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# taz.de -- Petition der Woche: Freier Blick für freie Bürger
> Die Ostsee ist so schön bei Wittenbeck. Man blickt auf Segelschiffe,
> Fähren, Möwen und Schwimmer. Wie kann man da die Aussicht zupflanzen?
Bild: Die Aussicht aufs Meer von Wittenbeck
Der Blick auf die Ostsee bei Wittenbeck nahe Rostock hat eine wechselvolle
Geschichte. In den 70er Jahren konnten sie hier noch hinausschauen aufs
Blau oder Grau, je nach Wetterlage. Dann wurden Büsche angepflanzt, die
DDR-Oberen wollten offenbar nicht, dass jeder gleich sieht, was auf dem
Meer so passiert. Irgendwann nach der Wende: Kahlschlag, wieder freier
Blick für freie Bürger.
Von dem Ort, wo sich ein Parkplatz befindet – ein Stellplatz für Wohnmobile
und eine Strandbar –, kann man heute auf Segelschiffe blicken und Fähren,
auf Möwen und Schwimmer in den seichten Wellen. Alles schön, aber wie lange
noch? Denn der Ausblick soll mit Bäumen zugepflanzt werden, die die Sicht
versperren werden, und das bringt jetzt viele auf die Palme. Vor allem
Jürgen Sattler, Rechtsanwalt und ehrenamtlicher Gemeindevertreter. Er hat
die Bürgerinitiative „Freier Ostseeblick“ gegründet, um Widerstand zu
leisten gegen diese „Behördenschikane“, wie er es nennt. Und deswegen hat
er vor drei Wochen [1][auch eine Onlinepetition gestartet]: „Für Gäste und
Einwohner: Freier Ostseeblick in Wittenbeck“. Sie richtet sich an den
Landrat des Landkreises Rostock.
Sattler sitzt im Büro seiner Kanzlei, er nimmt sich Zeit und lässt
Dokumente bringen. Man merkt, wie er an seinem Ort hängt, er redet
leidenschaftlich vom Blick auf die Ostsee und klingt zunehmend ärgerlich.
„Es ist dort so eine tolle Atmosphäre, und das wollen uns die Behörden
wegnehmen“, sagt er. „Das ist eine wirkliche touristische Attraktion.“
Dass man heute überhaupt auf die Ostsee blicken kann, liegt am Eigentümer
des Grundstücks, der vor ein paar Jahren Bäume und Sträucher abgeholzt hat
– ohne Genehmigung. Er hat dafür vom Landkreis Rostock auch schon eine
Geldstrafe aufgebrummt bekommen. Dem Landkreis bleibe gar nichts anderes
übrig, als einzugreifen, sagt ein Sprecher. Beim Landkreis ist die Untere
Naturschutzbehörde angesiedelt, und der Landkreis hat in diesem Fall genau
den im Blick. ,„Die Behörden wollen jetzt aufforsten, weil sich dort ein
Biotop befindet, das vor allem für den Erosionsschutz der Küste dient“,
sagt der Sprecher des Landkreises.
## Der Getränkewagen bleibt bis Oktober
Nicht nur, dass irgendwann die Sicht zugewachsen sein wird. Auch die
Strandbar auf dem Grundstück, die schon seit vielen Jahren in Betrieb ist,
muss verschwinden. Die Sitzgelegenheiten und der Essenswagen jetzt schon,
der Getränkewagen hat noch eine Galgenfrist bis zum 15. Oktober. Der
Landkreis weist auch darauf hin, dass die Gemeinde gar nicht daran
interessiert sei, die Strandversorgung zu legalisieren. Eine derartige
Nutzung sei überhaupt nicht im Bebauungsplan der Gemeinde erwähnt.
Jürgen Sattler hat eine ziemlich andere Sicht auf die Dinge. Es habe an
dieser Stelle nie ein Biotop gegeben, sagt er. Die Gemeinde sei auch sehr
wohl interessiert an der Strandversorgung, aber die Pläne wurden abgelehnt.
Der Bebauungsplan der Gemeinde beinhalte zum Beispiel das Aufbauen von
Pavillons und einen Weg für Behinderte, um auch ihnen einen Weg zum Strand
zu ermöglichen. Ihren Ostseeblick, den will die Gemeine pflegen.
Man hat ja auch sonst nicht viel zu bieten.
Vonseiten des Landkreises heißt es, man könne einzig darüber nachdenken,
den Platz für Wohnmobile und Caravans zu vergrößern, um den Fremdenverkehr
anzukurbeln.
Sattler ist zufrieden, wie sein Kampf nun zum Thema in der Gegend geworden
ist. „Dieser Ort ist besonders!“, schreibt ein Unterstützer auf der
Webseite der Bürgerinitiative, „Traumhafter Blick, supernetter Wirt,
Life-Musik und Entspannung pur!“. Ein anderer: „Auch ich bin für
Naturschutz, aber nicht derart überzogen. Und letztlich soll die Natur auch
dem Menschen dienen, und das tut sie hier durch einen wundervollen Ausblick
auf die herrliche Ostsee!“
Sattler und seine Mitstreiter haben jetzt auch eine Flagge entworfen, mit
der die Bürgerinitiative noch bekannter werden will. Aber allzu viele
Menschen scheinen sich dann doch nicht um den Ostseeblick in Wittenbeck
Sorgen zu machen. Die Petition jedenfalls haben bislang nicht einmal 200
Menschen unterschrieben.
29 Jul 2017
## LINKS
[1] https://www.change.org/p/landrat-f%C3%BCr-g%C3%A4ste-und-einwohner-freier-o…
## AUTOREN
Martha Rusche
## TAGS
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