# taz.de -- Familienberatung für Flüchtlinge: „Ein Ort für Wut und Angst“ | |
> Der Wechsel ins neue Wertesystem verunsichere viele Flüchtlinge, sagt | |
> Hannes Rogler. Er berät geflüchtete Familien – und will eine Vätergruppe | |
> starten. | |
Bild: Flüchtlingsfamilien haben mit besonderen Belastungen zu tun | |
taz: Herr Rogler, Sie gehen für die Caritas in Flüchtlingsunterkünfte und | |
beraten Familien. Was erleben Sie dort? | |
Hannes Rogler: Flüchtlingsfamilien haben häufig mit verschiedenen Problemen | |
zu kämpfen. Viele sind psychisch erkrankt, leiden an Depressionen oder an | |
einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die fehlende Zukunftsperspektive | |
belastet die Familien zusätzlich, ebenso die lange Wartezeit in den Heimen. | |
Aber auch der Übergang in das neue Wertesystem verunsichert viele. Sie | |
wissen nicht genau, was von ihren Kindern und von ihnen als Eltern erwartet | |
wird. | |
Wie machen sich denn die Probleme im Alltagsleben bemerkbar? | |
Wenn der Vater oder die Mutter psychisch krank sind, kann es zum Beispiel | |
passieren, dass ein Kind die Aufgaben der Eltern übernimmt, sich um die | |
Geschwister kümmert, den Kontakt nach außen hält. Das funktioniert | |
vielleicht eine Weile, überfordert das Kind aber letztlich. Wir versuchen | |
es zu schützen und die Eltern über ihre Situation aufzuklären. Die Symptome | |
von psychischen Erkrankungen sind vielen nicht bekannt. Immer wieder kommt | |
es in den Einrichtungen auch zu Gewalt zwischen den Elternteilen oder | |
gegenüber den Kindern. Da muss man natürlich eingreifen. | |
Was sagen Sie einem Vater oder einer Mutter, die ihre Kinder schlagen? | |
Ich schaue mir die Familie an und versuche zu verstehen, welche Not da ist, | |
dass es zu der Gewalt kommt. Ich habe keine Eltern in den | |
Beratungsgesprächen, die Schläge in der Erziehung per se verteidigen | |
würden. Mein Eindruck ist, dass die Menschen progressiver sind, als die | |
Gesellschaft vermutet. | |
Es ist sicher nicht leicht zu erreichen, dass sich die Familien Ihnen | |
überhaupt öffnen. | |
Das Misstrauen gegenüber staatlichen oder staatsähnlichen Stellen ist | |
zunächst oft groß. Manche der Flüchtlinge wurden im Heimatland vom Staat | |
verfolgt. Andere befürchten, dass etwas aus der Beratung im Asylverfahren | |
gegen sie verwendet werden könnte. Der Kontakt entsteht aber in meinem Fall | |
über vertraute Gesichter, über die Sozialarbeiter in den Unterkünften. Sie | |
vermitteln die Beratung. Das hilft, Ängste abzubauen. | |
Wie genau unterstützen Sie die Menschen dann? | |
Ich rede mit ihnen mithilfe von Dolmetschern und schaue, ob beispielsweise | |
psychische Erkrankungen vorliegen. Ich therapiere nicht selbst, aber kann | |
an andere Stellen vermitteln. Wenn eine Familie beim Jugendamt wegen Gewalt | |
in der Erziehung bereits bekannt ist, nehme ich auch an Gesprächsrunden der | |
Helfer teil und vermittle, wenn es Missverständnisse gibt. Ich berate | |
Familien zudem bei Fragen zu Kita und Schule. | |
Mitte September wollen Sie eine Gruppe für geflüchtete Väter ins Leben | |
rufen. Warum ist das nötig? | |
Es gibt in Berlin viele Angebote für geflüchtete Frauen und Kinder, aber | |
nur wenige für Väter. Gemeinsam mit einem ehemaligen Schulleiter aus | |
Damaskus, der selbst aus Syrien geflüchtet ist, will ich einmal in der | |
Woche für zwei Stunden eine Gruppe von Vätern versammeln. Viele von ihnen | |
waren in ihrem Herkunftsland der Ernährer der Familie. Der Verlust dieser | |
Rolle beschädigt ihr Selbstwertgefühl. Wenn dann der Kontakt mit dem | |
Jobcenter, für den sie sich verantwortlich fühlen, auch nicht gut klappt, | |
wird es schwierig. Manche Väter haben zudem eine andere Vorstellung von der | |
Rolle der Frauen in der Familie. Dass die Tochter in die Schule geht, ist | |
hierzulande aber selbstverständlich. | |
Über all das wollen Sie in der Gruppe reden? | |
Ja. Wir wollen einen sicheren Ort bieten, um auch über Scham, Schuld, Wut | |
und Angst zu sprechen. Die Männer sollen diese Gefühle so bewältigen, dass | |
sie keine destruktive Wirkung mehr in der Familie entfalten. Wir wollen die | |
Väter erreichen, bevor das Jugendamt eingeschaltet wird. | |
23 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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