# taz.de -- Tod durch Polizeischüsse: Bündnis kritisiert Staatsanwaltschaft | |
> Mehrere Organisationen bezweifeln, dass Polizisten im September einen | |
> Flüchtling aus Notwehr erschossen haben. Die Einstellung des Verfahrens | |
> sei ein „Skandal“. | |
Bild: Kriminaltechnische Mitarbeiter der Berliner Polizei untersuchen am 28.09.… | |
Ein „Solidaritätsbündnis“ von Flüchtlingsrat, der Beratungsstelle Reacho… | |
sowie der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt erhebt schwere | |
Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft. Dass diese die Ermittlungen gegen | |
mehrere Polizeibeamte wegen des Todes des Flüchtlings Hussam Fadl Hussein | |
eingestellt habe, sei ein „Skandal“, sagte Biplab Basu von Reachout am | |
Mittwoch der taz. | |
Damit seien die Ermittler allein der Version der Polizei gefolgt, die mit | |
Notwehr argumentiert hatte. „Dabei gibt es mehrere Aussagen von Zeugen, die | |
daran Zweifel aufkommen lassen. Aber die werden unter den Teppich gekehrt.“ | |
Flüchtlinge aus der Notunterkunft in der Moabiter Kruppstraße hatten am | |
Abend des 27. September 2016 die Polizei alarmiert. Sie hatten offenbar | |
gesehen, wie ein 27-Jähriger Mitbewohner ein Mädchen aus der Unterkunft in | |
ein nahes Waldgrundstück gelockt und sexuell missbraucht hatte. | |
Der Verdächtige saß bereits in Handschellen im Polizeiwagen, als der Vater | |
des Mädchens auf ihn zu rannte. Mehrere Polizisten schossen auf ihn, der | |
29-Jährige starb kurz darauf im Krankenhaus. Der Mann habe ein Messer in | |
der Hand getragen, hieß es damals von der Polizei, die Beamten hätten | |
schießen müssen, um den Angriff zu stoppen. | |
## Lückenlose Aufklärung gefordert | |
Laut einer Pressemitteilung des Bündnisses von Dienstag teilt die | |
Staatsanwaltschaft diese Auffassung. Das Verfahren gegen die Beamten sei | |
Ende Mai mit dem Verweis auf Notwehr eingestellt worden. „Dies kommt einem | |
Freispruch der Polizisten gleich, die gezielt und von hinten auf Hussam | |
Fadl Hussein geschossen haben“, heißt es in der Mitteilung. Das Bündnis | |
solidarisiert sich mit der Familie des Erschossenen und fordert eine | |
lückenlose Aufklärung der Erschießung in einem Gerichtsverfahren sowie die | |
Suspendierung der Polizisten. | |
Basu sagt, er selbst habe mit acht oder neun BewohnerInnen des | |
Flüchtlingsheims gesprochen, die den Vorfall als Zeugen miterlebt hatten. | |
„Sie haben alle gesagt, sie hätten kein Messer gesehen.“ Zudem hätten ihm | |
die Anwälte der Witwe, die im Verfahren Nebenklägerin ist, gesagt, laut | |
Ermittlungsakte gebe es viele unabhängige Zeugen – also Nicht-Tatbeteiligte | |
– mit sich widersprechenden Aussagen. Die einen hätten ein Messer gesehen, | |
was die Notwehr-These stützen würde, andere nicht. „Aber wenn das strittig | |
ist, warum lässt die Staatsanwaltschaft das nicht vor Gericht klären?“ | |
Es wäre schließlich auch im Interesse der Polizei, den Vorfall zweifelsfrei | |
aufzuklären – schon allein, um dem Verdacht entgegen zu treten, dass eine | |
Ermittlungsbehörde (Staatsanwaltschaft) die andere (Polizei) blind deckt. | |
## Stereotyp des rachsüchtigen Arabers? | |
So aber bleibe der Verdacht bestehen, es handele sich um einen missglückten | |
Polizeieinsatz, bei dem vorschnell geschossen wurde, was nun mühsam mit dem | |
Notwehr-Argument bemäntelt werde. Dabei bediene sich die Polizei auch noch | |
des „rassistischen Stereotyps des rachsüchtigen, immer mit einem Messer | |
bewaffneten Arabers“. Damit werde das Opfer zum Täter gemacht. | |
Auch Katharina Mühlbeyer vom Flüchtlingsrat sagt laut der erwähnten | |
Mittelung: „Das von der Polizei kolportierte Bild des ausrastenden | |
Flüchtlings, der zwangsläufig erschossen werden musste, gehört öffentlich | |
hinterfragt.“ Laut Basu wollen die Anwälte der Nebenklage gegen die | |
Verfahrenseinstellung Beschwerde beim Generalstaatsanwalt einlegen. Wenn | |
das nicht hilft, würden sie das Kammergericht anrufen. „Notfalls werden wir | |
bis zum Europäischen Gerichtshof gehen.“ | |
Die Berliner Staatsanwaltschaft hat eine Anfrage der taz bis | |
Redaktionsschluss nicht beantwortet. | |
6 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
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