# taz.de -- Rechtsextremismus in der Bundeswehr: Hingeschaut und abgeheftet | |
> Es gibt immer wieder Soldaten, die sich wie Franco A. als Rechtsextreme | |
> outen. Das Problem: Mal fliegen sie raus, mal passiert nichts. | |
Bild: MP 40 an der Wand: Aufenthaltsraum der Kaserne, in der Franco A. stationi… | |
BERLIN taz | Am Abend des 10. Februar 2016 versucht sich ein Soldat der | |
Bundeswehr an einem Witz. Um 22.14 Uhr schnappt sich der freiwillige | |
Wehrdienstleistende sein Handy und schickt ein Bild in die WhatsApp-Gruppe | |
seiner Einheit. Oben ist ein schwarzer Junge zu sehen, darunter stehen zwei | |
Sätze: „Das ist Matubo, sein Schulweg beträgt täglich 3 Stunden. Spende | |
jetzt 5 € und wir kaufen eine Peitsche und garantieren, dass der faule | |
Nigger es in 8 Minuten schafft.“ | |
Der Spruch kostet den Soldaten etwas: Als seine Vorgesetzten von dem Bild | |
erfahren, muss er als Disziplinarstrafe 500 Euro zahlen. Zugang zu Waffen | |
erhält er aber weiterhin, im Dienst bleibt er noch ein Dreivierteljahr. | |
Angemessen? Oder fahrlässig? Noch so ein Einzelfall? Oder Alltag in der | |
Armee? | |
Ein „Haltungsproblem“ hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen der | |
Bundeswehr in dieser Woche vorgeworfen. Die Soldaten jaulten auf: | |
„Ungeheuerlich“ nannte der Bundeswehrverband den Vorwurf. Der Fall des | |
Oberleutnants Franco A., der sich mit seiner Masterarbeit schon vor drei | |
Jahren als rechtsextremer Verschwörungstheoretiker outete und dennoch | |
ungehindert weiterdiente, bis er vergangene Woche per Zufall unter | |
Terrorverdacht geriet, hat eine heftige Debatte ausgelöst. Sie dreht sich | |
um die Frage, ob die Armee hart genug gegen Neonazis durchgreift. | |
## 63 Extremismusfälle und keine klare Linie | |
Zwei Monate vor der Verhaftung des Oberleutnants stellte die Linksfraktion | |
im Bundestag eine Anfrage an das Verteidigungsministerium. „Wir haben in | |
den Vorjahren mehrfach darauf hingewiesen, dass die Bundeswehr mitunter zu | |
duldsam mit Rechtsextremisten umgehe“, schrieben die Abgeordneten in ihrer | |
Einleitung. Dann erkundigten sie sich nach Details zu den 63 | |
Extremismusfällen, die im Vorjahr in der Armee gemeldet wurden. | |
Die Antwort zeigt, dass die Bundeswehr keiner klaren Linie folgt. Oft | |
reagieren Vorgesetzte konsequent: Ein Soldat verschickt im Internet | |
Hakenkreuze und wird entlassen. Ein anderer brüllt während einer Feier | |
„Deutschland den Deutschen!“ und fliegt ebenfalls. Ein Rekrut zeigt in der | |
Kaserne den Hitlergruß, auch er muss gehen. | |
In anderen Fällen sind die Vorgesetzten gnädiger. Ein anderer Soldat, der | |
während eines Truppenausflugs den Hitlergruß zeigt, zahlt nur eine Strafe. | |
Einer bekennt sich zur „Reichsbürger“-Bewegung und bekommt ein | |
Disziplinarverfahren, das ein Jahr später noch immer ohne Ergebnis ist. Er | |
hat weiter Zugang zu Waffen. | |
Mal führt ein „Sieg Heil“ zum Rauswurf, mal nicht. Vielleicht hat das mit | |
der Disziplinarordnung der Truppe zu tun: Sie überlässt Entscheidungen in | |
vielen Fällen den Vorgesetzten auf unterer oder mittlerer Ebene. Niemand | |
redet rein, niemand kontrolliert. Findet der Chef ein Vergehen nicht | |
schlimm, bleibt es bei einer Geldstrafe oder gar bei einer mündlichen | |
Ermahnung. | |
So wie im Fall von Franco A. Der Soldat studiert bis 2014 an der | |
Militärschule Saint-Cyr, einer Kaderschmiede der französischen Armee. Die | |
Bundeswehr schickt in einem Austauschprogramm jedes Jahr ein paar ihrer | |
vielversprechendsten Offiziersanwärter an die Eliteschule. Der Soldat A. | |
ist einer von ihnen. | |
Dabei eignet sich der Mann für eine Offizierskarriere ganz und gar nicht. | |
Mehr noch: Nie im Leben dürfte er einen Schlüssel für Waffenschränke und | |
Munitionsdepots bekommen. Der Bundeswehr müsste das spätestens auffallen, | |
als Franco A. in seiner Masterarbeit sein Weltbild offenbart. Nur genetisch | |
homogene Gesellschaften sind demnach stark. Die Zuwanderung nach Europa ist | |
dagegen ein „Genozid der Völker“. Diesen plane eine Gruppe von | |
Verschwörern. Ein Anführer sei wohl George Soros, der jüdische Investor, | |
der mit seinem Vermögen weltweit Demokratiebewegungen unterstützt. | |
Außerdem dabei: Freimaurer, Rotarier und die Eigentümer der Internetseite | |
YouPorn. Mit Hilfe der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der | |
Popmusik und der Medien griffen sie „die Völker in ihrer Substanz an“. | |
Dagegen sei Widerstand nötig: „Ohne schnelle Gegenmaßnahmen ist die | |
Vernichtung des Volkes nur eine Frage der Zeit“, schlussfolgert Franco A. | |
## Vorermittlungen gegen Franco A. wurden eingestellt | |
Es ist nicht so, dass nun niemanden auffällt, dass Franco A. gefährlich | |
sein könnte. Die Hochschule meldet den Fall nach Deutschland, die Sache | |
landet beim Chef des Streitkräfteamts in Bonn. Als zuständiger Vorgesetzter | |
leitet er Vorermittlungen für ein Disziplinarverfahren ein. Ein Gutachter | |
bewertet die Arbeit als „radikalnationalistischen Appell“, ein | |
Wehrdisziplinaranwalt lädt Franco A. zum Gespräch. | |
Doch dann passiert der Fehler. Nach dem Gespräch empfiehlt der Jurist, die | |
Vorermittlungen einzustellen. Der Amtschef folgt dem Rat. Es gibt kein | |
Verfahren, keinen Rauswurf, nicht mal eine Geldbuße. Niemand prüft die | |
Entscheidung, niemand Weiteres erfährt davon, auch nicht im Ministerium. | |
Bis Franco A. am Wiener Flughafen festgenommen wird, weil er dort eine | |
Pistole deponiert hatte. Die Ermittler glauben, er plante einen Anschlag. | |
Bei einem mutmaßlichen Komplizen fanden sie Munition aus | |
Bundeswehrbeständen. | |
„Wir werden einen genauen Blick auf die Disziplinarordnung werfen müssen“, | |
sagte Ursula von der Leyen, als sie am Mittwoch den letzten Standort des | |
Soldaten im Elsass inspizierte. Wo gibt es Bruchstellen? Wo gibt es Lücken? | |
Wo werden Fälle nicht nach oben gemeldet? | |
„Sie hätte schon lange anordnen können, dass bei Rechtsextremen Vorfällen | |
das Sechsaugenprinzip gilt“, sagt der SPD-Abgeordnete Rainer Arnold. Er | |
schlägt eine Stelle im Ministerium vor, die in solchen Fällen automatisch | |
eingebunden wird. „Nicht bei jedem Pipifax, aber ab einer bestimmten | |
Dimension.“ | |
Das Problem, dass ein Neonazi in der Truppe für manche Vorgesetze kein | |
Problem ist, wäre damit noch nicht gelöst. Die Gefahr, dass ein Neonazi | |
deshalb in der Truppe bleibt, wäre aber zumindest gebannt. | |
5 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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