| # taz.de -- Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess: „Die Täter sitzen hier“ | |
| > Die Bundesanwaltschaft lässt in ihren Plädoyers keinen Zweifel: Beate | |
| > Zschäpe und die vier Mitangeklagten sind verantwortlich für den | |
| > NSU-Terror. | |
| Bild: Beate Zschäpe kann die Schuld nach Ansicht der Bundesanwaltschaft nicht … | |
| München taz | Es ist 12.03 Uhr, als Herbert Diemer an das Stehpult im Saal | |
| A101 des Münchner Oberlandesgerichts tritt. Dieser Prozess habe die | |
| „heftigsten und infamsten Terroranschläge in Deutschland seit den | |
| Mordanschlägen der RAF“ verhandelt, sagt der Bundesanwalt. Das Motiv des | |
| NSU sei „der Wahn von einem ausländerfreien Land“ gewesen, und das Ziel, | |
| „einem widerwärtigen Nazi-Regime den Boden zu bereiten“. Zehn Menschen | |
| seien dafür „willkürlich“ erschossen worden, nur wegen ihrer Herkunft. | |
| Möglichst viele weitere sollten bei zwei Bombenanschlägen sterben. Und, so | |
| schließt Diemer: „Die Täter sitzen hier auf unseren Bänken.“ | |
| Es sind starke Worte, die der Bundesanwalt am Dienstag formuliert. Und sie | |
| markieren einen Meilenstein. Mit ihnen beginnen die Plädoyers im | |
| NSU-Prozess. Nach 375 Verhandlungstagen, 815 befragten Zeugen. Nach mehr | |
| als vier Jahren Prozess. | |
| Die Täter, die Diemer benennt, sitzen ihm gegenüber. Es sind: Beate | |
| Zschäpe, die Hauptangeklagte. Ralf Wohlleben, der die Ceska-Mordwaffe | |
| besorgt haben soll. Carsten S., der sie dem Trio wohl überbrachte. André | |
| Eminger, der den Untergetauchten von Anfang bis Ende zur Seite stand und | |
| ihnen Wohnmobile anmietete. Und Holger G., der ihnen Dokumente beschaffte. | |
| Und Diemer lässt keinen Zweifel daran, dass er sie für überführt hält. „… | |
| Anklage wurde in allen wesentlichen Punkten bestätigt.“ | |
| Diemer, einer der erfahrensten Bundesanwälte, seit 25 Jahren in Karlsruhe, | |
| und seine zwei Kollegen – Anette Greger und Jochen Weingarten – hatten mit | |
| ihrer Anklage hoch gepokert. Zschäpe warfen sie alle NSU-Morde voll vor, | |
| obwohl sie an keinem Tatort gesehen wurde. Zuvor musste die | |
| Bundesanwaltschaft auch ihr Scheitern im Fall NSU einräumen. Jahrelang | |
| vermochte auch sie keinen Terror hinter den bundesweiten Morden erkennen, | |
| sah sich für die Mordserie nicht zuständig. „Unseren 11. September“, nann… | |
| der einstige Generalbundesanwalt Harald Range einmal den NSU. Die Anklage | |
| in München, 488 Seiten stark, sie sollte ein umso deutlicheres Zeichen | |
| setzen. | |
| ## Der schlechtestmögliche Abschluss für Zschäpe | |
| Diemer knüpft sich nun gleich zu Anfang Beate Zschäpe vor. Als | |
| gleichwertige Täterin habe sie alle zehn NSU-Morde mitbegangen, sagt er. | |
| Morde an neun Gewerbetreibenden – Enver Simsik, Abdurrahim Özüdoğru, | |
| Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros | |
| Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat – und der Polizistin Michèle | |
| Kiesewetter. Sie, Zschäpe, habe auch die zwei Bombenanschläge in Köln | |
| mitverübt, auf einen von Deutschiranern betriebenen Lebensmittelladen und | |
| später mit einer Nagelbombe in der Keupstraße. Sie habe die 15 | |
| Raubüberfälle mitzuverantworten. Weil sie, so Diemer, gleichberechtiger | |
| Teil des Trios war. | |
| Und als sich am 4. November 2011 Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem | |
| gescheiterten Banküberfall erschossen, habe Zschäpe den letzten | |
| Unterschlupf in der Zwickauer Frühlingsstraße in Brand gesetzt, ungeachtet | |
| der Menschen im Haus. Zuletzt noch verbreitete sie die Bekenner-DVD des | |
| NSU. Ein „zynisches“ Werk, so Diemer, in dem „die Opfer entehrt und | |
| verhöhnt“ wurden. | |
| Zschäpe hält ihren Blick fest auf Diemer, eine Regung lässt sie anfangs | |
| nicht erkennen. Nur ab und an schreibt sie Notizen auf einen Zettel. Später | |
| schüttelt sie leicht den Kopf. Diemers Ausführungen, sie sind für Zschäpe | |
| der schlechtestmögliche Abschluss nach vier Jahren Beweisaufnahme. Ein | |
| Strafmaß fordert Diemer an diesem Tag nicht, noch nicht. Das folgt erst am | |
| Ende des Plädoyers, das Diemer mit einer Länge von 22 Stunden angab. Schon | |
| jetzt ist aber klar: Es kann seitens der Bundesanwaltschaft nur die | |
| Höchststrafe bedeuten. Lebenslänglich, womöglich mit besonderer Schwere der | |
| Schuld. | |
| Zschäpes Rettungsversuch – das Brechen ihres jahrelangen Schweigens im | |
| Dezember 2015 – räumt wiederum Diemers Kollegin Anette Greger ab. Zschäpe | |
| hatte in einer schriftlichen Einlassung jede Beteiligung an den Taten | |
| zurückgewiesen. Diese seien allein von Mundlos und Böhnhardt begangen | |
| worden. Sie habe die Taten verurteilt, konnte sich aus Abhängigkeit aber | |
| nicht aus dem Trio lösen. Was Zschäpe dabei bestätigte: Dass alle Taten | |
| genau so, wie in der Anklage geschildert, stattfanden. Diemer und seine | |
| Kollegen gingen schon damals zufrieden aus dem Gericht. | |
| ## Zschäpe war es, die für bewaffneten Kampf warb | |
| Nun tut Greger die Einlassung ab: Zschäpes Version könne nicht stimmen. Es | |
| sei „nicht sehr glaubhaft“, dass Mundlos und Böhnhardt die Angeklagte bei | |
| sich geduldet hätten, wenn sich diese so sehr gegen die Taten verwehrt | |
| hätte, schon wegen des „enormen Entdeckungsrisikos“. Auch zeigten Fotos, | |
| wie Zschäpe nach den Taten „bestens gelaunt“ mit Mundlos und Böhnhardt in | |
| den Urlaub fuhr. Und vor dem Untertauchen war sie es, die für einen | |
| bewaffneten Kampf warb, sich selbst an Straftaten beteiligte und eine | |
| Luftdruckwaffe trug. Wann und weshalb sie von dieser Haltung abgerückt sein | |
| soll, diese Antwort sei Zschäpe im Prozess schuldig geblieben, sagt Greger. | |
| Die Oberstaatsanwältin ist überzeugt: „Die Taten hätten ohne sie nicht | |
| stattfinden können.“ Zschäpe täuschte Nachbarn einen normalen Alltag des | |
| Trios vor, führte die Finanzen. „Sie tarnte das System NSU ab.“ Am Ende | |
| hätten „zwei erfolglose Narzissten“ und die „Tochter zweier Zahnärzte�… | |
| Land mit Terror überzogen, sagt Greger. Dass Zschäpe den Opferangehörigen | |
| dazu bis heute Antworten verweigere, sei eine vertane historische Chance. | |
| Nach einer Stunde Vortrag protestiert Ralf Wohllebens Anwalt Wolfram | |
| Nahrath. Sein Mandant könne sich nicht mehr konzentrieren. Wohlleben habe | |
| das Mitschreiben abbrechen müssen, sich auch in einer Pause nicht erholen | |
| können, weil es in seiner Zelle stickig und laut sei. | |
| „Schlachthausatmosphäre“, versteigt sich Nahrath. Richter Manfred Götzl | |
| ruft einen Gerichtsarzt herbei. Danach kann es weitergehen, jetzt mit mehr | |
| Pausen. | |
| Es ist ein aufgewärmter Streit. Noch am Vormittag drohte er die Plädoyers | |
| nochmals zu verzögern. Da hatte Götzl erneut abgelehnt, die Schlussworte | |
| auf Tonband aufzuzeichnen. Alle Verteidiger hatten dies gefordert. Für die | |
| Angeklagten, teils durch die U-Haft in ihrer Konzentrationsfähigkeit | |
| eingeschränkt, sei der lange Vortrag sonst kaum zu erfassen, so die | |
| Angeklagten. Götzl weist zurück auf die Verteidiger: Diese verfolgten für | |
| ihre Mandanten den Vortrag ja mit. Die Anwälte geben sich darauf | |
| geschlagen. Und Götzl bittet Diemer zum Plädoyer. So überraschend, dass der | |
| Bundesanwalt erstmal seine Notizen holen muss. | |
| ## Opferanwälte über Kritik | |
| Kritik muss die Bundesanwaltschaft derweil von den Opferanwälten | |
| einstecken. Als „Einzelphänomen“ stellten die Ankläger den NSU dar, als | |
| „begrenzte, kleine Gruppe“, kritisiert Sebastian Scharmer, Anwalt der | |
| Tochter des in Dortmund erschossenen Mehmet Kubasik. Weitere Tatbeteiligte | |
| würden nicht ermittelt, staatliche Mitverantwortung aus dem Verfahren | |
| herausgehalten. „Gamze Kubasik empfindet das als weiteren schweren Schlag. | |
| Das Aufklärungsversprechen ist gebrochen.“ | |
| Diemer ahnte diese Kritik. Gleich zu Beginn seines Plädoyers verwahrt er | |
| sich dagegen. Das Offenlegen von Helfern, das Aufklären möglicher | |
| staatlicher Fehler – das habe im Prozess nichts zu suchen, sagt er. „Das | |
| ist Aufgabe weiterer Ermittlungen. Diese klaren Strukturen müssen in einem | |
| Rechtsstaat eingehalten werden.“ | |
| Diemer geißelt auch die Spekulationen um weitere NSU-Mittäter, etwa im Fall | |
| der erschossenen Michèle Kiesewetter. Auch dass die Polizistin mehr als ein | |
| Zufallsopfer war, sei „haltlose Spekulation“, sagt Diemer. „Das sind | |
| Irrlichte, sind Fliegengesumme.“ Kiesewetter sei gestorben, weil sie | |
| Repräsentantin der verhassten Polizei war. Und: „Die Täter waren Uwe | |
| Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Sie waren es, die all dieses | |
| Unheil angerichtet haben, unterstützt von den vier hier Mitangeklagten.“ | |
| Für Diemer ist klar: Der Prozess, auch wenn er „das politische und mediale | |
| Interesse nicht immer befriedigen konnte“, sei er, in all seiner | |
| Gründlichkeit, seiner historischen Rolle gerecht geworden. Historisch wird | |
| nun auch das Plädoyer. Noch mehrere Tage wird es dauern, dann folgt die | |
| Sommerpause im Prozess. Im September könnten dann die Schlussworte der | |
| Nebenklageanwälte beginnen, darauf die der Verteidiger. Bis zum Urteil ist | |
| es noch ein weiter Weg. Dann erst werden Diemer, Greger und Weingarten | |
| wissen, ob sie recht behalten mit ihrer Anklage. Und Beate Zschäpe und die | |
| vier Mitangeklagten auch. | |
| 25 Jul 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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