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# taz.de -- André Eminger im NSU-Prozess: Der stillste Helfer
> Für die Bundesanwaltschaft ist er die engste Bezugsperson des NSU. Doch
> André Eminger schweigt. Er könnte glimpflich davonkommen.
Bild: André Eminger im Gerichtssaal
München/Zwickau taz | Am 114. Verhandlungstag des NSU-Prozesses, am 21. Mai
2014, richten sich alle Blicke in Saal A101 des Münchner Oberlandesgerichts
auf den schwarzen Kapuzenpullover des Angeklagten André Eminger. Auf dem
Stoff ist ein Vermummter mit Sturmgewehren zu sehen. Ein Opferanwalt sagt,
es sei das Logo einer rechten Metal Band, zu einem Album namens „Gas
Chamber“. Dies könne als „Sympathieerklärung“ für den bewaffneten Kamp…
die NSU-Morde gelten. Er beantragt, Emingers Pullover zu beschlagnahmen.
Richter Manfred Götzl bittet, Eminger solle mal aufstehen. Der schaut zu
seinem Anwalt und bleibt einfach sitzen. Er wisse nicht, was das soll, sagt
der Verteidiger. Eminger weigert sich auch, den Pullover herzugeben. Götzl
schickt ihn schließlich vor die Tür, dort fotografiert ein Beamter den
Pulli. Dann trottet Eminger zurück auf seinen Platz. Gesprochen hat er an
diesem Prozesstag kein einziges Wort. Wie bisher an jedem anderen.
Seit 374 Verhandlungstagen geht es im Münchner Oberlandesgericht um die
Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds: 10 Morde, 2 Anschläge,
15 Raubüberfälle. In der kommenden Woche sollen die Plädoyers beginnen.
Zwar werden alle dann auf Beate Zschäpe schauen, die Hauptangeklagte. Die
Bundesanwaltschaft wird aber auch ihre Strafforderungen für vier
Mitangeklagte verkünden.
Es sind: Ralf Wohlleben, beschuldigt als Beschaffer der Mordwaffe des NSU,
ein früherer NPD-Mann, der lange schwieg und dann die Schuld auf einen
Mitangeklagten abwälzen wollte. Carsten S., der mutmaßliche Überbringer der
Mordwaffe, der unter Tränen aussagte und sich von der rechten Szene
distanzierte. Holger G., der dem Trio Dokumente besorgte, zu Beginn des
Prozesses eine kurze Erklärung verlas und seitdem fast ungläubig die
Verhandlung verfolgt. Und André Eminger.
## Beihilfe zum versuchten Mord
Als Einziger der vier hielt Eminger vom Anfang bis zum Ende unmittelbaren
Kontakt zum NSU-Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Er sei
die „engste Bezugsperson“ des untergetauchten NSU-Trios gewesen, sagt die
Bundesanwaltschaft. Sie wirft dem 37-Jährigen Unterstützung einer
terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum versuchten Mord vor.
Am vierten Prozesstag fragt Richter Götzl, ob sich Eminger zur Anklage
äußern wolle. Da schüttelt er zum ersten Mal den Kopf. Am 20.
Verhandlungstag beantragt Emingers Anwalt, dass sein Mandant nicht mehr im
Prozess erscheinen muss, wenn es um die Mordvorwürfe des Terrortrios geht.
Diese beträfen ihn schließlich nicht. Das Gericht lehnt ab.
Seitdem sitzt der untersetzte, schwer tätowierte Zwickauer auf seinem
Stammplatz in der Anklagebank, als ginge ihn alles gar nichts an. Er kommt
mit Sonnenbrille ins Gericht. Er fläzt mit verschränkten Armen auf seinem
Stuhl. Er scrollt auf seinem Laptop. In den Pausen liest er in
Bikermagazinen. Eminger lässt vier Jahre NSU-Prozess an sich
vorbeirauschen.
Außerhalb des Gerichts aber macht André Eminger klar, wo er steht. Erst am
vergangen Samstag plaudert der Zwickauer im kleinen Thüringer Themar neben
einem Großzelt auf einer umzäunen Wiese mit Szenebekannten. So zeigen es
Fotos. 6.000 Neonazis sind zu einem Rechtsrockkonzert angereist. In der
Nacht recken einige ihre Arme zum Hitlergruß, durch das Zelt hallen
„Heil“-Rufe. Es ist das größte Szenekonzert in Deutschland seit
Jahrzehnten. Und André Eminger steht mittendrin – in einem schwarzen Shirt
der rechtsextremen „Gefangenenhilfe“.
## 2000 fuhren sie nach Köln
Im Frühjahr 1998 lernt André Eminger Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe
Böhnhardt kennen – da ist das Trio gerade in der Chemnitzer Wohnung eines
Helfers untergetaucht, dem ersten Unterschlupf auf der Flucht der drei.
Zuvor hatten Polizisten deren Bombenwerkstatt in Jena entdeckt, das Trio
war getürmt. Eminger mietet ihm eine Wohnung in einem Chemnitzer Plattenbau
an. Erdgeschoss, knapp 50 Quadratmeter, zwei Zimmer.
Die Bundesanwaltschaft wirft Eminger vor, dem Trio auch eine spätere
Wohnung in Zwickau vermittelt zu haben, in der es Trio sieben Jahre lebte.
Uwe Böhnhardt beschaffte Eminger eine Krankenkassenkarte und eine Bahncard.
Zudem mietete er für das Trio Wohnmobile an. Damit überfielen Böhnhardt und
Mundlos 2000 und 2003 Banken in Chemnitz, einmal machten sie 38.900 DM
Beute, einmal nur 435 DM. 2000 fuhren sie nach Köln und brachten eine
Christstollendose mit Sprengstoff in einen Lebensmittelladen, der von
Deutschiranern betrieben wurde. Die Dose explodierte später und fügte der
19-jährigen Tochter des Ladenbetreibers schwere Verbrennungen und
Schnittverletzungen zu.
Am 4. November 2011 wird André Eminger zum letzten Helfer des NSU. In
Eisenach erschießen sich Mundlos und Böhnhardt nach einem gescheiterten
Banküberfall. In Zwickau zündet Beate Zschäpe den letzten NSU-Unterschlupf
in der Frühlingsstraße an. Dann greift sie zum Handy und ruft Eminger an.
Beide brauchen nicht viele Worte, nur eine Minute und 27 Sekunden dauert
das Telefonat.
Eminger schickt sofort eine SMS an seine Frau, die beide später wieder
löschen. Dann sammelt er mit seinem VW Golf Zschäpe ein, sie stinkt nach
Benzin. Sie fahren zu Emingers nach Hause, knapp acht Kilometer entfernt.
Eminger gibt ihr neue Kleidung von seiner Frau Susann. Dann setzt er
Zschäpe am Bahnhof im benachbarten Chemnitz ab. Ob sie sich nun auch
umbringen wolle, soll Eminger laut Zschäpe am Ende gefragt haben. Sie habe
nicht geantwortet. Zschäpe steigt in den Zug und flieht – bevor sie sich
vier Tage später entkräftet der Polizei stellt.
## Auf dem Bauch steht „Die Jew Die“
Am 24. November 2011 wird Eminger auf dem brandenburgischen Gehöft seines
Zwillingsbruders Maik von einer Spezialeinheit der Polizei festgenommen.
Ein halbes Jahr lang sitzt Eminger in U-Haft, dann kommt er frei. Jetzt ist
er einer der prominentesten Angeklagten der Szene. Von den NSU-Morden hat
sich André Eminger bis heute nicht distanziert. Und er könnte mit seiner
Haltung glimpflich davonkommen.
Der Zwickauer steht auch für die ungebrochene Solidarität weiter Teile der
rechtsextremen Szene mit dem Rechtsterror des NSU. Ein „Schauprozess“ sei
der NSU-Prozess, heißt es dort. Die Angeklagten seien „Bauernopfer“. In
Themar duldete die Szene nicht nur den NSU-Angeklagten André Eminger. Sie
zeigte auch offen ihre Solidarität mit Ralf Wohlleben, der neben Zschäpe
bis heute in U-Haft sitzt – mit „Freiheit für Wolle“-Shirts.
André Eminger ist aufgewachsen im sächsischen Johanngeorgenstadt. Ein
kleines Städtchen im Erzgebirge, gleich hinter der tschechischen Grenze,
Weihnachtsdekorationsgegend, „Stadt des Schwibbogens“. Eminger hat zwei
ältere Geschwister und einen Zwillingsbruder, Maik. Sein Vater ist
Skispringer der B-Nationalmannschaft der DDR. Mit der Wende gerät die Stadt
ins Taumeln, die Handschuhfabrik schließt, das Werkzeugmaschinenwerk, die
Bekleidungsfabrik. Emingers Vater arbeitet jetzt auf dem Bauhof der Stadt,
die Mutter geht putzen.
André Eminger ist damals elf Jahre alt, wird vom Gymnasium auf die
Mittelschule versetzt und sucht Orientierung. Mit seinem Bruder Maik trifft
er sich nachmittags mit einer Clique rechter Skinheads. Eminger lässt sich
erste Tattoos stechen. „Blut und Ehre“ lautet eines, der Kampfruf der
Hitlerjugend. Später kommen mehr dazu, auf seinem Bauch: „Die Jew Die“,
darüber das Symbol der SS-Totenkopfverbände. Auf seiner Brust: Horst
Wessel, der SA-Sturmführer.
Eminger leistet seinen Wehrdienst in Gotha ab, er wird vom Militärischen
Abschirmdienst befragt. Eminger verstellt sich nicht. „Ich denke
nationalsozialistisch“, sagt der 20-Jährige dem Befrager. Er sei „gegen
kriminelle Ausländer“ und bewundere „die militärische Leistung der SS“.
„Darin sehe ich nichts Ungesetzliches.“ Eminger darf bei der Bundeswehr
bleiben.
## Immer extremer
Im Anschluss arbeitet er als Maurer, später lässt er sich zum
Fachinformatiker umschulen, dann zum Lkw-Fahrer. Immer wieder verliert er
seine Jobs, am Ende arbeitet er auf Montage. Eminger heiratet: Susann, eine
Zwickauerin, ein rechtes Skingirl, auch sie reichlich tätowiert. Sie
bekommen drei Kinder.
Über André Emingers Gesinnung sagte seine Exfreundin Anja S. im Prozess
aus. Immer radikaler sei er über die Zeit geworden. Alles sei irgendwann
rechtsextrem gewesen. Die Kleidung, die Musik, der Lebensstil. „Alles, was
nicht deutsch war, war nicht akzeptabel.“ Den Ermittlern hatte ein früherer
Arbeitskollege berichtet, wie Eminger erzählte, Hitlers „Mein Kampf“
gelesen zu haben. Als „unbelehrbaren Neonazi“ bezeichnet Nebenklageanwalt
Yavuz Narin den Zwickauer. Narin vertritt die Familie des in München vom
NSU erschossenen Theodoros Boulgarides. Für das Terrortrio sei Emingers
Rolle existenziell gewesen. „Dass er diese bereut, davon ist überhaupt
nichts zu sehen, ganz im Gegenteil.“
Im Jahr 2000 gründet Eminger mit seinem Bruder Maik die „Weiße Bruderschaft
Erzgebirge“ und lässt sich ihren Namen auf den Arm tätowieren. In der
Kameradschaft versammeln sich knapp zwanzig Neonazis. Die Zwillinge geben
den Ton an. „Der Dumme und der Schlaue“ habe man sie genannt, sagt ein
früherer Szenefreund. Maik Eminger war der Schlaue.
## Das Schweigen hat Methode
Die Gruppe gibt auch eine eigene Zeitschrift heraus, die Eminger-Brüder
seien dafür verantwortlich gewesen, sagt der frühere Freund. Die
Zeitschrift nennt sich „Aryan Law and Order“: Man sei für ein „weißes
Europa“, heißt es dort. Die US-Rechtsterroristen „The Order“ werden für
ihre Strategie gelobt. Diese wollen Sprengstoffanschläge auf Synagogen
begehen, Banken überfallen, „politische Gegner“ ermorden. Es ist ein
Untergrundkonzept wie das, mit dem der NSU just in dieser Zeit seine
Mordserie beginnt. Grüße gehen auch an die Netzwerke von Blood&Honour und
den Hammerskins – aus beiden kommen weitere NSU-Helfer und Kontaktleute.
Und André Eminger war offenbar mittendrin.
In einem Beitrag, der mit „A.“ unterzeichnet ist, steht: „Ich habe
glücklicherweise Kameraden kennengelernt, die mich unterstützt und mir
gezeigt haben, das nicht alles aus saufen und randalieren besteht.“ Ist das
mordende Terrortrio gemeint?
16. Oktober 2014, Prozesstag 151: Der Thüringer Neonazi Thomas G. soll
aussagen. Eminger sitzt wie immer auf der Anklagebank, er trägt ein Hemd:
„Brüder schweigen – bis in den Tod“. Thomas G. lässt sich an diesem Tag
wenige Worte entlocken. Das hat Methode. „Schweigen ist Gold“, rät die
rechtsextreme „Gefangenenhilfe“ Szeneangehörigen – die Gruppe, deren Shi…
Eminger in Themar trug.
Vor wenigen Monaten sitzt Thomas G. erneut im Prozess, diesmal auf der
Zuhörerempore, mit mehreren Gesinnungskameraden. Die Neonazis platzieren
sich provokativ zwischen die Journalisten, aus dem Saal grinst ihnen
Eminger entgegen. Als der Prozesstag vorbei ist, gesellt er sich vor dem
Gerichtsgebäude direkt zu der Gruppe. Gemeinsam laufen sie zu einem roten
Van. Sie warten die Polizeieskorte ab, die Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben
zurück in die JVA fährt – und hupen zum Gruß.
## Weiterhin Kontakt zur Szene
Emingers Nähe zur Szene ist ungebrochen. Trotz des laufenden NSU-Prozesses
will ein Zeuge ihn Ende 2014 auf einem Anti-Asyl-Aufzug im sächsischen
Schneeberg gesehen haben. Wenig später, nach dem 173. Verhandlungstag,
steht Eminger am Abend in München auf der Straße. Fotos zeigen ihn in
schwarzer Lederweste und schwarzer Mütze, zusammen mit rund 1.500 Menschen
auf dem Weg zum Karlsplatz. Es sind Anhänger des Münchner Pegida-Ablegers,
auch stramme Neonazis sind gekommen. Auf ihren Plakaten wettern sie gegen
die „Politikerkaste“ oder eine „Gesinnungsdiktatur“. Rechte Parolen wer…
in den dunklen Abend gerufen. Hier gibt es kein Schweigen mehr. Und André
Eminger ist wieder mitten dabei.
Im Mai steht Eminger sogar noch einmal vor Gericht, diesmal in Zwickau,
Amtsgericht. Ein Jahr zuvor soll Eminger in seiner Heimatstadt einen
18-Jährigen verprügelt haben, der zuvor mit seinem 14-jährigen Sohn in
Streit geriet. Immer wieder habe Eminger auf den Jugendlichen eingeprügelt,
sagt der Staatsanwalt. Zehn Mal gegen den Kopf, fünf Mal gegen die Rippen.
„Die Art und Weise, wie er meinte, das Opfer disziplinieren zu müssen, ist
eine szenetypische Verhaltensweise.“
Eminger verfolgt auch diese Worte schweigend. Er starrt vor sich auf den
Tisch, zwischendrin schmunzelt er leicht. „Das letzte Wort haben Sie“, sagt
der Richter. „Wollen Sie etwas sagen?“ Eminger schüttelt den Kopf. Der
Richter verurteilt ihn zu einer Geldstrafe von 676 Euro. Wortlos eilt der
37-Jährige aus dem Gericht.
Auch in München hat Eminger inzwischen seine Vertrauten. So kam Eminger
zwischenzeitlich im „Braunen Haus“ unter, eine Wohngemeinschaft von
Rechtsextremen am Stadtrand, und ließ sich dort bei einem Sommerfest sehen.
Auch besuchte der Münchner Karl-Heinz Statzberger wiederholt den
NSU-Prozess. Gleich zur Prozesseröffnung erschien der Glatzkopf in
Begleitung: mit Maik Eminger. Statzberger ist einer der Tonangebenden der
rechtsextremen Partei „III. Weg“ – und ein verurteilter Rechtsterrorist.
Vier Jahre saß er in Haft, weil er einen Anschlagsversuch auf die Münchner
Synagoge 2003 mitplante.
Der „III. Weg“ zählt heute zu den aggressivsten Neonaziparteien, viele
Mitglieder sind frühere Kameradschaftler. Unverhohlen werden NS-Referenzen
bedient, besonders gegen Flüchtlinge wird gehetzt, die Rhetorik ist
martialisch. „Kampf ist der Vater des Überlebens des eigenen Volkes“, hei�…
es in den Leitlinien der Partei. Dafür ist offenbar auch die Mitwirkung
früherer Terrorplaner recht.
Auch Emingers Zwillingsbruder Maik, heute als Tätowierer tätig, gehörte zu
den Führungskräften des III. Wegs. In Potsdam war er Stützpunktleiter der
Partei, vielfach trat er als Redner auf. „Es ist an der Zeit, endlich
Widerstand zu leisten, denn es wird ernst“, rief er einmal in einer Rede.
„Kompromisslos“ werde man gegen die Asylpolitik des „herrschenden Systems…
kämpfen. Inzwischen, so heißt es in Sicherheitskreisen, habe sich Maik
Eminger aus der Szene zurückgezogen.
## Unbeantwortete Anfragen
Der kompromisslose Kampf gegen das System – auch der NSU hatte sich dieser
Parole verschrieben. Seine zehn Morde und zwei Anschläge haben die Szene
nicht aufgeschreckt. Die Neonazis setzen die Widerstandsaufrufe vielmehr
fort. Längst halten auch die Sicherheitsbehörden das Aufkommen neuer
rechtsterroristischen Gruppen wieder für möglich. Von einer „virulenten
Gefahr“ spricht der Verfassungsschutz.
Fragt man André Eminger direkt, wie er heute zum NSU und den Anklagepunkten
steht, grinst er nur. Dann dreht er sich weg, zündet sich eine Zigarette an
und läuft davon. Auch seine beiden Anwälte lassen Anfragen unbeantwortet.
In der Vergangenheit bezeichneten sie die Anklagen als „Vermutungen“.
Als Ermittler nach dem Auffliegen des NSU 2011 Emingers Wohnung
durchsuchten, wurden sie fündig. Auf seinem Computer entdeckten sie neben
Weihnachtsgrußkarten mit Hakenkreuz die „Turner Tagebücher“, einen Roman,
der den rechtsextremen Untergrundkampf beschreibt. Auf einer Bilddatei mit
Totenköpfen prangte der Spruch: „Es ist nicht alle Tage, wir kommen wieder,
keine Frage.“ Dieser Satz ertönt fast genauso am Ende es
NSU-Bekennervideos.
Im Dezember 2015 bricht Beate Zschäpe im Prozess ihr Schweigen. Sie
beschreibt André Eminger und seine Frau Susann als enge Freunde.
Wöchentlich habe man sich getroffen, mit dem Fahrrad sei sie oft zum Haus
der Emingers gefahren. André half bei Großeinkäufen. Mit Susann ging
Zschäpe ins Kino oder zu der Komikerin Cindy aus Marzahn, meistens einfach
auf den Spielplatz. Fast immer waren die Kinder dabei. Auch deshalb,
schilderte Zschäpe, habe sie zu Hause stets darauf geachtet, die Waffen
wegzuräumen. „Diese Treffen mit den Kindern taten mir gut“, lässt Zschäpe
im Prozess ihren Anwalt verlesen. „Weil ich selbst keine eigenen Kinder
bekommen kann.“
## Eminger rettet das Trio
Für das Trio war der Alltag mit den Emingers eine willkommene Tarnung.
Mehrmals gab sich Zschäpe auch direkt als Susann Eminger aus, verwendete
deren Dokumente. Und das Trio revanchierte sich für die Treue: Einmal
schenkten sie den Emingers eine Musikanlage für 285 Euro, einmal eine Reise
ins Disneyland Paris für 916 Euro. Als „einzigen sozialen Fixpunkt“ für d…
Untergetauchten bezeichnet die Bundesanwaltschaft die Emingers. Gegen
Susann Eminger ermittelt sie bis heute wegen möglicher Terrorunterstützung.
André Eminger leistete seine wohl wichtigste Hilfe im Januar 2007: Er
rettet das Trio vorm Auffliegen. Ein Polizist steht bei der damaligen
Wohnung von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Zwickau vor der
Tür. Es geht um den Verdacht eines Diebstahls im Haus, Zschäpe öffnet und
stellt sich als „Susann Eminger“ vor. Zur Anhörung später auf dem
Polizeirevier begleitet sie André Eminger. Beide gaben sich als Ehepaar
aus, im Haus seien sie nur zu Besuch gewesen. Der Beamte schöpft keinen
Verdacht. Und das Trio kann fünf weitere Jahre im Untergrund leben. Näher
wird die Polizei den Terroristen nicht mehr kommen.
Es war nach dieser Episode, als Zschäpe André Eminger über die
Raubüberfälle des Trios eingeweiht haben will. „Von den Tötungsdelikten und
Bombenanschlägen erfuhr er jedoch nichts“, teilte sie im Prozess mit. Es
ist diese Frage, die das Gericht nun zu klären hat. Kann das stimmen, dass
André Eminger fast 13 Jahre das Trio im Untergrund begleitete, aber von
dessen Morden und Anschlägen keine Ahnung hatte?
## An der Wand ein Bild der Uwes
Die Bundesanwaltschaft meldete früh Zweifel an. Eminger habe von der
Jenaer Bombenwerkstatt des Trios und dessen „immenser“ Gewaltbereitschaft
gewusst, heißt es in ihrer Anklage. Auch kannte er die rassistische
Einstellung der drei. Insofern müsse ihm klar gewesen sein, dass diese
ihre Ideologie „auch mit Todesopfern“ durchsetzen könnten. Mehr noch
befürworte er auch selbst die Tötung von Menschen, wie sein „Die Jew
Die“-Tattoo zeige.
Beweise aber, dass Eminger tatsächlich von den NSU-Mordtaten wusste,
ergaben sich in den viereinhalb Jahren Prozess nicht. Auch den anfänglichen
Vorwurf, Eminger habe am NSU-Bekennervideo mitgewirkt, konnten die
Ermittler nicht untermauern. Die Anmietungen der Wohnungen für das
Terrortrio sind verjährt. Zudem ist Eminger nicht vorbestraft.
Zwar gibt es das Urteil wegen der Prügelattacke in Zwickau. Eminger aber
ging in Berufung, die Verurteilung ist nicht rechtskräftig.Wenn im
Münchner NSU-Prozess also das Urteil fällt, könnte Eminger, auch dank
seiner Schweigestrategie, mit einer überschaubaren Strafe davonkommen.
Prozessbeteiligte halten sechs bis sieben Jahre Haft für möglich.
## Die unbekannten Helfer
Die Opferfamilien sind besorgt. „Sollte Eminger ein mildes Urteil erhalten,
wäre das bitter“, sagt Nebenklageanwalt Yavuz Narin. „Die Helferszene des
NSU dürfte sich dann noch bestärkt fühlen.“
Schon jetzt ist klar: Viele Fragen zum NSU-Terror werden auch nach dem
Urteil offenbleiben. Wie wählten die Terroristen ihre Opfer aus? Woher
bekam das Trio all seine Waffen und den Sprengstoff? Einige Helfer, die den
Untergetauchten dabei über Jahre helfend zur Seite standen, dürften bis
heute herumlaufen. Auch weil Begleiter wie André Eminger schweigen. „Wenn
jemand noch mehr über den NSU-Terror weiß, vielleicht alles, dann ist es
das Ehepaar Eminger“, sagt der CDU-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss,
Armin Schuster. Dass es bislang nicht bekannte NSU-Helfer gibt, davon ist
der Ausschuss überzeugt.
Dass André Eminger dabei hilft, sie zu finden, ist nicht zu erwarten.
Im April 2013 durchsuchten Polizeibeamte Emingers Wohnung in Zwickau. Im
Wohnzimmer, über dem Fernseher, entdeckten sie eine Kohlezeichnung, dunkel
gerahmt: die Gesichter von Mundlos und Böhnhardt, dazu eine Rune und ein
Schriftzug in Sütterlin. „Unvergessen.“ Als die Beamten das Bild mitnehmen
wollen, weigert sich André Eminger. An einen „heftigen Ausbruch“ erinnerte
sich eine Polizistin, die in Zwickau dabei war. Das Bild blieb an der Wand
hängen.
24 Jul 2017
## AUTOREN
Konrad Litschko
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Schwerpunkt Rechter Terror
NSU-Prozess
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
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