| # taz.de -- Streit um Salzstock in Ostfriesland: Ein Dorf versinkt | |
| > In Etzel liegen riesige Gasspeicher unter der Erde. Immer wieder kommt es | |
| > zu Unfällen – eine Bürgerinitiative kämpft gegen den Betreiber. | |
| Bild: Wo früher Felder und Wiesen waren, ragen heute Kavernenköpfe aus der Er… | |
| Etzel taz | Ein Bild flackert an der Wand. Eine Projektion: oben ein Dorf, | |
| rundherum Felder, im Hintergrund das Meer. Nach unten dringen weiße Striche | |
| durch Erdschichten, an jedem Ende hängt ein zackiges Gebilde. „Hier lagern | |
| wir Öl, Gas und vielleicht auch bald Wasserstoff“, sagt Hans Joachim | |
| Schweinsberg, Geologe bei der Firma Storag Etzel. Mit dem Laserpointer | |
| umkreist er sorgfältig eine Kaverne nach der anderen. Fachleute halten das | |
| Verfahren für sicher, auch wenn einige Unfälle in den letzten Jahren an | |
| dieser Einschätzung rütteln. | |
| Eine Frau mit graubraunem Haar sitzt in der ersten Reihe. Sie schüttelt | |
| immer wieder den Kopf, ab und zu unterbricht sie Schweinsberg. Der lacht | |
| dann bemüht und sagt: „Und jetzt sind sie dran, Frau Stehle.“ Doris Stehle | |
| und Hans Joachim Schweinsberg kennen sich seit Jahren. Und seit sie sich | |
| kennen, streiten sie. Stehle ist Mitglied einer Bürgerinitiative mit dem | |
| sperrigen Namen „Lebensqualität in Horsten-Etzel-Marx“. Sie sagt: Die | |
| Kavernen zerstören unsere Heimat. Der Betreiber sagt: Das ist Unsinn. | |
| Schweinsberg, Schnauzbart, lichtes Haar, hat an diesem Nachmittag im Mai | |
| rund ein Dutzend Zuhörer im Infocontainer des Kavernenbetreibers Storag | |
| Etzel. An den Wänden hängen Karten, in einer Vitrine stehen Salzsäulen in | |
| Weiß, Braun und Rosa. Eigentlich soll es heute um den Gewässerschutz in der | |
| Region gehen. Die Bürgerinitiative nutzt die Gelegenheit, der Firma zu | |
| sagen, was sie von ihr hält. | |
| Das ostfriesische Etzel ist ein europäischer Knotenpunkt. Hier treffen sich | |
| Tausende Kilometer lange Pipelines aus den Niederlanden, Großbritannien, | |
| Norwegen und Russland. Sie führen von dort über den gesamten Kontinent. | |
| Denn unter der Erde liegt ein riesiger Salzstock, 17 Kilometer lang und bis | |
| zu 5 Kilometer breit. Die Storag Etzel spült lange Hohlräume in den | |
| Salzstock, manche doppelt so hoch wie der Kölner Dom. | |
| ## „Früher waren hier Wiesen“ | |
| Seit rund 40 Jahren liegt in dem Kavernenfeld ein Viertel der deutschen | |
| Rohölreserven. 75 Salzhöhlen fasst es momentan, in rund 20 davon ist Erdöl, | |
| im Rest Erdgas. In Zukunft könnte sich die Zahl der Erdöl-Kavernen fast | |
| verdoppeln. Drei Wochen reichen die Etzeler Ölvorräte im Notfall. Im | |
| weitaus größeren Teil der Kavernen aber liegt Erdgas. Die Storag Etzel | |
| vermietet sie. Die Kunden: alle großen Energieunternehmen, allen voran | |
| Uniper (ehemals Eon). Im Sommer kaufen die Konzerne das Gas billig ein, im | |
| Winter verkaufen sie es teurer. Wenn die Trader einen Auftrag erteilen, | |
| strömt eine halbe Stunde später Gas durch die tellerdicken Leitungen. | |
| Etzel ist aber auch eine 800-Seelen-Gemeinde in der ostfriesischen Einöde. | |
| Die Straßen sind meist leer. Viermal am Tag fährt der Bus ins 20 Kilometer | |
| entfernte Wilhelmshaven, vorbei am kleinen Badesee und den Bauernhöfen. | |
| Vorbei auch an den Dutzenden umzäunten Betonflächen, aus denen die Köpfe | |
| der Kavernen ragen. Etzel sucht bis heute einen Umgang mit dem vielen Öl | |
| und Gas. | |
| Nach dem Vortrag fahren Stehle und die anderen Besucher mit Schweinsberg im | |
| Minibus über das Betriebsgelände. Wie Würmer winden sich Tausende Rohre | |
| umeinander, dazwischen ragen Schornsteine in den Himmel. „Früher waren hier | |
| überall Felder und Wiesen“, seufzt Stehle. Schweinsberg erklärt, dass die | |
| Kavernen durch den Bodendruck immer kleiner werden. Der Boden rutscht von | |
| oben nach, und Etzel sinkt ab. „Wir gehen von 2,57 Meter in den nächsten | |
| hundert Jahren aus“, sagt Schweinsberg. „Fünf Meter“, entgegnet Stehle, … | |
| haben wir ein Gegengutachten gemacht.“ Der Grundwasserspiegel liegt in | |
| Etzel nur einen Meter unter der Erde. | |
| Der Bus parkt vor einer der umzäunten Betonflächen. Von hier führen Rohre | |
| rund einen Kilometer in die Tiefe. Tritt Gas aus dem Kavernenkopf aus und | |
| entzündet sich, entsteht eine Stichflamme von bis zu 30 Meter Höhe, die | |
| tagelang brennt. „90 Meter Sicherheitsabstand halten wir für angemessen“, | |
| sagt Schweinsberg. „Es müssten bis zu 3.000 Meter sein“, sagt Stehle. „Da | |
| haben wir ein Gegengutachten machen lassen.“ Keine hundert Meter weiter | |
| mäht jemand den Rasen vor seinem Backsteinhaus. | |
| ## Bewohner schleppen Särge durchs Dorf | |
| Die Bürgerinitiative und die Storag Etzel kämpfen oft auch um die | |
| Deutungshoheit. Die Beiträge der rund 70 Mitglieder steckt die Initiative | |
| in Gutachten, um der Realität der Storag Etzel mit ihren vielen Geologen | |
| und Ingenieuren eine eigene Version entgegenzusetzen. Oft steht Aussage | |
| gegen Aussage. Alternative Fakten, in Etzel gibt es sie wirklich. | |
| Vor einigen Monaten tauchte ein Dokument auf, in dem der Bundesverband der | |
| Erdöl- und Erdgasproduzenten einen 180-Meter-Sicherheitsabstand von den | |
| Kavernenköpfen empfiehlt. Seitdem prüft die Aufsichtsbehörde in Hannover. | |
| Dass das Dokument des Bundesverbands öffentlich wurde, war kein Zufall. | |
| Viele in der Bürgerinitiative sind Rentner. Sie verbringen die Vormittage | |
| am Computer und wühlen sich durch die Webseiten der Energieversorger. | |
| Plötzlich stand da dieses Dokument, frei zugänglich auf der Seite des | |
| Bundesverbands. Einige Minuten später war es verschwunden, doch die | |
| Initiative hatte bereits eine Kopie gemacht. | |
| Im Etzeler Ortskern sitzt ein Mann mit Glatze und randloser Brille auf | |
| seiner Terrasse und blickt die leere Hauptstraße hinunter. Der Geruch von | |
| Mist liegt in der Luft. Ab und zu muht es aus dem Stall gegenüber. „Im | |
| Grunde bin ich ja ganz froh, dass es die Bürgerinitiative gibt“, sagt | |
| Andreas Haak, Ortsvorsteher von Etzel, und zieht an seiner Zigarette. | |
| „Jemand muss dem Unternehmen auf die Finger schauen.“ Haak, Mitte 40, kennt | |
| alle im Ort – und er kennt ihre Geschichten. Deshalb sagt er auch: „In | |
| Etzel arbeiten mehr Leute für die Storag, als in der Bürgerinitiative aktiv | |
| sind.“ Und wer stelle sich schon gerne gegen seinen Arbeitgeber? | |
| Die Initiative übertreibt es in Haaks Augen auch manchmal. So wie im Sommer | |
| 2014, als eines der Rohre abriss und in die Kaverne krachte. Passiert ist | |
| nichts, das Ventil am Kavernenkopf hielt dicht. Einige Tage später aber | |
| standen an der Bundesstraße große Banner: „Achtung, Explosionsgefahr!“ Auf | |
| einer Demonstration schleppten Mitglieder der Bürgerinitiative als Symbol | |
| drei Särge durch den Ort. „Da habe ich interveniert“, sagt Haak. „Hier w… | |
| doch niemand mehr Häuser kaufen, wenn solche Schilder an der Bundesstraße | |
| stehen.“ | |
| ## Jeder gegen jeden? | |
| Auch viele Bauern im Ort sehen die Bürgerinitiative skeptisch. Sie haben | |
| ihr Land an den Kavernenbetreiber verkauft. Eigentlich hört das | |
| Privateigentum ein paar Meter unter der Erde auf, die Bodenschätze gehören | |
| dem Staat. Nicht so in Etzel; dank einer rechtlichen Besonderheit gehören | |
| sie hier dem Grundbesitzer. Mit dem Verkauf haben einige Bauern in Etzel | |
| viel Geld verdient. | |
| „Salzbarone nennen wir die Bauern“, sagt Wolfgang Rudolph und deutet auf | |
| die funkelnde Bioeierfarm vor ihm. „Da steckt überall Salzgeld drin.“ Der | |
| Rentner hat sein Auto ein paar Hundert Meter außerhalb von Etzel auf einem | |
| Feldweg geparkt, der Wind drückt ihm die weißen Haare auf den Kopf. Hier | |
| geht es für ihn nicht weiter, der Weg gehört der Storag Etzel. Rudolph hat | |
| als Mitglied der Bürgerinitiative explizit Zutrittsverbot. | |
| Rudolph ist in Etzel groß geworden, und er ist sich sicher: Sein Haus ist | |
| bereits 13 Zentimeter abgesackt. Er fühlt sich von der Storag Etzel | |
| betrogen. „Sie informieren uns nicht, sie erzählen uns immer nur einen Teil | |
| der Wahrheit“, sagt er. Deshalb kämpft er, auch wenn einige im Dorf ihn für | |
| verrückt halten. „Es gibt Leute, die mich nicht mehr grüßen“, sagt Rudol… | |
| Dann dreht er sich um, sein Haar legt sich von rechts nach links. „Und hier | |
| ist das mit dem Öl passiert.“ Er zeigt auf einen Kavernenkopf rund hundert | |
| Meter weiter. 2013 sind dort 40.000 Liter Öl ausgetreten. Nur mit Mühe | |
| konnten Feuerwehr und die Storag Etzel verhindern, dass es in die Nordsee | |
| floss. Die Ursache ist ungeklärt, die Staatsanwaltschaft hat die | |
| Ermittlungen eingestellt. Rudolph und die Bürgerinitiative vermuten, dass | |
| ein Mitarbeiter ein Ventil nicht geschlossen hatte. Während Rudolph | |
| erzählt, fährt hinter ihm ein Jeep vorbei. Zwei Köpfe drehen sich nach ihm | |
| um. „Haben sie uns schon entdeckt“, sagt Rudolph. Er steigt in seinen Wagen | |
| und fährt davon. | |
| ## Gelebte Demokratie | |
| Am Abend trifft sich der Vorstand der Bürgerinitiative bei Rotwein und | |
| Wasser an Doris Stehles Esstisch. Auswertung der letzten Tage: Nichts Neues | |
| von der Storag Etzel. Fragt man Stehle nach ihrer Motivation, dann sagt | |
| sie: „Mich stört der unehrliche Umgang mit den Bewohnern, denen man die | |
| Landschaft genommen hat. | |
| Das ist eine Art von Ausbeutung, die ich nicht akzeptieren kann.“ Wolfgang | |
| Rudolph hat sich tief in seinen Stuhl gegraben, die Arme verschränkt er vor | |
| der Brust. | |
| Alle in der Bürgerinitiative sind sich einig: Der Streit über die Kavernen | |
| hat das Dorf gespalten. Die Bauern, die Storag Etzel, die Bürgerinitiative. | |
| Da fährt Rudolph aus seinem Stuhl, die Arme stützt er auf dem Tisch ab. | |
| „Aber gerade das ist doch Demokratie.“ | |
| 12 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jonas Seufert | |
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