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# taz.de -- Debatte zu Sanktionen und Gasversorgung: Der unfreiwillige Helfer
> So paradox es klingen mag: Europa kann von den jüngsten Sanktionen der
> USA gegen Russlands Energiewirtschaft nur profitieren.
Bild: Trump ist weder ein Freund Putins noch des Klimaschutzes – doch indem e…
Diejenigen unter den Westeuropäern, allen voran die Deutschen, die jetzt
die neuen, vom US-Kongress beschlossenen [1][Sanktionen gegen Russland
anprangern], liegen völlig falsch.
Sie betrachten es als Problem, dass die jüngsten Maßnahmen, die sich vor
allem gegen Russlands Energiewirtschaft richten, wohl auch das Aus für das
geplante [2][Gaspipelineprojekt Nord Stream 2] bedeuten würden. Und das, so
die dubiose Argumentation, würde die Energiesicherheit Europas gefährden,
da Europa ein Drittel seines Gasbedarfs aus russischen Importen bezieht.
Doch der Zorn der Europäer ist fehlgerichtet – und vielleicht ist er sogar
nur vorgetäuscht. Schließlich ist Nord Stream 2 für den mächtigen
russischen Gazprom-Konzern und für die europäische Gasindustrie nicht mehr
als reine Gelddruckmaschine – ganz abgesehen davon, dass das Projekt auch
ein echter Klimakiller ist, der, würde er zustande kommen, das Pariser
Klimaschutzabkommen unterliefe.
Tatsächlich ist Europa besser dran ohne die 9,5 Milliarden Euro teure
Leitung, gegen die sich die Mitteleuropäer von Anfang an gewehrt haben.
Nord Stream 2 folgt alten Strategien, Russland und Europas Gaswirtschaft
auf Jahrzehnte hinaus ans Erdgas zu binden – obwohl es das erklärte Ziel
der Europäischen Union ist, ihre Industrien zu dekarbonisieren. Es könnte
also sein, dass US-Präsident Donald Trump, wenn er das vom Kongress
beschlossene Sanktionspaket so absegnet und damit auch den Ausbau der
Pipeline verhindert, in den nächsten Tagen (unfreiwillig) den größten
Beitrag zum Klimaschutz in seiner Amtszeit leisten wird.
Was die Gasversorgung angeht, ist Nord Stream 2 ohnehin überflüssig. Die
bestehenden Leitungen zwischen der EU und Russland liefern schon jetzt
weitaus mehr, als die EU benötigt – 2015 wurden nur 70 Prozent der
gelieferten Gasmenge aus der Nord-Stream-Pipeline genutzt. Wenn Nord-Stream
1 wie geplant 2019 ihre Kapazitäten verdoppelt, wird russisches Gas erst
recht im Überfluss verfügbar sein.
Sogar wenn Russland die Gaslieferung an Europa drosseln würde, gäbe es ein
Jahrzehnt, nachdem Moskau aus politischen Gründen Osteuropa den Hahn
abdrehte, mittlerweile auch Alternativen: Flüssiges Erdgas und heimisches
Biogas sind in weit größerer Menge vorhanden als noch vor wenigen Jahren.
In erster Linie Algerien und Norwegen, aber auch die Niederlande, Dänemark,
Großbritannien oder die USA könnten einen Ausfall russischer
Energielieferungen wettmachen. Russisches Gas wird zurzeit deshalb
bevorzugt, weil es geringfügig billiger ist – und nicht, weil es keine
Alternativen gäbe.
Außerdem wird der europäische Erdgaskonsum in den nächsten Jahren weiter
sinken. Seit dem Höchststand von 595 Milliarden Kubikmetern im Jahr 2010
sank der Konsum bis zum Jahr 2014 um ein Fünftel auf 481 Milliarden
Kubikmeter – das war der niedrigste Wert seit den frühen 1990er Jahren.
Kurzfristig ging der Gaskonsum der EU in den Jahren 2015 und 2016 zwar
hoch, aber die aktuellen Lieferungen reichen dafür völlig aus; durch
Maßnahmen zur Energieeffizienz wird langfristig der Bedarf auch wieder
sinken.
Und tatsächlich wäre der Bau von Nord Stream 2 ein herber Rückschlag für
die europäischen Klimaziele: Erdgas ist zwar weniger schmutzig als Kohle
und Öl, aber es ist und bleibt ein fossiler Brennstoff. Aus der Ausbeutung
fossiler Energiequellen will sich Europa in den kommenden Jahrzehnten
stufenweise zurückziehen – erst Kohle, dann Atomstrom und Öl, und
schließlich Erdgas. Wird die Pipeline, wie es die Projektpläne vorsehen,
die nächsten 55 Jahre lang betrieben, dann wird es für die EU erheblich
schwerer werden, ihr Klimaziel zu erreichen und bis 2050 80 bis 95 Prozent
weniger Emissionen auszustoßen als in den 1990er Jahren. Welchen Platz wird
also eine neue große Ölpipeline in unseren Volkswirtschaften im Jahr 2040
oder 2050 haben? Hoffentlich gar keinen.
## Der größte Gewinner von North Stream 2 wäre der Kreml
Oder wie es Sabrina Schulz, Leiterin des Berliner Thinktanks E3G Third
Generation Environmentalism formuliert: „North Stream 2 ist eine komplett
sinnlose Wette auf einen europäischen Energiemix, der zu großen Teilen aus
Gas bestehen soll und den die Gasindustrie zur sich selbst erfüllenden
Prophezeiung machen will.“
Der größte Gewinner bei diesem Projekt wäre ganz offensichtlich: der Kreml.
Er würde sich für das nächste halbe Jahrhundert einen steten Geldfluss aus
der Europäischen Union in Richtung Moskau sichern. Die beteiligten
westlichen Firmen wie Uniper, Wintershall, Shell, OMV und Engie, würden
ihre Investitionen absichern, obwohl erneuerbare Energien schon bald
vorherrschen werden. In ihrem Interesse wäre es, so lange wie möglich
erfolgreiche Modelle zur Energiespeicherung zu behindern und einen Übergang
zu den Erneuerbaren hinauszuzögern.
Natürlich werden solche Versuche noch immer blockiert von Polen, der
Ukraine, der Slowakei und den baltischen Staaten, die sich von einer
unterseeisch durch die Ostsee gezogenen Direktleitung zwischen Russland und
Deutschland übervorteilt sehen. Ihre Befürchtung ist, dass ein Projekt wie
Nord Stream 2 ihnen durch das Übergehen ihrer Staatsgebiete erhöhte
Gaspreise einbringen wird und ihre Verhandlungsposition gegenüber Russland
schwächt.
„Gazprom würde eine Monopolstellung in südöstlichen Ländern mit einer
beträchtlichen Nachfrage nach Erdgas bekommen“, ist die wenig optimistische
Einschätzung des belgischen Thinktanks Bruegel.
Es ist schon bemerkenswert, wie schnell die Westeuropäer den Schock
vergessen haben, den ihnen Russlands politische Manipulation der
Gasversorgung und der Gaspreise vor nicht allzu langer Zeit versetzte: Im
Jahr 2006 und 2009 drehte Moskau Osteuropa das Gas ab – und droht seither
immer wieder ganz offen damit. Nord Stream 2 würde diesen Hebel noch
verstärken und gleichzeitig den Klimaschutz torpedieren – im Namen einer
Handvoll Energiekonzerne, und ganz besonders Putins Gazprom.
Aus dem Englischen von Nina Apin
30 Jul 2017
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## AUTOREN
Paul Hockenos
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