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# taz.de -- NSU-Terror und Rechtsextremismus: Eine Abschreckung bleibt aus
> Vor sieben Jahren enttarnte sich der NSU. Die Haupttäter des rechten
> Terrors sind verurteilt – und nun teils zurück in der rechtsextremen
> Szene.
Bild: Wohlleben kam kurz nach dem NSU-Urteil frei und gilt als Held der rechten…
André Eminger kommt ganz in Schwarz gekleidet ins kleine Kirchheim in
Thüringen. Konspirativ haben Neonazis dort in einer Scheune zu einem
Konzert geladen: Zwei Thüringer „Kameraden“ müssen in den Knast, es wird
Abschied gefeiert. Auf der Bühne stehen knallharte Rechtsrockbands, der
Undercover-Journalist Thomas Kuban filmt es. „Blut muss fließen,
knüppelhageldick“, hört man einen Sänger auf seinen Aufnahmen brüllen.
„Lasst die Messer flutschen in den Judenleib.“ Die Menge grölt. Und Eminger
ist mittendrin.
Bereits Mitte August fand das Konzert in Kirchheim statt. Eminger selbst
war da noch nicht lange wieder auf freiem Fuß. Erst gut drei Wochen zuvor
war er vor dem Münchner Oberlandesgericht verurteilt worden, im Prozess
über den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU): zu zweieinhalb Jahren
Haft. Es war die geringste Strafe aller fünf Angeklagter. Eminger wurde
darauf noch im Gerichtssaal aus der Untersuchungshaft entlassen – [1][unter
dem Applaus angereister Neonazis].
Es war das Ende eines historischen, [2][fünf Jahre währenden Prozesses] –
und eines Teils der Aufarbeitung der Terrorserie des NSU. Vor sieben
Jahren, am 4. November 2011, enttarnte sich die Gruppe: Nach einem
gescheiterten Bankraub in Eisenach erschossen sich Uwe Mundlos und Uwe
Böhnhardt. Beate Zschäpe zündete den Unterschlupf in Zwickau an, floh und
stellte sich wenig später der Polizei. Zuvor hatte das Trio zehn Menschen
erschossen, davon neun Migranten. Dazu kamen drei Anschläge und 15
Raubüberfälle.
André Eminger wurde dabei [3][zum letzten Terrorhelfer]: Er brachte Zschäpe
noch auf der Flucht Wechselwäsche, fuhr sie zum Bahnhof. Die
Bundesanwaltschaft bezeichnete ihn als womöglich vierten Mann des NSU.
Schon im Prozess gab sich Eminger unbeeindruckt. Der 39-jährige Zwickauer
schwieg, als einziger, über die komplette Verhandlung. Und er trug seine
Gesinnung offen zur Schau. Einen „Nationalsozialisten mit Haut und Haaren“,
nannten ihn seine Anwälte. Auf den Bauch hat Eminger „Die Jew Die“
tätowiert. Heute nun, nach dem NSU-Urteil, bewegt sich André Eminger wieder
offen in der Szene. Und feiert auf einem Konzert mit unverhohlenen
Gewaltaufrufen. Der NSU-Prozess und die Aufarbeitung der Rechtsterrorserie
stehen damit vor einem ernüchternden Fazit: Einstige Terrorhelfer und die
rechtsextreme Szene machen unbeeindruckt weiter. Der Terror des NSU ließ
sie nicht innehalten. Im Gegenteil.
## Zurück in der rechten Szene
Denn André Eminger ist nicht der einzige. Auch Ralf Wohlleben,
Mitangeklagter im NSU-Prozess, ein früherer Thüringer NPD-Funktionär, gab
sich in München ungebrochen. Der 43-Jährige sei „seinen Idealen und
politischen Überzeugungen treu geblieben und wird dies auch in Zukunft
bleiben“, bekräftigen dessen Verteidiger im Prozess, allesamt
Szene-Anwälte. Sie provozierten mit Anträgen, die ausgerechnet im
NSU-Prozess einen deutschen „Volkstod“ klären sollten oder den Tod des
Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß. Wohlleben wurde schließlich zu zehn
Jahren Haft verurteilt, weil er dem NSU die zentrale Mordwaffe organisiert
habe.
[4][Nun ist auch Wohlleben zurück in der Szene.] Nach dem Prozessende wurde
auch er vorerst aus der Haft entlassen – bis das Urteil rechtskräftig ist.
Durch die lange Untersuchungshaft sei ein Großteil seiner Strafe bereits
abgesessen, eine Fluchtgefahr unwahrscheinlich, so die Richter. Wohlleben
zog darauf nach Bornitz in Sachsen-Anhalt, ein kleines Dorf nahe der
sächsischen Grenze – auf ein Gehöft von Jens Bauer. Und der ist kein
Unbekannter.
Vor Jahren schon war Bauer in der NPD aktiv, der Verfassungsschutz nennt
ihn eine „langjährige Führungsperson der neonazistischen Szene“. Seit 2015
führt er in Sachsen-Anhalt die „Artgemeinschaft“. Die völkische Truppe
sieht sich als „heidnische Germanen“, begeht Sonnenwendfeiern. Ihr Ziel ist
eine „Zukunft im Kreise unserer Art“. Geklagt wird über „Fremde“, Bauer
nennt Geflüchtete „Invasoren“. Vor ihm hatte die Gruppe einst die NPD-Ikone
Jürgen Rieger geführt.
Beate Zschäpe besuchte noch vor dem Untertauchen eine Tagung der
„Artgemeinschaft“, auch André Eminger soll dies Jahre später getan haben.
Und als der NSU 2002 Spendenbriefe an die rechtsextreme Szene verschickte,
erreichte einer ebenfalls: die „Artgemeinschaft“.
## Keine Zurückhaltung im Prozess
Anführer Bauer reiste wiederholt zum NSU-Prozess an, grüßte von der Empore
die Angeklagten. Nun ist er Gastgeber für Ralf Wohlleben und dessen
Familie. Der Verurteilte selbst gebe sich seit der Haftentlassung politisch
unauffällig, heißt es von regionalen Beobachtern. Das aber ist – mit dieser
Wohnortwahl – wohl eher strategisch zu sehen. Gastgeber Bauer jedenfalls
ist weiter aktiv: Er war zuletzt in Köthen, als sich dort nach dem Tod
eines 22-Jährigen Hunderte Rechte zu einer Demonstration versammelten.
André Eminger hatte schon während des NSU-Prozesses jede Zurückhaltung
abgelegt. Nach einem Verhandlungstag ging er abends mit dem Münchner
Pegida-Ableger auf die Straße. Ein Zeuge berichtete, ihn auch auf einem
sächsischen Antiasylmarsch gesehen zu haben. Später besuchte Eminger auch
ein Rechtsrockgroßkonzert im Thüringer Themar.
In der Szene liefen da längst Soli-Aktionen für die NSU-Angeklagten.
„Freiheit für Wolle und André“, lautete der Slogan. T-Shirts wurden
verkauft, auf Konzerten Spenden gesammelt. Den Münchner Prozess geißelte
die Szene als „Schauprozess“. Als schließlich Wohllebens Haft aufgehoben
wurde, gratulierte die rechtsextreme „Gefangenenhilfe“: Jahrelang habe man
„mitgelitten“, nun wünsche man „von ganzem Herzen alles Gute“.
Sebastian Scharmer, Anwalt der Tochter des Dortmunder NSU-Opfers Mehmet
Kubaşık, nennt es „erschreckend“, dass Eminger und Wohlleben „nach dem
Urteil in der rechten Szene weitermachen können und dort gefeiert werden“.
„Das ist ein verheerendes Signal und ein Schlag ins Gesicht für Gamze
Kubaşık.“ Für Mehmet Daimagüler, Anwalt der Familien der Nürnberger
NSU-Opfer İsmail Yaşar und Abdurrahim Özüdoğru, sind dafür nicht nur die
„milden“ Urteile im NSU-Prozess verantwortlich, vor allem das für Eminger.
Die Szene werde auch durch ausbleibende Anklagen gegen weitere NSU-Helfer
ermutigt. „Der Eindruck, der bleibt ist: Dieser Staat ist zahnlos.“
## Noch laufen Ermittlungen
Tatsächlich ermittelt die Bundesanwaltschaft noch gegen neun NSU-Helfer,
darunter die Frau von André Eminger. Die Verdächtigen sollen Wohnungen für
das Trio besorgt, ihnen Pässe überlassen oder Waffen beschafft haben. „Die
Ermittlungen laufen weiterhin“, sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft
der taz. Jedem neuen Hinweis werde nachgegangen.
Opferanwalt Scharmer zieht das in Zweifel: „Seit sieben Jahren dümpeln
diese Ermittlungen vor sich hin. Hier sind Anklagen überfällig.“ Nach
taz-Informationen setzt die Bundesanwaltschaft dagegen auf das schriftliche
Urteil aus dem NSU-Prozess, um dort noch Ansatzpunkte für Anklagen zu
finden. Das indes wird dauern: Die Richter haben dafür Zeit bis April 2020.
Dann könnten einige Straftaten der Helfer bereits verjährt sein.
Eine Abschreckung der rechtsextremen Szene fällt damit auch hier aus.
Bereits jetzt zählt das Bundeskriminalamt fast 360 Straftaten mit NSU-Bezug
seit Aufdeckung des Terrortrios 2011: Gedenkorte für die Opfer wurden
geschändet, Graffiti gesprüht, die Taten auf Aufmärschen gepriesen. Als die
Bundesanwaltschaft kürzlich in Sachsen das rechtsterroristische „Revolution
Chemnitz“ hochnahm, stießen sie auf einen internen Chat, in dem es hieß,
der NSU sei eine „Kindergartenvorschulgruppe“ gegen die Chemnitz Truppe.
Oder Bamberg: Dort stehen momentan drei Männer und eine Frau wegen eines
mutmaßlichen Anschlagsplans vor Gericht, als Mitglieder der inzwischen
verbotenen „Weißen Wölfe Terrorcrew“. Auch in dieser Gruppe hieß es mal:
„Ein Adolf muss wieder geboren werden oder ein neuer NSU.“
Auch die verurteilten NSU-Helfer werden wieder für den Kampf vereinnahmt.
Ein rechter Szenebarde widmete Ralf Wohlleben kürzlich ein eigenes Lied.
„Nun bist du zurück, bist wieder hier“, heißt es dort. „Nun auf in die
Schlacht, es ist noch nicht vorbei.“
3 Nov 2018
## LINKS
[1] /Urteil-im-NSU-Prozess-fuer-Andre-Eminger/!5517433
[2] /Aufarbeitung-des-NSU-Komplexes/!5517364
[3] /Andre-Eminger-im-NSU-Prozess/!5432565
[4] /NSU-Helfer-Ralf-Wohlleben-ist-wieder-frei/!5522665
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Ralf Wohlleben
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NSU-Prozess
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