| # taz.de -- Lizenzen für CO2-Emissionen: Die Zähmung des Drachens | |
| > Der EU-Emissionshandel sollte das Klima retten. Dann machten ihn | |
| > Politiker und Lobbyisten zu einem unbeweglichen Bürokratiemonster. | |
| Bild: Das BASF-Gelände in Ludwigshafen | |
| Brüssel/Ludwigshafen taz | An einem heißen Tag Ende Juni schieben | |
| Polizisten in schweißnasser Uniform Barrieren mit Stacheldraht auf die | |
| Straßen von Brüssels Europaviertel. Im wolkenlosen Himmel knattert ein | |
| Hubschrauber, zwischen den Glaskästen der EU jaulen Polizeisirenen. Beim | |
| EU-Gipfel am 22. Juni fahren 28 Regierungschefs vor, winken in die Kameras, | |
| geben Statements ab. Es geht um die großen, ewigen Probleme der EU: Den | |
| Brexit. Die Flüchtlinge. Den Euro. | |
| Drei Tage später beginnt hier fast unbemerkt das Endspiel um ein Thema, bei | |
| dem Europa der Welt ein Vorbild sein wollte. Es geht um den | |
| Emissionshandel. Er ist das weltweit erste System zum Klimaschutz mit den | |
| Mitteln des Kapitalismus. Unternehmen in der EU dürfen nur eine bestimmte | |
| Menge CO2 ausstoßen, dafür brauchen sie Lizenzen. Stoßen sie mehr aus, | |
| müssen sie Lizenzen zukaufen; bleiben sie unter der Grenze, können sie | |
| Lizenzen an andere Unternehmen absetzen. Das Klimagas sollte so zu einer | |
| wichtigen Ziffer in den Unternehmensbilanzen werden, nur erreicht worden | |
| ist das bisher nicht. | |
| Die Unterhändler von Europäischem Rat, EU-Parlament und Kommission, die in | |
| diesem Sommer über das Schicksal der europäischen Klimapolitik entscheiden, | |
| scheuen die Öffentlichkeit. Sie ziehen sich in einen schlichten | |
| Konferenzraum im Glasbunker des Europäischen Rats an der Rue de la Loi | |
| zurück, um einen großen Tisch sitzen ein Dutzend Unterhändler, in einem | |
| zweiten Kreis Juristen und Experten. | |
| Von den vertraulichen Runden dieses sogenannten Trilogs gibt es weder | |
| Protokolle noch Presseerklärungen. Hinter verschlossenen Türen wird ein | |
| Deal gesucht, der alle Seiten glücklich machen soll: weniger Emissionen, | |
| mehr Ausnahmen für die Industrie, mehr Geld für Osteuropa. | |
| ## „Der Emissionshandel arbeitet wie im Lehrbuch“ | |
| Wer sich mit dem Thema befasst, ist nervös, mitten in einer Hitzewelle, die | |
| so gut zum Klimawandel passt. „Da muss ich jetzt aufpassen, was ich sage“, | |
| murmelt ein beteiligter Parlamentarier. Die EU-Kommission gibt offiziell | |
| keine Erklärungen ab. Industrielobbyisten zeichnen ihre Gespräche mit | |
| Journalisten auf, um ja nicht falsch zitiert zu werden. | |
| Es geht um Milliarden von Euro, die Zukunft von Industriebranchen und die | |
| Stellung Europas als Klimaschützer. Denn der Emissionshandel hat einen | |
| schlechten Ruf: Er reduziert kaum CO2-Emissionen, er belastet die Kleinen | |
| und schont die Großen, die Lizenzen für den CO2-Ausstoß sind viel zu | |
| billig. Das europäische „Kerninstrument im Klimaschutz“, so die allgemeine | |
| Ansicht, funktioniert nicht richtig. | |
| Franzjosef Schafhausen widerspricht. „Der Emissionshandel arbeitet wie im | |
| Lehrbuch“, sagt der große Mann mit dem weißen Haar und der runden | |
| Hornbrille. „Wenn das Angebot auf dem Markt hoch ist, fallen die Preise | |
| eben in den Keller.“ Der 69-jährige Volkswirt weiß, dass die EU Lizenzen | |
| vom Markt nehmen muss, um den Emissionshandel zu retten. Schafhausen kennt | |
| das System, er hat es selbst mit aufgebaut. | |
| Jahrzehntelang arbeitete er als Beamter im Bundesumweltministerium, zuletzt | |
| als Abteilungsleiter. Schafhausen ist zwischen Brüssel und Berlin | |
| gependelt, hat endlose Debatten ertragen und an Details gefeilt. „Es gibt | |
| zwei Leute, die in Europa den Emissionshandel begriffen haben“, scherzte | |
| der deutsche Umweltminister Sigmar Gabriel gern über seinen Mitarbeiter. | |
| Der eine ist verrückt geworden. Der andere ist Franzjosef Schafhausen.“ | |
| ## Das Ungeheuer Klimawandel | |
| Schafhausen, dessen rheinischer Akzent so gut zu seinem gemütlichen Wesen | |
| passt, ist seit Kurzem in Pension. Doch er kann sich immer noch in den | |
| Details von „sektorübergreifenden Korrekturfaktoren“ oder | |
| „Marktstabilitätsreserven“ verlieren. Gespannt blickt er nach Brüssel: Was | |
| machen sie da aus seinem Lebenswerk? | |
| Rückblick: 2002 beschließen die EU-Staaten voller Elan das „Europäische | |
| Emissionshandelssystem“ (ETS). Um das Ungeheuer Klimawandel zu bekämpfen, | |
| schaffen sie den Drachen Emissionshandel. Er soll hoch fliegen, Feuer | |
| spucken und der Industrie die Zähne zeigen, damit sie den Ausstoß des | |
| Treibhausgases Kohlendioxid immer weiter reduziert. | |
| Die Idee ist simpel. 11.000 Kraftwerke und Fabriken in Europa, die etwa die | |
| Hälfte aller europäischen CO2-Emissionen ausmachen, brauchen dafür ab 2003 | |
| eine Lizenz für jede Tonne CO2. Dafür legen die Länder eine EU-weite | |
| Obergrenze fest, die schrittweise sinkt. Wer weniger als die ihm | |
| zugewiesene Menge CO2 produziert, kann seine Lizenzen an andere verkaufen, | |
| die noch welche brauchen. | |
| Klimaschutz soll da passieren, wo er am günstigsten ist. Der deutsche | |
| Umweltminister heißt Jürgen Trittin, trägt einen Schnauzbart und nennt den | |
| Emissionshandel „einen hochvernünftigen Kompromiss.“ Der Umweltverband WWF | |
| bejubelt ihn als „Erfolgsrezept“. | |
| ## Zu freundlich, zu harmlos | |
| Dabei ist der Drache in Wahrheit bloß ein Halbdrache, wie Nepomuk aus | |
| Michael Endes „Jim Knopf“, ein Abkömmling eines Drachenvaters und einer | |
| Nilpferddame. Zu freundlich, zu harmlos für einen echten Drachen. Er soll | |
| die Industrie Respekt lehren, aber nicht verschrecken. Die Lizenzen für den | |
| CO2-Ausstoß werden von den EU-Staaten an die meisten Unternehmen | |
| verschenkt, damit diese mit Konkurrenten in den USA oder China mithalten | |
| können, die billiger produzieren. | |
| Zweiter Fehler: Die Staaten geben mehr Lizenzen aus, als gebraucht werden. | |
| Im April 2006 stürzt der Preis ab. Von 30 Euro pro Tonne CO2 fällt er bis | |
| Ende 2007 auf null. Der Drache hat sich an den Lizenzen überfressen. | |
| Es kommt noch schlimmer: Plötzlich dürfen sich europäische Unternehmen auch | |
| außerhalb der EU billige Lizenzen besorgen. Die Wirtschaftskrise trifft die | |
| Industrie hart, die Nachfrage nach Lizenzen sinkt, der Preis bleibt unten. | |
| Die EU-Staaten machen aus dem Drachen ein Bürokratiemonster. Es schießen | |
| Firmen aus dem Boden, die den Unternehmen helfen, Anträge auf kostenlose | |
| Lizenzen zu stellen, und Behörden, die Register aufbauen, um zu erfassen, | |
| welche Unternehmen überhaupt vom ETS betroffen sind. Gauner hinterziehen | |
| Steuern mit dem Emissionshandel, Hacker stehlen Millionen von Lizenzen, | |
| Kraftwerke in Osteuropa bekommen milliardenschwere Ausnahmen. Und immer | |
| weiter überfüttern die nationalen Regierungen den Drachen. Am Ende gibt es | |
| im System drei Milliarden Lizenzen zu viel. Dabei werden pro Jahr nur zwei | |
| Milliarden benötigt. | |
| ## Zum 22. Geburtstag ein bisschen Rauch spucken | |
| Die verschwiegene Runde im Brüsseler „Trilog“ ringt nun um eine vorsichtige | |
| Diät für den überfressenen Drachen. Weil Diäten immer erst morgen beginnen, | |
| soll auch diese hier von 2021 bis 2030 gelten: Die Obergrenze für die | |
| Emissionen sollen schneller sinken als bisher, überflüssige Zertifikate ab | |
| 2025 tatsächlich vom Markt verschwinden. | |
| Dafür soll es weiterhin kostenlose Lizenzen für die effizientesten Anlagen | |
| in der Industrie geben und mehr Geld für den Umbau der alten | |
| Kohlekraftwerke in Osteuropa. Der Drache speit kein Feuer. Aber zu seinem | |
| 22. Geburtstag darf er ein bisschen Rauch spucken. | |
| In Ludwigshafen am Rhein fürchten sie dennoch, der Emissionshandel könne | |
| ihnen gefährlich werden. Der Stammsitz des Chemiekonzerns BASF ist eine | |
| kleine Stadt mit 38.000 Angestellten, eigenem Krankenhaus, Güterbahnhof, | |
| Umspannwerk, Bäckern und Friseur. Auf sechs Kilometern am Rheinufer steht | |
| die Zentrale des weltgrößten Chemiekonzerns. | |
| Drei Kraftwerke, unzählige Schornsteine und Kühltürme ragen in den Himmel, | |
| grüne, graue, silberne Pipelines jeder Dicke und Länge schlängeln sich auf | |
| Kabelbrücken über das gesamte Gelände. Über 150 Jahre ist die Chemiestadt | |
| gewachsen, neben fünfstöckigen Backsteinhäusern stehen riesige silberne | |
| Tanks, auf der Baustelle der neuen Acetylanlage wachsen 40 Meter hohe | |
| Fahrstuhlschächte aus dem Boden. Die Wege hier heißen „Anilinfabrikstraße�… | |
| oder „Benzolstraße“. | |
| ## Es riecht nicht nach Chemie | |
| Besucht man das Werk, riecht es nicht nach Chemie. Nur eine einsame | |
| Wächterflamme auf der Ammoniakanlage fackelt ein paar Gase ab. Sicherheit | |
| ist wichtig, es gibt drei Feuerwehren, das Gelände ist umzäunt und bewacht, | |
| bei der Werkstour ist Aussteigen verboten. Zwischenfälle fürchten sie hier. | |
| Am 17.Oktober 2016 sägten Arbeiter ein falsches Rohr an, bei der Explosion | |
| starben vier Menschen, 29 wurden verletzt. Zehn Stunden brannte das Feuer, | |
| über dem Rhein stand eine riesige Rußwolke. Der Schock sitzt ihnen noch in | |
| den Knochen. | |
| Wolfgang Weber ist der Feuerwehrmann für BASF in Brüssel. Er soll die | |
| Brände austreten, die auch vom Emissionshandel drohen. Weber, 51, Chef des | |
| Lobbybüros bei der EU, kurzes dunkelblondes Haar, intensiver Blick aus | |
| blauen Augen, ist ein guter Interessenvertreter. Freundlicher Umgang, alle | |
| Fakten parat, verbindlich, bei Bedarf kann er aber auch gut attackieren. | |
| Manchmal ist das nötig. | |
| Denn BASF verschlingt für seine Produktion von Kunststoffen, Dämmmaterial, | |
| Farben, Autoteilen, Vitaminen oder Grundstoffen für Tiernahrung und Windeln | |
| eine Menge Energie. Der Standort Ludwigshafen allein verbraucht für seine | |
| 22 Milliarden Euro Umsatz im Jahr ein Prozent des deutschen Stroms und | |
| stößt so viel Kohlendioxid aus wie Äthiopien. In manchen Anlagen machen | |
| Strom und Gas 60 Prozent der Kosten aus. | |
| „Wir stehen zum Emissionshandel“, sagt Weber. Auch weitgehend zum | |
| Kompromiss, der jetzt auf dem „Trilog“-Tisch liegt und der alle Seiten | |
| glücklich machen soll. Kein Wunder, dass die Industrie zufrieden ist. Die | |
| Stahl-, Zement- und Chemiebranche, die viel Energie verbraucht, hat mit | |
| ihren Lobbys Parlament und EU-Rat kräftig bearbeitet. Der Albtraum der | |
| Industrie, laut Industrieverband „Business Europe“, sei ein | |
| Emissionshandel, „der zu Knappheit am Markt führt“. Das heißt: Zu | |
| steigenden Preisen. Das, was der Emissionshandel eigentlich erreichen | |
| sollte. Scharfe Zähne für den Drachen. | |
| ## Firmen oder Klimaschutz stehen vor dem Aus | |
| Etwa 5 Euro kostet derzeit eine Lizenz für eine Tonne CO2 in Europa. Rund | |
| 40 Euro müssten es laut Ökonomen sein, um Firmen zu bewegen, | |
| Kohlekraftwerke abzuschalten, und Kunden dazu zu bringen, Häuser zu dämmen | |
| und sparsame Autos zu kaufen. Solange die Gesamt-CO2-Obergrenze eingehalten | |
| wird, ist das akute Klimaziel nicht in Gefahr. Aber wenn die einzelne Tonne | |
| CO2 zu billig ist, verzögern die Firmen Investitionen ins Energiesparen | |
| und in neue grüne Technik. | |
| Die Gefahr: Wenn ab 2030 die Emissionen richtig sinken müssen, sind sie | |
| darauf nicht vorbereitet. Dann stehen entweder die Unternehmen oder der | |
| Klimaschutz vor dem Aus. Schon warnt das deutsche Umweltbundesamt vor einem | |
| „Nachlassen der Minderungsanstrengungen“. Das vernichtende Urteil: Der | |
| Emissionshandel könnte „als Bremse für ambitionierte Klimaschutzpolitik | |
| wirken“. Der Drache Emissionshandel versagt nicht nur darin, die Emissionen | |
| wirksam zu bekämpfen. Er hilft auch noch seinem ärgsten Feind, dem | |
| Ungeheuer Klimawandel. | |
| Der Druck auf die EU ist groß. Die Klimaziele müssen verschärft werden, | |
| wenn das Pariser Klimaabkommen erfüllt werden soll. Dagegen hat die | |
| Industrie gar nichts. Solange sie ihre kostenlosen Zertifikate bekommt. | |
| BASF ist einer der Gründe, warum Deutschland in Brüssel den Ruf hat, immer | |
| ein offenes Ohr für Wirtschaftsinteressen zu haben – trotz grüner Rhetorik. | |
| Das Chemieunternehmen betreibe „effektive Lobbyarbeit“, sagen Gegner | |
| anerkennend. „Sie haben hier viele Freunde, ich gehöre nicht dazu“, meint | |
| Peter Liese, CDU-Umweltpolitiker im Parlament. Sein grüner Kollege Claude | |
| Turmes erinnert daran, dass die BASF-Chefs traditionell ein enges | |
| Verhältnis zu Angela Merkel haben. | |
| ## Chemie-Jobs in Übersee | |
| BASF wurde von der deutschen Regierung und der EU-Kommission immer so gut | |
| mit CO2-Lizenzen versorgt, dass sie erst ab 2020 zukaufen müssen. Bisher | |
| haben sie keinen Cent bezahlt. Schließlich will auch die Politik, dass sie | |
| mit der billigen Konkurrenz mithalten können. Chemie-Jobs in Übersee nutzen | |
| weder Deutschland noch dem Klima. | |
| Er bekomme die Lizenzen gratis, weil seine Produktion so effizient ist, | |
| sagt der Konzern. Wolfgang Weber klappt dann schnell den Laptop auf und | |
| zeigt Grafiken: „Wir haben unseren CO2-Ausstoß als Gesamtkonzern seit 1990 | |
| um 50 Prozent gesenkt. Und je produzierter Einheit sogar um 75 Prozent.“ | |
| Damit, so Weber, sei aber eine Grenze erreicht. Mehr gehe nicht mit Technik | |
| und Rohstoffen von heute. | |
| Dieses Argument kennt Franzjosef Schafhausen nur zu gut. „Passen Sie auf, | |
| Sie sind jetzt mal die Umweltministerin“, sagt er und grinst. „Und ich bin | |
| der Vorstandschef von BASF.“ Dann legt er den Kopf ein wenig schief und | |
| sagt mit sanfter Stimme: „Frau Ministerin, wir machen uns große Sorgen! | |
| Wenn diese Regelung so kommt, müssen wir unsere Investitionsentscheidungen | |
| für Deutschland noch einmal überdenken. Es könnte sein, dass wir in Länder | |
| ausweichen müssen, wo Gas und Strom nur die Hälfte kosten!“ | |
| Er blickt seinen Gegenüber an. „Und Sie als Ministerin müssen dann | |
| hinterher fragen: Stimmt das? Und Ihre Mitarbeiter werden sagen: ‚Das kann | |
| man so sehen. Aber wir nehmen doch Rücksicht auf die energieintensive | |
| Industrie. Wir geben den Unternehmen doch kostenlose Zertifikate!‘“ | |
| ## Der Kampf um die Chemie der Zukunft beginnt | |
| Die Drohung der Industrie, man könne auch woanders produzieren, ist | |
| trotzdem der Grund für all die Ausnahmen und Schlupflöcher, die den | |
| Emissionshandel schwächen. Da ist es auch egal, wenn die OECD in einer | |
| Studie über die Industrieländer erstaunt feststellt, dass „strenge | |
| Umweltstandards nicht die Wettbewerbsfähigkeit beim Export schädigen“. | |
| Oder wenn die Organisation Carbon Market Watch warnt, der Vorschlag der | |
| EU-Kommission im Trilog würde bedeuten, dass die europäischen Steuerzahler | |
| über diese Ausnahmen zwischen 2020 und 2030 „mindestens 160 Milliarden Euro | |
| Subventionen an die größten Verschmutzer auszahlen“. | |
| Franzjosef Schafhausen war lange Zeit so etwas wie der Tierpfleger für den | |
| Drachen Emissionshandel. Er sah ihn über die Jahre schwächer und | |
| schwächer werden. Jetzt hofft er auf einen vernünftigen Kompromiss im | |
| „Trilog“, er will, dass überschüssige Lizenzen gelöscht werden. Er bleibt | |
| halber Optimist: Die Preise für die Lizenzen würden ab 2025 steigen – | |
| „allerdings nicht so sehr, wie es für echten Klimaschutz nötig wäre“. | |
| Der Drache kann dann ein bisschen fauchen und schnappen, mehr nicht. Aber | |
| die Zähmung des Ungeheuers kommt vielen recht. Denn er wird noch für andere | |
| Aufgaben gebraucht. | |
| Wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens umgesetzt werden sollen, muss die | |
| Chemieindustrie langfristig ihre Produktion umstellen. Gerade beginnt der | |
| Kampf um die Chemie der Zukunft. Eine Chemie, die nicht auf Erdöl beruht. | |
| Die „Dekarbonisierung“, der Abschied von Öl, Kohle und Gas, bedroht die | |
| Chemieindustrie noch stärker als die Kraftwerke. Denn Kohlestrom kann man | |
| relativ einfach durch Ökostrom ersetzen. Bei Naphtha ist das schwieriger. | |
| ## Autoreifen und Farben aus Pflanzen | |
| Naphtha ist Rohbenzin, der leichteste Stoff, der in der Raffinerie aus | |
| Rohöl entsteht. Farblos bis rotbraun, riecht es nach Tankstelle. Für BASF | |
| ist es die Knetmasse für die 8.000 Produkte, die den Konzern zum Global | |
| Player machen. Naphtha landet in Ludwigshafen per Tankschiff und Pipeline | |
| vom Ölhafen Rotterdam oder vom Mittelmeer. Es fließt in den „Steamcracker�… | |
| eine riesige Fabrik aus Rohren, Kesseln, Tanks und Boilern. | |
| Dort werden die Kohlenstoffmoleküle durch Hitze und Druck zerlegt und zu | |
| allen möglichen Wunderstoffen neu zusammengesetzt. Zum Beispiel entstehen | |
| zusammen mit Pyrolysebenzin Ethylen und Benzol. Über die Ethylbenzolanlage, | |
| Styrolfabrik und Polystyrolfabrik wird Polystyrol erzeugt: der Grundstoff | |
| für Wärmedämmung an Häusern, das gute Gewissen der BASF im Klimaschutz. Was | |
| an Energie bei der Produktion verbraucht wird, werde durch die Einsparungen | |
| bei gedämmten Häusern mehrfach eingespart, heißt es. | |
| „Dekarbonisierung“ hieße auch, Abschied zu nehmen von Naphtha. Könnte man | |
| Autoreifen und Farben auch aus Pflanzen herstellen? „Möglich wäre das | |
| natürlich“, sagt Weber. „Realistisch betrachtet werden wir noch Jahrzehnte | |
| fossile Rohstoffe einsetzen. Aber den Chemikern ist es prinzipiell egal, ob | |
| sie den nötigen Kohlenstoff aus Öl, Holz oder CO2 und Wasser destillieren“. | |
| Das aber bräuchte vielleicht fünfmal so viel Strom wie heute, wenn man | |
| Hitze und Dampf nicht mehr mit Gas erzeugen könne. Wolle man Klimaschutz, | |
| müsse das mit Ökostrom gemacht werden – schwierig und teuer. Wenn diese | |
| Umstellung nicht global betrieben werde, so Webers Einschätzung, müsse sie | |
| der Staat fördern. Wie? „Der Emissionshandel muss ja nicht eine Belastung | |
| für uns bedeuten, er kann uns ja auch entlasten, wenn darüber die | |
| Unterstützung verteilt wird.“ | |
| ## Viele Umweltschützer zweifeln | |
| Weber zielt auf die EU-Töpfe für Modernisierung. Die EU verteilt jährlich | |
| etwa 200 Millionen Euro, die aus der Versteigerung der CO2-Lizenzen | |
| stammen. Davon könne man die Forschung zu einer Chemieindustrie ohne Gas | |
| und Öl doch unterstützen. Subventionen für eine grüne Industrie, damit | |
| könnten sogar die Umweltschützer leben. | |
| Aber damit gäbe die EU einen Grundsatz der Umweltpolitik auf: Der | |
| Verschmutzer soll zahlen. Viele Umweltschützer zweifeln außerdem, ob es die | |
| Chemiebranche ernst meint mit dem Klimaschutz. Der europäische | |
| Chemieverband Cefic schreibt in einem internen Papier, man könne die | |
| Emissionen bis 2050 nur um 15 Prozent gegenüber 2010 verringern. | |
| Dekarbonisierung sieht anders aus. Der kleine, dicke Drache wird also nicht | |
| ernst genommen. | |
| Für Georg Zachmann, Ökonom des Thinktanks Bruegel in Brüssel, bezweifelt | |
| die Wirtschaft, dass im Emissionshandel jemals wirksame Preise erzielt | |
| werden. Aber was passiert, wenn nach 2030 die Emissionen drastisch sinken | |
| müssen – werden die Lizenzen dann verknappt und damit wertvoll? „Daran | |
| glaubt eben niemand“, seufzt Zachmann. „Dann wird die Politik wieder vor | |
| der Wirtschaft einknicken und irgendwelche Ausnahmen schaffen.“ | |
| Immerhin ist der Emissionshandel global sehr hilfreich. Als Vorbild und als | |
| abschreckendes Beispiel. China oder Kalifornien etwa experimentieren mit | |
| Systemen zum Emissionshandel. „Wir lernen aus euren Fehlern“, sagt die | |
| Chefin des Emissionshandels in Kalifornien. Wie viel es da noch zu lernen | |
| gibt, wird sich bald entscheiden. Für die endgültige Abstimmung über den | |
| „Trilog“-Kompromiss haben die Umweltminister der EU bereits einen Termin im | |
| Oktober gefunden: Freitag, der 13. | |
| 13 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
| ## TAGS | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Emissionshandel | |
| CO2-Kompensation | |
| CO2 | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Wassermangel | |
| North-Stream-Pipeline | |
| Subventionen | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Nobelpreis | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Klimapolitik und Wirtschaft: „Kapitalismus kann das Klima retten“ | |
| Niemand geht für grüne Ideen ins Risiko, sagt Jochen Wermuth. Der Millionär | |
| über den Atomausstieg, das Finanzsystem und die Bereitschaft zu | |
| Investitionen. | |
| Folgen der Hitze in Niedersachsen: Kein Tropfen mehr | |
| Im Landkreis Stade ist am Wochenende das Wasser knapp geworden. In manchen | |
| Haushalten kam nichts mehr aus dem Hahn. Jetzt ist Wassersparen Pflicht. | |
| Altmaier als Energie-Diplomat: Zwischenstopp in Kiew | |
| Der deutsche Wirtschaftsminister will im Streit um die Gaspipeline Nord | |
| Stream 2 vermitteln – und drängt auf Garantien für die Ukraine. | |
| Bericht zu Fossil-Subventionen: Steuergeld für Klimakiller | |
| Die EU lobt sich gern für ihre Klimaziele. Gleichzeitig spendieren die | |
| Staaten aber jedes Jahr über 110 Milliarden Euro für Kohle, Öl oder Gas. | |
| Kommentar UN-Charta zu Umweltschutz: Zeit für die Ökoachse Berlin-Paris | |
| Frankreichs Präsident Macron fordert ein Menschenrecht auf eine intakte | |
| Umwelt. Das hat in der Realpolitik keine Chance. Dennoch ist der Vorstoß | |
| richtig. | |
| Klimaabkommen von Paris: Hoffen auf die USA | |
| Der EU-Kommissar sieht positive Signale. Der deutsche Umwelt-Staatssekretär | |
| teilt den Optimismus seines Kollegen nicht. | |
| Debatte über Umweltpolitik: Schwarz sieht grün | |
| Zum Thema Umweltpolitik befragte der BUND die Bremer SpitzenkandidatInnen | |
| für den Bundestag. Trotz Einladung nahm die FDP nicht teil | |
| Worst-of der Wirtschafts-Nobelpreisträger: Den Nutzen maximieren | |
| Den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekommt man auch für | |
| bestürzenden Unsinn. Zum Beispiel für die Public-Choice-Theorie. | |
| CO2-Konzentration und Erdtemperatur: Das Jahr 2016 bricht Klimarekorde | |
| Die Kohlendioxid-Konzentration steigt so rasch wie nie seit Messbeginn. | |
| Auch die Erdtemperatur erreicht 2016 einen Rekordwert, berichtet die | |
| US-Klimabehörde. | |
| Klimaschutz in Großbritannien: Weltmeister im Abstiegskampf | |
| Kein Industrieland hat eine so gute Klimabilanz wie Großbritannien. Doch | |
| jetzt stockt die Energiewende. Der Brexit macht alles noch komplizierter. | |
| Studie zu globalem Klimaschutz: Entwicklungshilfe für Konzerne | |
| Der „saubere Entwicklungsmechanismus“ sollte Klimaschutz in armen Ländern | |
| fördern. Profitiert haben davon nur die Firmen. | |
| Klimapolitik in der EU: Kein Preissignal in Sicht | |
| Die EU-Umweltminister wollen den Emissionshandel erneuern. Er wird etwas | |
| verschärft – wirkungsvoll wird er damit trotzdem nicht. | |
| Giftige Abgase aus Schiffsmotoren: Besonders betroffen sind Küstenstädte | |
| Der weltweite Schiffsverkehr wächst. Eine Folge: Die Kähne pusten immer | |
| mehr Abgase in die Luft. Die Staaten tun sich mit einer internationalen | |
| Regulierung des Problems schwer. |