| # taz.de -- André Eminger im NSU-Prozess: Der stillste Helfer | |
| > Für die Bundesanwaltschaft ist er die engste Bezugsperson des NSU. Doch | |
| > André Eminger schweigt. Er könnte glimpflich davonkommen. | |
| Bild: André Eminger im Gerichtssaal | |
| München/Zwickau taz | Am 114. Verhandlungstag des NSU-Prozesses, am 21. Mai | |
| 2014, richten sich alle Blicke in Saal A101 des Münchner Oberlandesgerichts | |
| auf den schwarzen Kapuzenpullover des Angeklagten André Eminger. Auf dem | |
| Stoff ist ein Vermummter mit Sturmgewehren zu sehen. Ein Opferanwalt sagt, | |
| es sei das Logo einer rechten Metal Band, zu einem Album namens „Gas | |
| Chamber“. Dies könne als „Sympathieerklärung“ für den bewaffneten Kamp… | |
| die NSU-Morde gelten. Er beantragt, Emingers Pullover zu beschlagnahmen. | |
| Richter Manfred Götzl bittet, Eminger solle mal aufstehen. Der schaut zu | |
| seinem Anwalt und bleibt einfach sitzen. Er wisse nicht, was das soll, sagt | |
| der Verteidiger. Eminger weigert sich auch, den Pullover herzugeben. Götzl | |
| schickt ihn schließlich vor die Tür, dort fotografiert ein Beamter den | |
| Pulli. Dann trottet Eminger zurück auf seinen Platz. Gesprochen hat er an | |
| diesem Prozesstag kein einziges Wort. Wie bisher an jedem anderen. | |
| Seit 374 Verhandlungstagen geht es im Münchner Oberlandesgericht um die | |
| Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds: 10 Morde, 2 Anschläge, | |
| 15 Raubüberfälle. In der kommenden Woche sollen die Plädoyers beginnen. | |
| Zwar werden alle dann auf Beate Zschäpe schauen, die Hauptangeklagte. Die | |
| Bundesanwaltschaft wird aber auch ihre Strafforderungen für vier | |
| Mitangeklagte verkünden. | |
| Es sind: Ralf Wohlleben, beschuldigt als Beschaffer der Mordwaffe des NSU, | |
| ein früherer NPD-Mann, der lange schwieg und dann die Schuld auf einen | |
| Mitangeklagten abwälzen wollte. Carsten S., der mutmaßliche Überbringer der | |
| Mordwaffe, der unter Tränen aussagte und sich von der rechten Szene | |
| distanzierte. Holger G., der dem Trio Dokumente besorgte, zu Beginn des | |
| Prozesses eine kurze Erklärung verlas und seitdem fast ungläubig die | |
| Verhandlung verfolgt. Und André Eminger. | |
| ## Beihilfe zum versuchten Mord | |
| Als Einziger der vier hielt Eminger vom Anfang bis zum Ende unmittelbaren | |
| Kontakt zum NSU-Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Er sei | |
| die „engste Bezugsperson“ des untergetauchten NSU-Trios gewesen, sagt die | |
| Bundesanwaltschaft. Sie wirft dem 37-Jährigen Unterstützung einer | |
| terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum versuchten Mord vor. | |
| Am vierten Prozesstag fragt Richter Götzl, ob sich Eminger zur Anklage | |
| äußern wolle. Da schüttelt er zum ersten Mal den Kopf. Am 20. | |
| Verhandlungstag beantragt Emingers Anwalt, dass sein Mandant nicht mehr im | |
| Prozess erscheinen muss, wenn es um die Mordvorwürfe des Terrortrios geht. | |
| Diese beträfen ihn schließlich nicht. Das Gericht lehnt ab. | |
| Seitdem sitzt der untersetzte, schwer tätowierte Zwickauer auf seinem | |
| Stammplatz in der Anklagebank, als ginge ihn alles gar nichts an. Er kommt | |
| mit Sonnenbrille ins Gericht. Er fläzt mit verschränkten Armen auf seinem | |
| Stuhl. Er scrollt auf seinem Laptop. In den Pausen liest er in | |
| Bikermagazinen. Eminger lässt vier Jahre NSU-Prozess an sich | |
| vorbeirauschen. | |
| Außerhalb des Gerichts aber macht André Eminger klar, wo er steht. Erst am | |
| vergangen Samstag plaudert der Zwickauer im kleinen Thüringer Themar neben | |
| einem Großzelt auf einer umzäunen Wiese mit Szenebekannten. So zeigen es | |
| Fotos. 6.000 Neonazis sind zu einem Rechtsrockkonzert angereist. In der | |
| Nacht recken einige ihre Arme zum Hitlergruß, durch das Zelt hallen | |
| „Heil“-Rufe. Es ist das größte Szenekonzert in Deutschland seit | |
| Jahrzehnten. Und André Eminger steht mittendrin – in einem schwarzen Shirt | |
| der rechtsextremen „Gefangenenhilfe“. | |
| ## 2000 fuhren sie nach Köln | |
| Im Frühjahr 1998 lernt André Eminger Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe | |
| Böhnhardt kennen – da ist das Trio gerade in der Chemnitzer Wohnung eines | |
| Helfers untergetaucht, dem ersten Unterschlupf auf der Flucht der drei. | |
| Zuvor hatten Polizisten deren Bombenwerkstatt in Jena entdeckt, das Trio | |
| war getürmt. Eminger mietet ihm eine Wohnung in einem Chemnitzer Plattenbau | |
| an. Erdgeschoss, knapp 50 Quadratmeter, zwei Zimmer. | |
| Die Bundesanwaltschaft wirft Eminger vor, dem Trio auch eine spätere | |
| Wohnung in Zwickau vermittelt zu haben, in der es Trio sieben Jahre lebte. | |
| Uwe Böhnhardt beschaffte Eminger eine Krankenkassenkarte und eine Bahncard. | |
| Zudem mietete er für das Trio Wohnmobile an. Damit überfielen Böhnhardt und | |
| Mundlos 2000 und 2003 Banken in Chemnitz, einmal machten sie 38.900 DM | |
| Beute, einmal nur 435 DM. 2000 fuhren sie nach Köln und brachten eine | |
| Christstollendose mit Sprengstoff in einen Lebensmittelladen, der von | |
| Deutschiranern betrieben wurde. Die Dose explodierte später und fügte der | |
| 19-jährigen Tochter des Ladenbetreibers schwere Verbrennungen und | |
| Schnittverletzungen zu. | |
| Am 4. November 2011 wird André Eminger zum letzten Helfer des NSU. In | |
| Eisenach erschießen sich Mundlos und Böhnhardt nach einem gescheiterten | |
| Banküberfall. In Zwickau zündet Beate Zschäpe den letzten NSU-Unterschlupf | |
| in der Frühlingsstraße an. Dann greift sie zum Handy und ruft Eminger an. | |
| Beide brauchen nicht viele Worte, nur eine Minute und 27 Sekunden dauert | |
| das Telefonat. | |
| Eminger schickt sofort eine SMS an seine Frau, die beide später wieder | |
| löschen. Dann sammelt er mit seinem VW Golf Zschäpe ein, sie stinkt nach | |
| Benzin. Sie fahren zu Emingers nach Hause, knapp acht Kilometer entfernt. | |
| Eminger gibt ihr neue Kleidung von seiner Frau Susann. Dann setzt er | |
| Zschäpe am Bahnhof im benachbarten Chemnitz ab. Ob sie sich nun auch | |
| umbringen wolle, soll Eminger laut Zschäpe am Ende gefragt haben. Sie habe | |
| nicht geantwortet. Zschäpe steigt in den Zug und flieht – bevor sie sich | |
| vier Tage später entkräftet der Polizei stellt. | |
| ## Auf dem Bauch steht „Die Jew Die“ | |
| Am 24. November 2011 wird Eminger auf dem brandenburgischen Gehöft seines | |
| Zwillingsbruders Maik von einer Spezialeinheit der Polizei festgenommen. | |
| Ein halbes Jahr lang sitzt Eminger in U-Haft, dann kommt er frei. Jetzt ist | |
| er einer der prominentesten Angeklagten der Szene. Von den NSU-Morden hat | |
| sich André Eminger bis heute nicht distanziert. Und er könnte mit seiner | |
| Haltung glimpflich davonkommen. | |
| Der Zwickauer steht auch für die ungebrochene Solidarität weiter Teile der | |
| rechtsextremen Szene mit dem Rechtsterror des NSU. Ein „Schauprozess“ sei | |
| der NSU-Prozess, heißt es dort. Die Angeklagten seien „Bauernopfer“. In | |
| Themar duldete die Szene nicht nur den NSU-Angeklagten André Eminger. Sie | |
| zeigte auch offen ihre Solidarität mit Ralf Wohlleben, der neben Zschäpe | |
| bis heute in U-Haft sitzt – mit „Freiheit für Wolle“-Shirts. | |
| André Eminger ist aufgewachsen im sächsischen Johanngeorgenstadt. Ein | |
| kleines Städtchen im Erzgebirge, gleich hinter der tschechischen Grenze, | |
| Weihnachtsdekorationsgegend, „Stadt des Schwibbogens“. Eminger hat zwei | |
| ältere Geschwister und einen Zwillingsbruder, Maik. Sein Vater ist | |
| Skispringer der B-Nationalmannschaft der DDR. Mit der Wende gerät die Stadt | |
| ins Taumeln, die Handschuhfabrik schließt, das Werkzeugmaschinenwerk, die | |
| Bekleidungsfabrik. Emingers Vater arbeitet jetzt auf dem Bauhof der Stadt, | |
| die Mutter geht putzen. | |
| André Eminger ist damals elf Jahre alt, wird vom Gymnasium auf die | |
| Mittelschule versetzt und sucht Orientierung. Mit seinem Bruder Maik trifft | |
| er sich nachmittags mit einer Clique rechter Skinheads. Eminger lässt sich | |
| erste Tattoos stechen. „Blut und Ehre“ lautet eines, der Kampfruf der | |
| Hitlerjugend. Später kommen mehr dazu, auf seinem Bauch: „Die Jew Die“, | |
| darüber das Symbol der SS-Totenkopfverbände. Auf seiner Brust: Horst | |
| Wessel, der SA-Sturmführer. | |
| Eminger leistet seinen Wehrdienst in Gotha ab, er wird vom Militärischen | |
| Abschirmdienst befragt. Eminger verstellt sich nicht. „Ich denke | |
| nationalsozialistisch“, sagt der 20-Jährige dem Befrager. Er sei „gegen | |
| kriminelle Ausländer“ und bewundere „die militärische Leistung der SS“. | |
| „Darin sehe ich nichts Ungesetzliches.“ Eminger darf bei der Bundeswehr | |
| bleiben. | |
| ## Immer extremer | |
| Im Anschluss arbeitet er als Maurer, später lässt er sich zum | |
| Fachinformatiker umschulen, dann zum Lkw-Fahrer. Immer wieder verliert er | |
| seine Jobs, am Ende arbeitet er auf Montage. Eminger heiratet: Susann, eine | |
| Zwickauerin, ein rechtes Skingirl, auch sie reichlich tätowiert. Sie | |
| bekommen drei Kinder. | |
| Über André Emingers Gesinnung sagte seine Exfreundin Anja S. im Prozess | |
| aus. Immer radikaler sei er über die Zeit geworden. Alles sei irgendwann | |
| rechtsextrem gewesen. Die Kleidung, die Musik, der Lebensstil. „Alles, was | |
| nicht deutsch war, war nicht akzeptabel.“ Den Ermittlern hatte ein früherer | |
| Arbeitskollege berichtet, wie Eminger erzählte, Hitlers „Mein Kampf“ | |
| gelesen zu haben. Als „unbelehrbaren Neonazi“ bezeichnet Nebenklageanwalt | |
| Yavuz Narin den Zwickauer. Narin vertritt die Familie des in München vom | |
| NSU erschossenen Theodoros Boulgarides. Für das Terrortrio sei Emingers | |
| Rolle existenziell gewesen. „Dass er diese bereut, davon ist überhaupt | |
| nichts zu sehen, ganz im Gegenteil.“ | |
| Im Jahr 2000 gründet Eminger mit seinem Bruder Maik die „Weiße Bruderschaft | |
| Erzgebirge“ und lässt sich ihren Namen auf den Arm tätowieren. In der | |
| Kameradschaft versammeln sich knapp zwanzig Neonazis. Die Zwillinge geben | |
| den Ton an. „Der Dumme und der Schlaue“ habe man sie genannt, sagt ein | |
| früherer Szenefreund. Maik Eminger war der Schlaue. | |
| ## Das Schweigen hat Methode | |
| Die Gruppe gibt auch eine eigene Zeitschrift heraus, die Eminger-Brüder | |
| seien dafür verantwortlich gewesen, sagt der frühere Freund. Die | |
| Zeitschrift nennt sich „Aryan Law and Order“: Man sei für ein „weißes | |
| Europa“, heißt es dort. Die US-Rechtsterroristen „The Order“ werden für | |
| ihre Strategie gelobt. Diese wollen Sprengstoffanschläge auf Synagogen | |
| begehen, Banken überfallen, „politische Gegner“ ermorden. Es ist ein | |
| Untergrundkonzept wie das, mit dem der NSU just in dieser Zeit seine | |
| Mordserie beginnt. Grüße gehen auch an die Netzwerke von Blood&Honour und | |
| den Hammerskins – aus beiden kommen weitere NSU-Helfer und Kontaktleute. | |
| Und André Eminger war offenbar mittendrin. | |
| In einem Beitrag, der mit „A.“ unterzeichnet ist, steht: „Ich habe | |
| glücklicherweise Kameraden kennengelernt, die mich unterstützt und mir | |
| gezeigt haben, das nicht alles aus saufen und randalieren besteht.“ Ist das | |
| mordende Terrortrio gemeint? | |
| 16. Oktober 2014, Prozesstag 151: Der Thüringer Neonazi Thomas G. soll | |
| aussagen. Eminger sitzt wie immer auf der Anklagebank, er trägt ein Hemd: | |
| „Brüder schweigen – bis in den Tod“. Thomas G. lässt sich an diesem Tag | |
| wenige Worte entlocken. Das hat Methode. „Schweigen ist Gold“, rät die | |
| rechtsextreme „Gefangenenhilfe“ Szeneangehörigen – die Gruppe, deren Shi… | |
| Eminger in Themar trug. | |
| Vor wenigen Monaten sitzt Thomas G. erneut im Prozess, diesmal auf der | |
| Zuhörerempore, mit mehreren Gesinnungskameraden. Die Neonazis platzieren | |
| sich provokativ zwischen die Journalisten, aus dem Saal grinst ihnen | |
| Eminger entgegen. Als der Prozesstag vorbei ist, gesellt er sich vor dem | |
| Gerichtsgebäude direkt zu der Gruppe. Gemeinsam laufen sie zu einem roten | |
| Van. Sie warten die Polizeieskorte ab, die Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben | |
| zurück in die JVA fährt – und hupen zum Gruß. | |
| ## Weiterhin Kontakt zur Szene | |
| Emingers Nähe zur Szene ist ungebrochen. Trotz des laufenden NSU-Prozesses | |
| will ein Zeuge ihn Ende 2014 auf einem Anti-Asyl-Aufzug im sächsischen | |
| Schneeberg gesehen haben. Wenig später, nach dem 173. Verhandlungstag, | |
| steht Eminger am Abend in München auf der Straße. Fotos zeigen ihn in | |
| schwarzer Lederweste und schwarzer Mütze, zusammen mit rund 1.500 Menschen | |
| auf dem Weg zum Karlsplatz. Es sind Anhänger des Münchner Pegida-Ablegers, | |
| auch stramme Neonazis sind gekommen. Auf ihren Plakaten wettern sie gegen | |
| die „Politikerkaste“ oder eine „Gesinnungsdiktatur“. Rechte Parolen wer… | |
| in den dunklen Abend gerufen. Hier gibt es kein Schweigen mehr. Und André | |
| Eminger ist wieder mitten dabei. | |
| Im Mai steht Eminger sogar noch einmal vor Gericht, diesmal in Zwickau, | |
| Amtsgericht. Ein Jahr zuvor soll Eminger in seiner Heimatstadt einen | |
| 18-Jährigen verprügelt haben, der zuvor mit seinem 14-jährigen Sohn in | |
| Streit geriet. Immer wieder habe Eminger auf den Jugendlichen eingeprügelt, | |
| sagt der Staatsanwalt. Zehn Mal gegen den Kopf, fünf Mal gegen die Rippen. | |
| „Die Art und Weise, wie er meinte, das Opfer disziplinieren zu müssen, ist | |
| eine szenetypische Verhaltensweise.“ | |
| Eminger verfolgt auch diese Worte schweigend. Er starrt vor sich auf den | |
| Tisch, zwischendrin schmunzelt er leicht. „Das letzte Wort haben Sie“, sagt | |
| der Richter. „Wollen Sie etwas sagen?“ Eminger schüttelt den Kopf. Der | |
| Richter verurteilt ihn zu einer Geldstrafe von 676 Euro. Wortlos eilt der | |
| 37-Jährige aus dem Gericht. | |
| Auch in München hat Eminger inzwischen seine Vertrauten. So kam Eminger | |
| zwischenzeitlich im „Braunen Haus“ unter, eine Wohngemeinschaft von | |
| Rechtsextremen am Stadtrand, und ließ sich dort bei einem Sommerfest sehen. | |
| Auch besuchte der Münchner Karl-Heinz Statzberger wiederholt den | |
| NSU-Prozess. Gleich zur Prozesseröffnung erschien der Glatzkopf in | |
| Begleitung: mit Maik Eminger. Statzberger ist einer der Tonangebenden der | |
| rechtsextremen Partei „III. Weg“ – und ein verurteilter Rechtsterrorist. | |
| Vier Jahre saß er in Haft, weil er einen Anschlagsversuch auf die Münchner | |
| Synagoge 2003 mitplante. | |
| Der „III. Weg“ zählt heute zu den aggressivsten Neonaziparteien, viele | |
| Mitglieder sind frühere Kameradschaftler. Unverhohlen werden NS-Referenzen | |
| bedient, besonders gegen Flüchtlinge wird gehetzt, die Rhetorik ist | |
| martialisch. „Kampf ist der Vater des Überlebens des eigenen Volkes“, hei�… | |
| es in den Leitlinien der Partei. Dafür ist offenbar auch die Mitwirkung | |
| früherer Terrorplaner recht. | |
| Auch Emingers Zwillingsbruder Maik, heute als Tätowierer tätig, gehörte zu | |
| den Führungskräften des III. Wegs. In Potsdam war er Stützpunktleiter der | |
| Partei, vielfach trat er als Redner auf. „Es ist an der Zeit, endlich | |
| Widerstand zu leisten, denn es wird ernst“, rief er einmal in einer Rede. | |
| „Kompromisslos“ werde man gegen die Asylpolitik des „herrschenden Systems… | |
| kämpfen. Inzwischen, so heißt es in Sicherheitskreisen, habe sich Maik | |
| Eminger aus der Szene zurückgezogen. | |
| ## Unbeantwortete Anfragen | |
| Der kompromisslose Kampf gegen das System – auch der NSU hatte sich dieser | |
| Parole verschrieben. Seine zehn Morde und zwei Anschläge haben die Szene | |
| nicht aufgeschreckt. Die Neonazis setzen die Widerstandsaufrufe vielmehr | |
| fort. Längst halten auch die Sicherheitsbehörden das Aufkommen neuer | |
| rechtsterroristischen Gruppen wieder für möglich. Von einer „virulenten | |
| Gefahr“ spricht der Verfassungsschutz. | |
| Fragt man André Eminger direkt, wie er heute zum NSU und den Anklagepunkten | |
| steht, grinst er nur. Dann dreht er sich weg, zündet sich eine Zigarette an | |
| und läuft davon. Auch seine beiden Anwälte lassen Anfragen unbeantwortet. | |
| In der Vergangenheit bezeichneten sie die Anklagen als „Vermutungen“. | |
| Als Ermittler nach dem Auffliegen des NSU 2011 Emingers Wohnung | |
| durchsuchten, wurden sie fündig. Auf seinem Computer entdeckten sie neben | |
| Weihnachtsgrußkarten mit Hakenkreuz die „Turner Tagebücher“, einen Roman, | |
| der den rechtsextremen Untergrundkampf beschreibt. Auf einer Bilddatei mit | |
| Totenköpfen prangte der Spruch: „Es ist nicht alle Tage, wir kommen wieder, | |
| keine Frage.“ Dieser Satz ertönt fast genauso am Ende es | |
| NSU-Bekennervideos. | |
| Im Dezember 2015 bricht Beate Zschäpe im Prozess ihr Schweigen. Sie | |
| beschreibt André Eminger und seine Frau Susann als enge Freunde. | |
| Wöchentlich habe man sich getroffen, mit dem Fahrrad sei sie oft zum Haus | |
| der Emingers gefahren. André half bei Großeinkäufen. Mit Susann ging | |
| Zschäpe ins Kino oder zu der Komikerin Cindy aus Marzahn, meistens einfach | |
| auf den Spielplatz. Fast immer waren die Kinder dabei. Auch deshalb, | |
| schilderte Zschäpe, habe sie zu Hause stets darauf geachtet, die Waffen | |
| wegzuräumen. „Diese Treffen mit den Kindern taten mir gut“, lässt Zschäpe | |
| im Prozess ihren Anwalt verlesen. „Weil ich selbst keine eigenen Kinder | |
| bekommen kann.“ | |
| ## Eminger rettet das Trio | |
| Für das Trio war der Alltag mit den Emingers eine willkommene Tarnung. | |
| Mehrmals gab sich Zschäpe auch direkt als Susann Eminger aus, verwendete | |
| deren Dokumente. Und das Trio revanchierte sich für die Treue: Einmal | |
| schenkten sie den Emingers eine Musikanlage für 285 Euro, einmal eine Reise | |
| ins Disneyland Paris für 916 Euro. Als „einzigen sozialen Fixpunkt“ für d… | |
| Untergetauchten bezeichnet die Bundesanwaltschaft die Emingers. Gegen | |
| Susann Eminger ermittelt sie bis heute wegen möglicher Terrorunterstützung. | |
| André Eminger leistete seine wohl wichtigste Hilfe im Januar 2007: Er | |
| rettet das Trio vorm Auffliegen. Ein Polizist steht bei der damaligen | |
| Wohnung von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Zwickau vor der | |
| Tür. Es geht um den Verdacht eines Diebstahls im Haus, Zschäpe öffnet und | |
| stellt sich als „Susann Eminger“ vor. Zur Anhörung später auf dem | |
| Polizeirevier begleitet sie André Eminger. Beide gaben sich als Ehepaar | |
| aus, im Haus seien sie nur zu Besuch gewesen. Der Beamte schöpft keinen | |
| Verdacht. Und das Trio kann fünf weitere Jahre im Untergrund leben. Näher | |
| wird die Polizei den Terroristen nicht mehr kommen. | |
| Es war nach dieser Episode, als Zschäpe André Eminger über die | |
| Raubüberfälle des Trios eingeweiht haben will. „Von den Tötungsdelikten und | |
| Bombenanschlägen erfuhr er jedoch nichts“, teilte sie im Prozess mit. Es | |
| ist diese Frage, die das Gericht nun zu klären hat. Kann das stimmen, dass | |
| André Eminger fast 13 Jahre das Trio im Untergrund begleitete, aber von | |
| dessen Morden und Anschlägen keine Ahnung hatte? | |
| ## An der Wand ein Bild der Uwes | |
| Die Bundesanwaltschaft meldete früh Zweifel an. Eminger habe von der | |
| Jenaer Bombenwerkstatt des Trios und dessen „immenser“ Gewaltbereitschaft | |
| gewusst, heißt es in ihrer Anklage. Auch kannte er die rassistische | |
| Einstellung der drei. Insofern müsse ihm klar gewesen sein, dass diese | |
| ihre Ideologie „auch mit Todesopfern“ durchsetzen könnten. Mehr noch | |
| befürworte er auch selbst die Tötung von Menschen, wie sein „Die Jew | |
| Die“-Tattoo zeige. | |
| Beweise aber, dass Eminger tatsächlich von den NSU-Mordtaten wusste, | |
| ergaben sich in den viereinhalb Jahren Prozess nicht. Auch den anfänglichen | |
| Vorwurf, Eminger habe am NSU-Bekennervideo mitgewirkt, konnten die | |
| Ermittler nicht untermauern. Die Anmietungen der Wohnungen für das | |
| Terrortrio sind verjährt. Zudem ist Eminger nicht vorbestraft. | |
| Zwar gibt es das Urteil wegen der Prügelattacke in Zwickau. Eminger aber | |
| ging in Berufung, die Verurteilung ist nicht rechtskräftig.Wenn im | |
| Münchner NSU-Prozess also das Urteil fällt, könnte Eminger, auch dank | |
| seiner Schweigestrategie, mit einer überschaubaren Strafe davonkommen. | |
| Prozessbeteiligte halten sechs bis sieben Jahre Haft für möglich. | |
| ## Die unbekannten Helfer | |
| Die Opferfamilien sind besorgt. „Sollte Eminger ein mildes Urteil erhalten, | |
| wäre das bitter“, sagt Nebenklageanwalt Yavuz Narin. „Die Helferszene des | |
| NSU dürfte sich dann noch bestärkt fühlen.“ | |
| Schon jetzt ist klar: Viele Fragen zum NSU-Terror werden auch nach dem | |
| Urteil offenbleiben. Wie wählten die Terroristen ihre Opfer aus? Woher | |
| bekam das Trio all seine Waffen und den Sprengstoff? Einige Helfer, die den | |
| Untergetauchten dabei über Jahre helfend zur Seite standen, dürften bis | |
| heute herumlaufen. Auch weil Begleiter wie André Eminger schweigen. „Wenn | |
| jemand noch mehr über den NSU-Terror weiß, vielleicht alles, dann ist es | |
| das Ehepaar Eminger“, sagt der CDU-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss, | |
| Armin Schuster. Dass es bislang nicht bekannte NSU-Helfer gibt, davon ist | |
| der Ausschuss überzeugt. | |
| Dass André Eminger dabei hilft, sie zu finden, ist nicht zu erwarten. | |
| Im April 2013 durchsuchten Polizeibeamte Emingers Wohnung in Zwickau. Im | |
| Wohnzimmer, über dem Fernseher, entdeckten sie eine Kohlezeichnung, dunkel | |
| gerahmt: die Gesichter von Mundlos und Böhnhardt, dazu eine Rune und ein | |
| Schriftzug in Sütterlin. „Unvergessen.“ Als die Beamten das Bild mitnehmen | |
| wollen, weigert sich André Eminger. An einen „heftigen Ausbruch“ erinnerte | |
| sich eine Polizistin, die in Zwickau dabei war. Das Bild blieb an der Wand | |
| hängen. | |
| 24 Jul 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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