Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Land betreibt Flüchtlingsunterkünfte: Zu Hause bei Schaben
> Das Land betreibt jetzt selbst Flüchtlingsunterkünfte. Die erste Bilanz:
> erschreckend. Seit der neue Betreiber da ist, gebe es noch viel mehr
> Probleme, sagen Bewohner.
Bild: So eine Tür, hinter der man alle Probleme hinter sich lassen könnte, w�…
Die Kakerlaken sind überall: zwischen Schrank und Wand, unterm Bett, vor
dem Herd, auf dem Wäscheständer. Farid und Hamza, zwei in Iran geborene
Afghanen, zeigen ihre Zimmer und die dazwischenliegende Küchenzeile in der
Gemeinschaftsunterkunft Maxi-Wander-Straße 78 in Hellersdorf-Ost.
Die jungen Männer haben Angst: dass die Tiere ihnen und ihren Kindern beim
Schlafen in Nase und Ohren krabbeln, dass sie Krankheiten und Hautekzeme
verursachen. Angst haben sie auch vor der Heimleitung, darum wollen sie
ihren richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. Zumal sie – wie 63
weitere Bewohner – einen Beschwerdebrief unterzeichnet haben, der
Kakerlaken als nur eines von vielen Problemen beschreibt.
Acht Männer sitzen nun in Farids Zimmer auf dem Teppich und erzählen. Von
Sozialarbeitern, die unfreundlich seien und ihnen nicht helfen würden,
Arzttermine zu vereinbaren, Kitaplätze zu finden oder Amtspost zu
verstehen. „Ich bekomme kein Geld mehr vom Jobcenter, weil mir keiner den
Brief übersetzen wollte“, klagt einer.
Ein anderer beschwert sich, dass die Kinderbetreuung in der Unterkunft
geschlossen wurde, ebenso der Raum für Feste. Alle regt auf, dass es viel
zu wenige Waschmaschinen gebe und das Haus kaum noch geputzt werde. Und
immer wieder fällt ein Satz, der im Landesamt für
Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) und der zuständigen Sozialsenatorin Elke
Breitenbach (Linke) für graue Haare sorgen müsste: „Die alte Firma war viel
besser.“
## Ein besonderer Fall
Beschwerden von Flüchtlingen über ihre Unterkünfte gibt es immer wieder,
gerade Ungeziefer ist derzeit ein Problem in zahlreichen Heimen. Was diesen
Fall besonders macht: Betreiber des Heims ist der Landesbetrieb für
Gebäudewirtschaft (LFG), mit dem das Land Berlin wieder selbst zum Manager
von Unterkünften geworden ist.
Übergangsweise hat sich Berlin dafür aus Hamburg Personal ausgeliehen vom
dortigen Landesbetrieb fördern & wohnen. Das Ziel: das Land unabhängiger
machen von privaten Betreibern wie der Pewobe, die bis vorigen Sommer die
Maxi-Wander-Straße betrieb.
Damals kündigte das LAF alle Verträge mit der Firma – wegen falscher
Abrechnungen und rassistischer Äußerungen von Mitarbeitern – und setzte
übergangsweise in der Maxi-Wander-Straße einen anderen Betreiber ein. Im
April übernahm dann der LFG, der inzwischen drei Heime in Berlin betreibt.
Mit dem Landesbetrieb wolle man auch „Standards setzen, wie für uns
modellhaft ein Heim aussehen soll“, wie die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram
anlässlich der Übernahme der taz sagte.
Das klappt offensichtlich noch nicht. Auch das LAF räumt in einer
ausführlichen schriftlichen Stellungnahme zu den Beschwerden Probleme und
„Unstimmigkeiten“ ein, die man bemüht sei abzustellen. So sei wegen der
Schädlinge – für das Amt eines der „gravierendsten Probleme in der
Unterkunft“ – jede Woche eine Spezialfirma zur Schädlingsbekämpfung vor
Ort, das bezirkliche Gesundheitsamt sei informiert und die von ihm
angeordneten Maßnahmen würden vom Betreiber umgesetzt. Neue Waschmaschinen
seien bestellt, sodass man von 10 auf 14 aufstocken könne (für 504
BewohnerInnen).
Interessant ist die Erklärung des LAF, warum der Raum für Feierlichkeiten
geschlossen wurde. So sei es in Hamburg, woher die Heimmitarbeiter kommen,
„gängige Praxis, Gemeinschaftsräume nicht für weltanschauliche
Veranstaltungen zu überlassen“. Dies werde aber in Berlin „grundsätzlich
anders gehandhabt“, schreibt der Sprecher des LAF, Sascha Langenbach. Der
Betreiber werde daher Sorge tragen, dass der Raum künftig wieder für Feiern
zur Verfügung stehe.
## Amt sieht gute Arbeit
Die Beschwerden über die Arbeit der elf Sozialarbeiter weist das Amt
hingegen zurück. Die MitarbeiterInnen, die in Hamburg bereits Erfahrungen
in der Flüchtlingsbetreuung gesammelt hätten, „werden in Berlin sicherlich
auch gute Arbeit leisten“. Und es gehöre „zum integrierten
Empowerment-Konzept des Betreibers“, die Kompetenzen und Selbstständigkeit
der BewohnerInnen zu fördern. So müssten sich jene, die schon länger hier
lebten und entsprechende Sprachkenntnisse hätten, ruhig zutrauen, selbst
einen Arzttermin zu vereinbaren. Bei der Korrespondenz mit Behörden würden
die Mitarbeiter aber helfen.
Insgesamt sei dennoch das Ziel, „dass BewohnerInnen in
Gemeinschaftsunterkünften die integrativen und sozialen Angebote vor Ort
nutzen, um sich besser im Sozialraum zu integrieren“.
Klingt vernünftig, nur: Der Sozialraum rings um die Maxi-Wander-Straße ist
alles andere als einladend. Die Plattenbauten aus den Achtzigern wirken
teils sehr heruntergekommen, einige Ladenlokale stehen leer und sind
verrammelt. Das örtliche „Quartiersmanagement Boulevard Kastanienallee“
schreibt auf seiner Webseite von einer „sehr hohen sozialen Problemdichte“
mit vielen Langzeitarbeitslosen, Kinder- und Altersarmut.
Laut einer Anwohnerin, die im Heim eine Familie betreut, lungern
Rechtsradikale vor der Kneipe und dem Tattoostudio auf dem Boulevard herum
und verstehen sich prächtig mit den Männern vom Sicherheitsdienst, der im
Viertel patrouilliere. Heimbewohner, die sich gelegentlich auf eine Bank in
der Fußgängerzone setzen, würden dagegen von den Sicherheitsleuten
vertrieben.
Auch die Geflüchteten berichten von Beschimpfungen, die sie sich bisweilen
beim Einkaufen oder an der U-Bahn-Haltestelle Cottbusser Platz anhören
müssten. Vom Fenster seines Zimmers zeigt Farid auf zwei Wohnungen in der
Platte gegenüber: „Die rufen andauernd die Polizei, obwohl wir gar nichts
machen. Die stört schon, wenn wir nachts mal das Licht anmachen.“
Selbst dem Heimbetreiber scheint der „Sozialraum“ nicht geheuer: Der Leiter
der Unterkunft ruft eigens in der taz an, um darum zu bitten, keine Namen
von MitarbeiterInnen zu veröffentlichen: „Sie verstehen schon, bei dem
Umfeld!“ Und hier sollen sich die Geflüchteten integrieren?
Der Bezirk scheint dies nicht vordringlich zu finden. Freie Kita-Plätze
etwa, schreibt das LAF in seiner Antwort, gebe es derzeit nicht in der
Umgebung – und der Betreiber habe „leider“ erst zum 3. Juli das notwendige
Personal für ein Halbtagsangebot gewinnen können. Ab August solle es eine
Ganztagsbetreuung im Heim geben.
## Vorsichtige Hoffnung
Der Afghane Hamza nimmt diese Ankündigung mit vorsichtiger Hoffnung auf.
Vor zwei Wochen gab es eine Versammlung der Bewohner, eigentlich mit der
Hellersdorfer Außenstelle des neuen „Integrationsmanagements des Senats“,
abgekürzt BENN (Berlin entwickelt neue Nachbarschaften), das wissen wollte,
ob sich die Leute im Viertel wohlfühlen.
Aber am Ende ging es wohl vor allem um die Probleme im Heim. In den Worten
des LAF-Sprechers: „Beim jüngst stattgefundenen Bewohnertreffen wurde ein
offener und intensiver Austausch über die derzeitigen Wünsche und
Beschwerden der Bewohner geführt und die Möglichkeiten des Betreibers zur
Lösung der Themen dargestellt.“
Hamza sagt: „Der Chef hat versprochen, alles zu machen.“ Skeptisch ist er
dennoch: „Das hat er alles schon vorher gewusst.“ Aber mal sehen, sagt er:
In einem Monat will man sich wieder treffen.
25 Jul 2017
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Flüchtlinge
Unterkunft
Berliner Senat
Asyl
Deutsche Wohnen & Co enteignen
Security
Beratung
Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)
Lesestück Recherche und Reportage
Flüchtlinge
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
IGA 2017
## ARTIKEL ZUM THEMA
Flüchtlingsprojekt vor dem Aus: Zu sozial für die Deutsche Wohnen
In Berlin-Hellersdorf muss ein Vorzeige-Flüchtlingsprojekt schließen. Die
Deutsche Wohnen sieht vor Ort bereits zu viele soziale Träger.
Wahllos und ruppig: Sicherheitsdienst sorgt für Ärger
Die Universität Osnabrück hat einen Wachdienst engagiert, der Dealer
vertreiben soll. Die sind jetzt weg, aber nun geht die Security laut Asta
auch gegen Uni-Leute vor.
Familienberatung für Flüchtlinge: „Ein Ort für Wut und Angst“
Der Wechsel ins neue Wertesystem verunsichere viele Flüchtlinge, sagt
Hannes Rogler. Er berät geflüchtete Familien – und will eine Vätergruppe
starten.
„Flüchtlingssommer“ vor zwei Jahren: Die Macht der Bilder
Schreckliche Bilder von wartenden Menschenmassen vor dem Lageso gibt es
nicht mehr. Die Hilfe aber geht weiter. Sie ist nur nicht mehr so
öffentlich sichtbar wie früher.
Flüchtlinge in Sachsen: Das Rätsel um Schabas Al-Aziz' Tod
Vier Männer fesseln in Sachsen einen Flüchtling an einen Baum. Kurz vor
ihrem Prozess wird der Iraker tot im Wald gefunden. Zufall?
Protest von Geflüchteten in Berlin: Küchen statt Fertigfraß
11.000 Flüchtlinge leben noch in Notunterkünften, wo sie nicht selber
kochen können, sondern Fertigmahlzeiten bekommen. Dagegen regt sich
Protest.
Tod durch Polizeischüsse: Bündnis kritisiert Staatsanwaltschaft
Mehrere Organisationen bezweifeln, dass Polizisten im September einen
Flüchtling aus Notwehr erschossen haben. Die Einstellung des Verfahrens sei
ein „Skandal“.
Bürgermeisterin von Marzahn-Hellersdorf: „Der aktivste AfDler hier ist ein W…
Von außen betrachtet sieht vieles anders aus: Das zeigt sich im Gespräch
mit Dagmar Pohle. Die Bürgermeisterin über Flüchtlinge, die AfD und wie sie
nach Marzahn kam.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.