# taz.de -- Petition der Woche: Berliner NSU-Verflechtungen | |
> Die Spur der Rechtsextremen führt auch nach Berlin. Dort gibt es bislang | |
> keinen Untersuchungsausschuss. Aktivisten möchten das ändern. | |
Bild: Auch die Synagoge in Berlin stand auf einer Adressliste des NSU | |
Die letzte Frist für Beweismittelanträge im NSU-Prozess lief am 17. Mai ab, | |
das Ende rückt damit in greifbare Nähe. Vielen ungeklärten Fragen über | |
Mittäter*innenschaft und Mitwissen der Behörden gehen seit 2012 die | |
verschiedenen Untersuchungsausschüsse nach. Mittlerweile gibt es | |
NSU-Ausschüsse in sieben Bundesländern. Berlin gehört bislang nicht dazu – | |
obwohl es reichlich Anlass dazu gibt, wie die Berliner Vereinigung der | |
Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten | |
(VVN-BdA) findet. | |
Unter dem Motto „Besser spät als nie“ verfasste der Verein im Juni eine | |
Petition, die einen parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschuss für Berlin | |
fordert. Zu lange habe man sich darauf verlassen, dass das Berliner | |
Abgeordnetenhaus von selbst einen solchen Ausschuss gründen würde, sagt | |
Markus Tervooren, Geschäftsführer der VVN-BdA: „Unter Schwarz-Rot gab es | |
mehrere Anläufe von SPD, der Linken und den Grünen. Sie haben sich aber vom | |
CDU-Innensenat abspeisen lassen. Auch die neue rot-rot-grüne Regierung | |
bringt nichts in Bewegung“, kritisiert Tervooren. | |
Rückenwind bekommt die VVN-BdA von dem Projekt NSU-Watch, das den Münchner | |
Prozess seit Beginn kritisch begleiten: „Es muss endlich Transparenz her, | |
vor allem über die Art und den Umfang der Tätigkeit der Berliner Behörden. | |
Gerade die Rolle des Berliner LKA bei der Führung von V-Personen im | |
NSU-Komplex muss endlich auf den Tisch,“ fordert Ulli Jentsch von | |
NSU-Watch. | |
## Eine verspätete Spurensuche | |
Er spielt dabei auf Personen wie Thomas S. an, einen ehemaligen Neonazi und | |
seit dem Jahr 2000 vom Berliner Landeskriminalamt geführten V-Mann in | |
Sachsen. Drei Jahre vor seiner Anwerbung hatte der vorbestrafte S. für Uwe | |
Böhnhardt, Beate Zschäpe und Uwe Mundlos Sprengstoff besorgt. Auch Jan W., | |
sächsischer Kopf von Blood&Honour, stand den drei Untergetauchten nahe und | |
sammelte für sie Spenden auf Rechtsrockkonzerten. Ein Wachpolizist will ihn | |
im Jahr 2000 gesehen haben, wie er gemeinsam mit Zschäpe und Mundlos die | |
Berliner Synagoge in der Rykestraße ausspähte. | |
Auf einer Adressliste, die 2011 nach dem Auffliegen des NSU im Zwickauer | |
Unterschlupf gefunden wurde, befanden sich 233 jüdische Einrichtungen, | |
viele davon in [1][Berlin]. Neben der Synagoge stand auch die Adresse des | |
Jüdischen Friedhofs an der Heerstraße in Berlin-Charlottenburg auf der | |
Liste. Auf dem Gelände wurden 1998 und 2002 insgesamt drei | |
Sprengstoffanschläge verübt, sie wurden nie aufgeklärt. | |
Auch der Berliner Stefan L. soll mit dem NSU zu tun gehabt haben. Er hatte | |
das rechte Netzwerk Blood&Honour in Deutschland groß gemacht und stand mit | |
seinen sächsischen Kameraden Jan W. und Thomas S. in engem Kontakt. Im Mai | |
wurde er durch ARD-Recherchen als V-Mann des Verfassungsschutzes enttarnt, | |
vermittelt durch das LKA Berlin. In München hatte L. jede Zusammenarbeit | |
mit Behörden bestritten. | |
## Kritik an der deutschen Linken | |
Die VVN-BdA fordert in ihrer Petition eine lückenlose Aufklärung dieser | |
Berliner Verflechtungen. Für Markus Tervooren vom VVN-BdA geht es dabei um | |
viel mehr, als die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen: „Gerade | |
wird Geschichte geschrieben. In München wird gesagt, das war dieses | |
NSU-Trio und eine Handvoll Unterstützer*innen. Wenn man da nicht | |
weitermacht, heißt es später, da waren drei verrückte Neonazis, die haben | |
Migranten umgeschossen.“ | |
Tervooren prangert auch das lange Schweigen der deutschen Linken an: | |
„Bereits 2006 organisierten die Familien von Halit Yozgat in Kassel und von | |
Mehmet Kubaşık in Dortmund Gedenkmärsche und forderten ‚Kein zehntes | |
Opfer‘. Da hatte der Rest von uns die Morde noch nicht als rassistisch | |
begriffen.“ Es sei auch das schlechte Gewissen, das die Aktivist*innen | |
antreibe. | |
Bis zum Ablauf des sechsmonatigen Petitionszeitraums will der VVN-BdA die | |
Vernetzung mit der migrantischen Community vorantreiben. Nach der | |
Bundestagswahl seien größere Aktionen mit der Berliner „Initiative für die | |
Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş“ geplant. „Im Moment läuft die | |
Petition nicht gut“, gesteht Tervooren: „Wir suchen und brauchen mehr | |
Unterstützer*innen.“ | |
9 Jul 2017 | |
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## AUTOREN | |
Anna-Theresa Bachmann | |
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