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# taz.de -- Petition der Woche: Grünes Gewissen
> Boris Palmer will ein Tübinger Wasserschutzgebiet in einen Gewerbepark
> umwandeln. Damit macht er sich Feinde in seiner Partei.
Bild: Tübingen muss grün bleiben, fordert die Bürgerinitiative
Es gibt sicher einfachere politische Gegner als den grünen
Oberbürgermeister von Tübingen Boris Palmer. Der läuft ja erst dann zur
Hochform auf, wenn ihm der politische Gegenwind ins Gesicht bläst. Dabei
hilft dem Politiker mit abgeschlossenem Mathematikstudium die Gewissheit,
die nüchternen Fakten auf seiner Seite zu haben. So war das, als er beim
runden Tisch zu Stuttgart 21 den Bahnvorstand Volker Kefer ins Schwitzen
brachte. So ist es aus seiner Sicht auch, wenn er in der Flüchtlingsfrage
Parteifreunden und der Kanzlerin ein trotziges „Wir schaffen das nicht“
entgegenschleudert.
Die Gewissheit, im Recht zu sein, ist auch der „Bürgerinitiative Aubrunnen“
nicht ganz fremd. Sie setzt sich dafür ein, dass der sogenannte Aubrunnen
bleibt, was er ist: ein Wasserschutzgebiet. Die Bürgerinitiative (BI)
wendet sich damit gegen die Pläne des Oberbürgermeisters, der aus einem
zehn Hektar großen Teil des Geländes ein Gewerbegebiet machen möchte. Die
Stadt brauche solche Flächen, argumentiert Palmer, um sich auch in Zukunft
weiterentwickeln zu können.
Tübingen hat rund um die Universität eine rege Gründerszene und steht in
Konkurrenz zu attraktiven Industriestandorten wie der Nachbarstadt
Reutlingen. So könne ein grüner Politiker doch nicht argumentieren, sagt
die Bürgerinitiative. Ihr geht es ums Grundsätzliche: Braucht die Stadt
wirklich mehr Gewerbeflächen? Sind weltweit nicht ohnehin zu viele Flächen
versiegelt? Sollte man in Zeiten des Klimawandels nicht möglichst viele
Quellen erhalten, ganz egal, ob sie im Moment gebraucht werden?
Wasserversorgung ist ein emotionales Thema.
## Ein Riss geht durch die Tübinger Grünen
Und so ist, noch bevor der Gemeinderat über das Thema jemals debattiert
hätte, ist bei den umweltbewussten Tübingern eine schwungvolle Debatte über
Daseinsvorsorge, Artenschutz, Wasserqualitäts-Gutachten und redundante
Versorgungssysteme entbrannt. Der Riss geht quer durch die Tübinger Grünen.
Teile der Partei gehören zu den Initiatoren des Protests, ein anderer Teil
unterstützt den Oberbürgermeister.
Die Wasserversorgung von Tübingen übernimmt – wie in vielen Gegenden
Baden-Württembergs – vor allem der Bodensee. Das Wasser kommt seit
Jahrzehnten über ein langes Leitungsnetz. Nur ein Anteil von 22 Prozent
stammt aus Tübinger Quellen. Zudem scheint das Wasser, das der Aubrunnen
liefert, von deutlich schlechterer Qualität zu sein als das Bodenseewasser.
Der Aubrunnen wird im Moment zur Versorgung also nicht benötigt. Und das
wichtigste Argument der Stadt: Selbst wenn das Gewerbegebiet entstehen
würde, könnte der Brunnen für den Fall, dass die Wasserversorgung einmal
gestört wäre, immerhin noch als Notbrunnen genutzt werden. Das genügt der
Bürgerinitiative nicht.
## Ein erstaunliches Demokratieverständnis
1.086 Mitglieder hat die BI eigenen Angaben nach derzeit, über 1.800
Menschen haben die Onlinepetition unterzeichnet, den Aubrunnen als
Wasserschutzgebiet zu erhalten. Tübingen hat 87.000 Einwohner. Trotzdem ist
sich die Bürgerinitiative sicher: „Die Bürger wollen nicht, dass die Au
bebaut wird.“
Seltsam dabei: Die Bürgerinitiative verweigert einen Volksentscheid. Sie
hält den Vorschlag von Palmer, der sich immer wieder als Freund der
direkten Demokratie bezeichnet, nur für einen taktischen Vorstoß. Der
Gemeinderat solle entscheiden, ob das Wasserschutzgebiet zur Gewerbefläche
wird, findet die BI, lässt sich aber eine Hintertür offen. Falls der
Gemeinderat „falsch entscheide“, behalte man sich vor, doch noch die Bürger
abstimmen zu lassen, erklärte Grünen-Stadtrat und BI-Mitglied Bruno Gebhart
neulich dem Schwäbischen Tagblatt. Ein durchaus erstaunliches
Demokratieverständnis.
Denkbar wäre nach Meinung von Ortskundigen auch ein Kompromiss. Auf dem
Gelände Aubrunnen könnte eine geringere Fläche als Gewerbegebiet
ausgewiesen und ein weiteres Gebiet auf dem so genannten Schelmen, nahe der
B28, zum Gewerbegebiet gemacht werden. So könnte das Gebiet Au als
Wasserreservoir erhalten bleiben. Palmer hätte gerne eine Befragung unter
1.000 repräsentativ ausgewählten Tübingerinnen und Tübingern, um das
Stimmungsbild für die eine oder andere Variante zu testen. Die
Bürgerinitiative, lehnt das ab. Bemerkenswert ist die Begründung: Die
Befragung habe etwas von „Spielcasino“.“
Update: In einer früheren Version des Textes hieß es, Palmer habe sein
Mathematikstudium abgebrochen. Das ist falsch, er legte 1999 das erste
Staatsexamen ab.
22 Jul 2017
## AUTOREN
Benno Stieber
## TAGS
Petition
Umweltschutz
Bürgerinitiative
Tübingen
Boris Palmer
Boris Palmer
Online-Petition
Nabu
Bündnis 90/Die Grünen
Boris Palmer
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