaftsklo. Rosa Kacheln, orange-schwarzes | |
| Schimmelmuster an den Wänden. Eine Etage weiter oben steht nur noch eine | |
| zerbrochene Kloschüssel, auf einer anderen Etage liegen zerbrochene | |
| Deckenplatten um das Klo verteilt. Orhan schimpft und zeigt auf eine | |
| Duschtasse, die randvoll mit dreckig grauem Wasser steht. Er wolle so | |
| schnell wie möglich ausziehen, „alle wollen gehen“. | |
| ## Anwohner haben sich beschwert | |
| 120 Mieter*innen hat der Bezirk in dem Eckhaus gezählt, „viele sind | |
| Bulgaren, Albaner, Roma“, erzählt ein Nachbar, mit dem Orhan den Flur | |
| teilt. Unter den Bewohner*innen sind etwa 50 Kinder. Auch die wollen raus | |
| aus dem Haus, weiß eine Lehrerin der nahe gelegenen Anna-Lindh- Schule. 17 | |
| Kinder aus der Kameruner Straße sind hier eingeschult. Das Haus Kameruner | |
| Ecke Lüderitzstraße sei kein Einzelfall, so die Lehrerin. Ihr fielen | |
| mindestens noch zwei Adressen im Afrikanischen Viertel ein, wo | |
| Schüler*innen in ähnlichen Verhältnissen lebten. Einige Familien hätten es | |
| geschafft, aus den Häusern ausziehen. „Ganz stolz“ erzählten die Kinder es | |
| dann in der Schule. Vom Jugendamt erwarte man in solchen Fällen nur wenig | |
| Unterstützung, weil sie dort „personell zu schlecht ausgestattet“ seien. | |
| Seitdem sich Anwohner*innen aus den umliegenden Häusern über die | |
| Verwahrlosung der Immobilie beschwert haben, beschäftigt das Haus | |
| verschiedene Stellen des Bezirks Mitte und des Senats. Mit Mahnungen habe | |
| man versucht, den Eigentümer zur Rechenschaft zu ziehen, erklärt Ephraim | |
| Gothe (SPD), Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung in Mitte. Der heißt | |
| Santosh A. Das Eckhaus im Afrikanischen Viertel hat er geerbt und neun | |
| weitere auch, weiß Gothe. Müll, Ratten und was sonst in seinen Immobilien | |
| passiert, scheinen ihn nicht nur in der Kameruner Straße, sondern auch in | |
| den restlichen Immobilien wenig zu kümmern. „Die Gespräche laufen, aber | |
| leider schleppend“, erklärt Gothe. Auch weil A. nur per Postadresse | |
| kontaktierbar sei. Auch die taz konnte ihn nicht erreichen. | |
| Darum ist der Bezirk kurzfristig selbst aktiv geworden, hat Termine mit dem | |
| Berliner Mieterverein organisiert. Schwerwiegende bauliche Mängel habe man | |
| nicht festgestellt, heißt es von Bezirksstadtrat Gothe. Also ein Fall für | |
| die Wohnungsaufsicht. | |
| Die hat Rattenbekämpfung und Müllentsorgung veranlasst, Sperrmüll abholen | |
| lassen und die Stromversorgung, die seit einem Kellerbrand im Juli | |
| unterbrochen war, repariert. Auf eigene Kosten. Die könne man zwar in das | |
| Grundbuch der Immobilie übertragen, das sei aber ein langwieriges | |
| Verfahren, erklärt die Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung | |
| und Wohnen, Petra Rohland. In Vorleistung geht dabei immer der Bezirk. | |
| Angesichts klammer Haushalte keine Strategie mit Modellcharakter. | |
| Auch sonst sind die getroffenen Maßnahmen wohl allenfalls kurzfristige | |
| Lösungen. Wenige Wochen nach den Hauruck-Aktionen des Bezirks quellen im | |
| grauen Innenhof erneut die Müllcontainer über – weil ihn keiner abholt. Das | |
| Rascheln in der Tonne lässt vermuten, dass die Ratten nicht endgültig | |
| besiegt sind. Eine Bewohnerin spritzt mit einem Gartenschlauch Wasser auf | |
| die Betonsteine im Hof, vielleicht um Gestank und Fliegen zu verjagen. „Çok | |
| pislik“, Orhan schimpft wieder – sie lacht und wiederholt „Çok pislik“. | |
| Orhan stößt eine Kellertür mit dem Fuß auf, einer Wolke Fliegen folgt | |
| Verwesungsgestank. Der Weg in den Keller führt über tote Ratten, die wie | |
| plattgewalzt auf der Treppe liegen. Das Gift hat sie von innen vertrocknen | |
| lassen – manche haben Wasserpfützen wieder aufgeweicht. | |
| ## Enteignung kommt nicht in Frage | |
| Der Bezirk hätte die Immobilie gern gekauft, aber verkaufen wolle Santosh | |
| A. nicht, erklärt Stadtrat Gothe. Eine Enteignung kommt nicht infrage, dazu | |
| müsste die Erhaltung des Gebäudes bedroht sein. Und damit ist der | |
| Handlungsspielraum des Bezirks auch schon fast ausgeschöpft. Denn weitere | |
| Maßnahmen erfordern Zeit, Personal und Geld. Den Behörden fehlen mindestens | |
| zwei davon. | |
| Auch in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen weiß man um | |
| die verzwickte Lage der Bezirke. Das Wohnungsaufsichtsgesetz liefere zwar | |
| die gesetzlichen Grundlagen, um solche Situationen zu handhaben, sagt | |
| Sprecherin Rohland. So könne der Bezirk etwa Geldstrafen bis zu 25.000 Euro | |
| gegen den Eigentümer verhängen. An Sanktionen und anderen Maßnahmen hingen | |
| aber aufwendige Aufklärungsarbeit, die die Behörden nicht stemmen könnten. | |
| „Die Vollzugsprobleme resultieren nicht aus einer unzureichenden | |
| Rechtsgrundlage, sondern aus dem Personalmangel“, so Rohland. Wegen | |
| Überbelegung könnte der Bezirk theoretisch räumen, auf dem Berliner | |
| Wohnungsmarkt ist das aber keine Maßnahme, die leicht von der Hand geht und | |
| schnell zum Balanceakt zwischen Schutz der Mieter*innen und Sanktionierung | |
| des Eigentümers wird. „Aus Sorge darüber, die betroffenen Personen in die | |
| Obdachlosigkeit zu entlassen“, geht die Behörde hier eher zögerlich gegen | |
| Santosh A. vor. | |
| Den Namen Santosh A. hat Orhan noch nie gehört. Das mit der Miete habe er | |
| immer mit einem Mann namens Thomas geregelt. Den hat Orhan vor vier Jahren | |
| auf der Straße kennengelernt, Thomas habe ihn angesprochen. „Brauchst du | |
| eine Wohnung?“ Eine Woche später ist Orhan eingezogen. Seitdem zahle er für | |
| sein 20-Quadratmeter-Zimmer mal 400, mal 500 Euro Miete, in bar an Thomas. | |
| Immerhin besser als sein Nachbar, der zahle 700 Euro für ein halb so großes | |
| Zimmer, in dem er mit seiner dreiköpfigen Familie wohne. | |
| Susanna Kahlefeld kommt das bekannt vor. Die Grünen-Politikerin sitzt im | |
| Berliner Abgeordnetenhaus und befasst sich seit fünf Jahren mit sogenannten | |
| Problem- oder Schrottimmobilien. „Das ist ein Geschäftsmodell und in allen | |
| Bezirken gleich“, erklärt die Abgeordnete aus Neukölln. Eine Anfrage im | |
| Jahr 2014 ergab, dass es allein im Bezirk Mitte 35 solcher Häuser gebe, 47 | |
| waren es 2015 in Neukölln. „Die Immobilien werden gemeinsam von Eigentümern | |
| und Hausverwaltungen betrieben, häufig sind die sogar polizeibekannt. Sie | |
| vermieten Zimmer in eigentlich unbewohnbaren Häuser zu total überteuerten | |
| Mieten. Die Bewohner haben keine Mietverträge, zahlen in bar und sind | |
| dadurch in einem ziemlich rechtlosen Status.“ Ohne Nachweis über | |
| Mietzahlungen könnten auch Anwält*innen und Mietberatungen wenig | |
| ausrichten. Viele der Betroffenen seien häufig nicht über ihre Rechte | |
| informiert. Das könnte auch die Erfahrung der Senatsverwaltung erklären: | |
| „Beschwerden über die prekären Wohnverhältnisse kommen aus der | |
| Nachbarschaft, nie von den Betroffenen selbst“ berichtet Sprecherin | |
| Rohland. | |
| ## Missstände werden eher Mietern zur Last gelegt | |
| Dass Menschen sich in solche Mietverhältnisse begäben, ist laut Kahlefeld | |
| einer Mischung aus Wohnraumknappheit und extremer Diskriminierung | |
| bestimmter Bevölkerungsgruppen auf dem Wohnungsmarkt geschuldet. „Die | |
| Vermietungspraxis trägt dann dazu bei, dass Vorurteile gegenüber ohnehin | |
| diskriminierten Gruppen befeuert werden.“ Wenn sich etwa wegen Überbelegung | |
| der Müll im Hof staue, würde das eher den Mietenden als den Vermietenden | |
| angelastet, die sich an der prekären Situation der Menschen bereicherten. | |
| Ob Eigentümer oder Hausverwaltung: Wer bisher von der Vermietungspraxis in | |
| dem Eckhaus im Afrikanischen Viertel profitiert hat, tut es offenbar seit | |
| geraumer Zeit nicht mehr. Seit zwei Monaten habe keiner mehr Miete gezahlt, | |
| sagen Orhan und sein Nachbar. „Weil Thomas nicht mehr kommt und das Geld | |
| abholt.“ Vom Bezirk heißt es, eine Hausverwaltung gebe es seit Anfang des | |
| Jahres nicht mehr. Derzeit bemüht man sich in Mitte darum, das zu ändern. | |
| „Wir konnten den Eigentümer überzeugen, eine städtische Hausverwaltung in | |
| Betracht zu ziehen“, heißt es vage optimistisch von Stadtrat Gothe. Die | |
| Gespräche mit Gewobag und Gesobau liefen, „der Ausgang ist von der | |
| Kooperationsbereitschaft des Eigentümers abhängig.“ | |
| „Ein Kompromiss“, meint Susanna Kahlefeld, „die Missstände würde der Be… | |
| abstellen, der Besitzer müsste Reparaturen übernehmen und auf die Einnahmen | |
| der Überbelegung verzichten, bliebe aber im Besitz der Immobilie.“ Das | |
| würde eine intakte Wohnung in einem Gründerzeithaus bedeuten, die komplett | |
| statt zimmerweise vermietet wird. Kahlefeld: „Die Frage ist, ob sich die | |
| jetzigen Bewohner*innen die Mieten dann noch leisten können.“ | |
| 13 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Anne Pollmann | |
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