# taz.de -- Worst-of der Wirtschafts-Nobelpreisträger: Den Nutzen maximieren | |
> Den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekommt man auch für | |
> bestürzenden Unsinn. Zum Beispiel für die Public-Choice-Theorie. | |
Bild: Die Wall Street in New York | |
James M. Buchanan (1919 bis 2013) erfand die Public-Choice-Theorie. Die | |
Grundidee: Demokratie sei „Zwang“. Denn um wiedergewählt zu werden, würden | |
die Politiker ständig Wahlgeschenke verteilen, die die Reichen mit ihren | |
Steuern finanzieren müssten. Um diese „diskriminierende Ausbeutung“ der | |
Wohlhabenden zu beenden, formulierte Buchanan das „Prinzip der | |
Einstimmigkeit“. Bei ihm ist eine politische Maßnahme nur dann im | |
„öffentlichen Interesse“, wenn Konsens herrscht. Übersetzt: Er forderte | |
eine Vetomacht für Unternehmer, während Arbeitern oder Minderheiten | |
keinerlei Rechte eingeräumt wurden. | |
Buchanan betrieb keine empirische Forschung. Stattdessen stellte er | |
abstrakte Gedankenexperimente an, die so konstruiert waren, dass sie | |
bewiesen, was sie beweisen sollten. Dafür gab es 1986 den Nobelpreis. | |
Reaktionäre Unternehmer wussten, was sie an Buchanan hatten, und förderten | |
ihn früh. Ab 1956 bekam er großzügige Spenden vom Volker Fund, von General | |
Electric und verschiedenen Ölfirmen. Später wurde er von dem ultrarechten | |
Milliardär Charles Koch entdeckt, wie die US-Historikerin Nancy MacLean in | |
ihrem Buch „Democracy in Chains“ nachgewiesen hat. | |
Eugene Fama, 78, hat sich sein Leben lang mit Aktienmärkten befasst, die er | |
für „effizient“ hält. Drei Annahmen sollten belegen, dass die Finanzmärk… | |
immer recht haben und jederzeit quasi den wahren Wert von Aktien und | |
Anleihen abbilden. Erstens: Die Anleger sind rational. Zweitens: Sollten | |
die Anleger nicht rational sein, macht das auch nichts. Denn ihre | |
irrationalen Entscheidungen würden sich gegenseitig aufheben, sodass der | |
Markt als Ganzes wieder rational wäre. Drittens: Sollte der Markt | |
tatsächlich irrational sein, dann gäbe es garantiert Spekulanten, die | |
sofort erkennen, dass die Aktien und Anleihen von ihrem echten Wert | |
abweichen – und entsprechende Wetten mit Derivaten abschließen. Prompt | |
würde sich der Markt wieder im Gleichgewicht einpendeln. | |
In Famas schöner Plastikwelt folgen Spekulanten nie der Herde, und es ist | |
auch nicht denkbar, dass sich eine Spekulationsblase aufpumpt, weil ständig | |
neue Kredite ins System fließen. Eine Finanzkrise war in Famas Modell | |
komplett ausgeschlossen – leider hat sie sich trotzdem ereignet. Durch den | |
Crash ab 2007 wurde seine gesamte Theorie empirisch widerlegt. Einen | |
Nobelpreis bekam Fama für seine Fiktionen trotzdem: 2013. | |
Robert Lucas, 79, wollte beweisen, dass der Markt stets zum Gleichgewicht | |
tendiert. Daher entwickelte er eine „Theorie der rationalen Erwartungen“: | |
Jeder Mensch würde in jedem Moment seines Lebens nur darauf sinnen, seinen | |
Nutzen zu maximieren. Diese Theorie ist sogar noch extremer, als sie | |
klingt. Lucas musste voraussetzen, dass jeder die gesamte Zukunft kennt. | |
Wie Gott wären wir allwissend. | |
Doch damit nicht genug: Seine Theorie könnte nur funktionieren, wenn er die | |
Welt auf einen „repräsentativen Agenten“ reduzieren würde. Das Modell | |
ähnelte dem Roman „Robinson Crusoe“: Die gesamte Weltwirtschaft sollte aus | |
nur einem einzigen Konsumenten bestehen, der zugleich der einzige Produzent | |
ist. Denn mit zwei Menschen wäre die Theorie überfordert. Dieser Robinson | |
Crusoe ist zudem kein normaler Mensch, sondern lebt ewig. Außerdem stellt | |
Robinson lebenslänglich nur eine Ware her, weil zwei Güter das Modell | |
ebenfalls überfordern würden. | |
Jeder Laie würde diese sogenannte Theorie sofort als Unsinn abtun, doch | |
stattdessen erhielt Lucas 1995 den Nobelpreis. Begründung: Lucas hätte ab | |
1970 in der Makroökonomie „den größten Einfluss“ gehabt. Das ist leider | |
wahr. | |
Myron Scholes, 76, hat ebenfalls lebenslang an die Effizienz der | |
Finanzmärkte geglaubt. Zusammen mit Fischer Black entwickelte er eine | |
Formel, wie man die Preise von Aktienoptionen richtig berechnet. Mit diesen | |
Derivaten wird auf die Kursentwicklung an den Börsen spekuliert. Kernidee | |
des Black-Scholes-Modells: Mögliche Risiken müsse man bei den Optionen | |
nicht berücksichtigen, weil das Risiko bereits in den Aktienkursen | |
eingepreist sei. Das klingt so schlicht, dass es schon wieder elegant ist – | |
erwies sich aber trotzdem als falsch. Prinzipielle Unsicherheit lässt sich | |
nicht berechnen. | |
1997 erhielt Scholes einen Nobelpreis für seine Optionstheorie. Doch schon | |
1998 produzierte er einen Verlust von etwa 4 Milliarden Dollar: Sein | |
Hedgefonds „Long Term Capital Management“ brach spektakulär zusammen. | |
Kunstvoll hatte man mit italienischen, deutschen und amerikanischen | |
Staatsanleihen spekuliert – aber leider die russische Rubelkrise nicht | |
kommen sehen. Es war die größte Pleite, die die USA bis dahin erlebt | |
hatten. Die US-Zentralbank musste einschreiten, die Zinsen senken und | |
eine Rettungsaktion organisieren. Ohne staatliche Hilfe wäre der angeblich | |
so effiziente Finanzmarkt damals zusammengebrochen. | |
22 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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