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# taz.de -- Reichsbürger-Prozess in Nürnberg: „Der freie Mann Wolfgang“
> Im Herbst 2016 erschoss ein Mann einen Polizisten. Man kennt ihn als
> Reichsbürger von Georgensgmünd. Seine Verteidiger sagen, er sei gar
> keiner.
Bild: „Mein Wort ist hier Gesetz“: der Briefkasten des Angeklagten vor sein…
Nürnberg taz | Würde Wolfgang P. aufstehen, wenn die Richter den
Sitzungssaal 600 des Landgerichts Nürnberg-Fürth betreten? Es wäre eine
Geste der Anerkennung eines Gerichts der Bundesrepublik Deutschland, die
nicht zu dem Bild des Reichsbürgers passen würde, das die
Staatsanwaltschaft von dem Angeklagten zeichnet.
Denn Reichsbürger erkennen die Institutionen dieses Staats nicht an und
glauben stattdessen an die Existenz eines Deutschen Reichs. Steht P. also
auf, erkennt er die Würde des Gerichts, vor dem er als Angeklagter steht,
an? Die Frage bleibt unbeantwortet, denn die Richter kommen so schnell
herein, dass P. noch gar keine Gelegenheit hatte, sich zu setzen.
Angeklagt ist P. wegen Mordes. Zwar gibt es keine Zweifel daran, dass der
Mann am Morgen des 19. Oktober 2016 die tödlichen Schüsse auf einen
32-jährigen Polizisten abgegeben hat, doch die Verteidiger Susanne Koller
und Michael Haizmann wollen mehr herausholen als mildernde Umstände und ein
niedrigeres Strafmaß. Fahrlässige Tötung, gefährliche Körperverletzung, das
seien die Tatbestände, über die man allenfalls sprechen könne, sagen sie.
In der Tat könnten die beiden Darstellungen dessen, was an jenem Oktobertag
im Jahr 2016 passierte, unterschiedlicher nicht sein. Auf der einen Seite
schildert die Staatsanwaltschaft einen Mann, der – offenbar gewarnt – in
Schutzweste und mit einer 9-Millimeter-Pistole bewaffnet auf der Lauer lag,
um möglichst viele Polizisten aus niederen Beweggründen zu töten.
## Er lächelt in die Kameras
Auf der anderen Seite spricht die Verteidigung von einem Mandanten, der
friedlich im Bett lag, als er von dem Polizeieinsatz aus dem Schlaf
gerissen wurde. Von Martinshorn oder Blaulicht habe er nichts gemerkt, nur
dass mehrere Menschen in sein Haus eindringen wollten. Eine Mitbewohnerin
habe geschrien.
Gutachter Michael Wörthmüller wird wenig später aussagen, der Angeklagte
habe gedacht, der dritte Weltkrieg sei ausgebrochen. Er habe den Moment
beschrieben als die „Sekunden, die zwischen Arschloch und Held entschieden
haben“.
Es ist zwölf Minuten nach neun Uhr, als P., begleitet von fünf
Sicherheitskräften, den Saal betritt. Erhobenen Hauptes – die Phrase trifft
es in diesem Fall tatsächlich gut. Er hat eine natürliche Glatze, unter dem
grauen Sakko trägt er ein gelbes T-Shirt.
Kein Aktenordner, hinter dem er sein Gesicht versteckt. P. schaut in die
Kameras. Lächelt. „Er hat sich zur Schau gestellt“, findet die Anwältin d…
Nebenklage. Monika Goller vertritt die Mutter des getöteten Polizisten. Es
sei ein Augenblick gewesen, der „schwer zu ertragen“ gewesen sei.
Angaben zur Person will P., der in zwei Wochen 50 Jahre alt wird, nicht
machen. Nur so viel: „Ich bin der freie Mann Wolfgang.“ Und etwas später,
nach der Aussage des Gutachters: „Der Wolfgang kann sagen, das ist
weitgehend richtig.“ Aber Reichsbürger? Nein, als Reichsbürger sehe sich P.
nicht, sagen seine Anwälte immer wieder. Sondern? „Als Mensch.“
## Dreißig Kurz- und Langwaffen
Was sei denn bitte ein Reichsbürger, fragt Verteidiger Haizmann. Das sei
doch ein sehr unbestimmter Begriff. Und überhaupt: Ob P. nun glaube, dass
die Bundesrepublik eine GmbH sei oder nicht, das tue für das Verfahren
nichts zur Sache.
Die Verteidiger sehen eine klare Mitschuld der Einsatzleitung. Der
Polizeieinsatz sei „der Versuch der Zähmung eines querulatorischen
Menschen“ gewesen. Sie sprechen von dilettantischer Einsatzplanung und
falschen Informationen. So sei die Polizei davon ausgegangen, dass P. nie
das Haus verlasse. Allerdings hätte ein Blick ins Internet genügt, und man
hätte festgestellt, dass P. allein dreimal pro Woche
Selbstverteidigungskurse gebe.
Bei so einer Gelegenheit hätte man ihn in der Jogginghose und unbewaffnet
angetroffen. Der von der Staatsanwaltschaft geschilderte Tatablauf sei
„komplett konstruiert“. In Wirklichkeit sei P. „zutiefst erschüttert“.…
habe oft gesagt, er wünschte sich, an der Stelle des Getöteten zu sein.
Tatort des Blutbads war Georgensgmünd, gut 30 Kilometer südlich von
Nürnberg gelegen. Keine 7.000 Menschen leben hier. Dort befindet sich das
Anwesen von Wolfgang P. Wer ihn besucht hat, las zunächst ein Schild mit
der Aufschrift „Mein Wort ist hier Gesetz“.
Rund dreißig Kurz- und Langwaffen soll P. hier gehortet haben, der seit
Anfang der Neunziger eine Waffenbesitzkarte besaß. Diese wurde ihm
allerdings vom Landratsamt entzogen, als er sich gegen eine Überprüfung
sperrte.
## Sehr eigene Weltsicht
So kam es zu dem fatalen Polizeieinsatz. Insgesamt elf Schüsse soll P.
innerhalb kürzester Zeit abgegeben haben. Der 32-jährige Beamte starb noch
in der folgenden Nacht. Zwei weitere Polizisten wurden verletzt, ein
vierter blieb unverletzt, obwohl er sich im Schussfeld befand. Für die
Staatsanwaltschaft ist die Sache deshalb eindeutig: „Mord mit versuchtem
Mord in drei tateinheitlichen Fällen und mit gefährlicher Körperverletzung
in zwei tateinheitlichen Fällen“.
Am ersten Prozesstag sagt der Gutachter Michael Wörthmüller aus. Dem
Chefarzt der Klinik für Forensische Psychiatrie in Erlangen ist es offenbar
schnell gelungen, das Vertrauen des Angeklagten zu gewinnen. Als freundlich
und zugewandt beschreibt er ihn. P. habe ihm gegenüber angegeben, er habe
keinen Polizisten schädigen wollen. Er habe nichts gegen die Polizei. P.
nickt. Er habe sogar geplant, seine Waffen abzugeben, um diese dann auf
legalem Weg zurückzufordern. Erneutes Nicken.
Zweifelsohne habe der Angeklagte eine sehr eigene Sicht auf die Welt, habe
etwa Tausende Stunden damit verbracht, im Internet zu Phänomenen wie den
sogenannten Chemtrails zu recherchieren, also Kondensstreifen von
Flugzeugen, mittels deren Verschwörungstheoretikern zufolge Menschen
vergiftet werden sollen. Gewalt lehne P. jedoch ab. Waffen besitze er nur
zur Selbstverteidigung.
Am Mittwoch sollen die ersten SEK-Beamten aussagen. Ob sich im Verlauf des
Prozesses auch der Angeklagte selbst äußern wird, ließen die Verteidiger
noch offen. Insgesamt sind zwölf Verhandlungstage angesetzt.
29 Aug 2017
## AUTOREN
Dominik Baur
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