# taz.de -- Reichsbürgerprozess in Nürnberg: Totenstille nach den Schüssen | |
> Bei der Entwaffnung eines Reichsbürgers stirbt ein SEK-Mann. Kollegen | |
> sprechen vor Gericht von einem perfekt geplanten Einsatz. | |
Bild: Der Angeklagte Wolfgang P. zu Prozessbeginn vor dem Landgericht Nürnberg… | |
NÜRNBERG taz | Die Zeugen sind zwischen 20 und 40 Jahre alt, tragen blaue | |
Jeans, Hemd, die Haare kurz oder haben keine mehr. Und sie tragen Nummern: | |
179, 145, 147 et cetera. Im Prozess gegen den Todesschützen von | |
Georgensgmünd war für Donnerstag ein Großaufgebot an beteiligten | |
SEK-Beamten geladen – anonym. | |
Die Mitglieder des Spezialeinsatzkommandos hatten im Oktober 2016 den | |
Auftrag, den Kollegen der örtlichen Polizeiinspektion den Weg freizumachen | |
für die Beschlagnahmung von rund 30 Waffen eines mutmaßlichen | |
Reichsbürgers. Wolfgang P. hatte sich zuvor einer Aufforderung des | |
Landratsamts widersetzt, die Waffen abzugeben. Bei dem Einsatz erschoss P. | |
einen Beamten, zwei weitere wurden verletzt. | |
Das Gericht will sich am vierten Verhandlungstag ein besseres Bild vom | |
Ablauf des Einsatzes machen, die Verteidigung vor allem ihren Eindruck | |
untermauert sehen, dass eben dieser Einsatz gründlich schiefgelaufen ist | |
und somit die Polizei eine Mitschuld am Tod des Beamten trägt. Ihrer | |
Schilderung nach wurde der mittlerweile 50-jährige Angeklagte im Schlaf | |
überrascht, er habe eine Art Überfall vermutet und in Notwehr geschossen. | |
Im Mittelpunkt stand am Donnerstag daher die Frage, ob der Einsatz klar als | |
Polizeiaktion erkennbar gewesen sei. Die Verteidiger bohren nach: Waren | |
Martinshorn und Blaulicht eingeschaltet? Gaben sich die Beamten durch | |
„Polizei“-Rufe zu erkennen? Die Zeugen sind sich einig: Ja. An die Schreie | |
einer Frau kann sich aber keiner erinnern. P. begründete seine angebliche | |
Panik an dem Morgen auch damit, dass er eine Frau habe schreien hören. | |
Es ist ein historischer Ort, an dem Wolfgang P. der Prozess gemacht wird: | |
Saal 600 im Ostflügel des Nürnberger Landgerichts. Hier fanden auch die | |
Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse statt. Die Stimmung im Saal ist | |
gespannt. Ein, zwei Mal zeigt man sich auf der Richterbank sichtlich | |
genervt von den Nachfragen der Verteidiger. | |
## Keine bessere Gelegenheit? | |
Die Anwälte wollen wissen, warum man P. nicht bei anderer Gelegenheit | |
festgenommen habe. Schließlich habe man sogar im Internet nachlesen können, | |
wann P. das Haus verlasse, um Selbstverteidigungskurse zu geben. Der Beamte | |
mit der Nummer 179, der den SEK-Einsatz leitete, beruft sich nur auf | |
Informationen, die ihm seine Kollegin von der Polizeiinspektion gegeben | |
habe. Demnach habe P. sein Haus so gut wie nie verlassen. Ob er denn | |
observiert worden sei, fragen die Anwälte? Nummer 179: Dazu kann ich nichts | |
sagen. | |
Am eindrücklichsten sind die Schilderungen des Beamten 145. Er beschreibt | |
einen „kurzen Moment der Totenstille“ nach dem Schusswechsel, und wie dann | |
Wolfgang P. in Unterhose und Schutzweste zur Tür gekommen sei. „Ich habe | |
nichts in den Händen, ich habe nichts in den Händen“, habe er gerufen. Als | |
145 auch vom getöteten Kollegen spricht, der seine Wunden noch selbst | |
abgebunden und nach einem Arzt gerufen habe, hält sich dessen Mutter die | |
Hände vor den Mund. Sie ist Nebenklägerin im Prozess, ihr Sohn erlag keine | |
24 Stunden nach dem Einsatz seinen Verletzungen. | |
Aber bis zum ersten Schuss, so 145, „lief der Einsatz mustergültig“. | |
14 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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