# taz.de -- Musiker Arash Safaian über den 2. Juni: „Eine Klangmischung, die… | |
> Das Musiktheater „Der Schuss“ erzählt vom Tod Benno Ohnesorgs – mit Ch… | |
> und Gong. Ein Interview mit dem Komponisten Arash Safaian. | |
Bild: Bild aus „Der Schuss“. Am 2. Juni wird das Stück an der Neuköllner … | |
taz: Herr Safaian, als am [1][2. Juni 1967 in Berlin der Schuss auf Benno | |
Ohnesorg fiel], war das eigentlich Lärm oder Musik? | |
Arash Safaian: Was ist schon Lärm? Das war ein Abend voller Klänge. Das war | |
eine Klangmischung, die eigentlich nicht geht. | |
Wieso? | |
Es ist diese klangliche Separierung: In der Deutschen Oper in Berlin tönte | |
auf Wunsch des persischen Schahs Mozarts Zauberflöte und draußen vor der | |
Tür der verrufene Klang der Verachteten. Der Schuss, die Schlagstöcke, die | |
Jubelperser. [2][Das Chaotische] kontrastiert sich ja. | |
Sie bringen zum 50. Todestag von Benno Ohnesorg [3][ein Musiktheaterstück | |
zu jener Nacht] auf die Bühne. Diese Nacht ist dermaßen ausgeleuchtet, was | |
gibt es da noch neu zu zeigen? | |
Ohnesorg selbst ist sicher kein einfaches Thema und ein schlechter | |
Protagonist. Er wurde ja erst durch seinen Tod zur bekannten Figur. Aber es | |
ist natürlich reizvoll, den 2. Juni, dieses komplexe, schwierige und | |
gewichtige Thema, musikalisch zu fassen. Musik ist ja im Grunde immer das | |
Inordnungbringen von Ideen. Wie kann ich etwas zum Ausdruck bringen, das in | |
Chaos und Gewalt geendet ist? | |
Was erzählen Sie denn nun für eine Geschichte über ihn? | |
Keine. Unsere Frage ist, was für Räume wir öffnen können, welche Fragen | |
sich uns heute aufwerfen. | |
Und zwar? | |
Ich habe 1967 nicht erlebt. Ich bin 1981 in Teheran geboren. Als ich vier | |
Jahre alt war, sind meine Eltern vor dem damaligen Herrscher Chomeini nach | |
Deutschland geflohen. Mein Vater war ein bekannter Künstler der persischen | |
Moderne. Er hat die Schahzeit erlebt und die iranische Revolution. Die | |
Zustände im damaligen Iran haben es ihm damals verwehrt, dort weiter | |
künstlerisch zu existieren. Das hat sehr viel mit dem zu tun, was am 2. | |
Juni 1967 in Berlin passiert ist. Dass sich damals in Deutschland Menschen | |
mit der Situation der Studenten, Kulturschaffenden, der Opposition in | |
Persien solidarisiert haben, war sicher für meinen Vater und seine Freunde | |
ein ganz wichtiger Moment. | |
Was heißt das für Ihr Stück? | |
Mein Vater hatte einen engen Freund, Gholam-Hossein Sa’edi, einer der | |
großen persischen Schriftsteller. Sa’edi erzählte ihm mal, dass seine | |
Folterer Sa’edi ihm während seiner Gefangenschaft unter dem Schah einen | |
Bären in die Zelle brachten, den sie neben ihm anketteten. In unserem Stück | |
führt Sa’edi ein surreales Gespräch mit der schwangeren Christa Ohnesorg, | |
die am 2. Juni 1967 vergeblich darauf wartet, dass ihr Benno zurückkommt, | |
dieser einfache Student. Die Frage, die wir uns stellen, lautet: Welche | |
Verantwortung haben wir gegenüber Menschen, die in repressiven Regimen | |
eingesperrt sind? Welche Verantwortung haben wir für die Zukunft unserer | |
Kinder? Genau dazu müssen wir uns ja heute dauernd positionieren. | |
Was ist die Antwort Ihres Stückes? | |
Keine natürlich. Christa ist eine Figur, die zwischen diesen Positionen | |
steht und selbst schauen muss, wie sie zurecht kommt und welche Haltung und | |
Vision sie für sich selbst und ihr Kind finden muss. Ist es richtig, dass | |
ihr Mann zu einer Demo geht für die Sache von Menschen, die tausende | |
Kilometer weit weg sind und dass dies zu all dem führt wohin es ja nun mal | |
geführt hat? | |
Können Sie selbst das für sich beantworten: Was sie riskieren würden? | |
Ich möchte die Menschen zart halten und sensibel. Sensible Menschen werden | |
nicht zu radikalen Menschen, glaube ich. | |
Sie haben das Stück nicht geschrieben, sondern die Musik dazu komponiert. | |
Was macht sie aus? | |
Mein Leitgedanke war, eine klangliche Metamorphose zu erarbeiten, von einem | |
Zustand wie der Nächstenliebe und der Spiritualität im Kontrast zur Gewalt. | |
Das hört sich esoterisch an. | |
Finde ich nicht. Natürlich besteht bei einem solchen Thema immer die | |
Gefahr, dass man alle Klischees dieser Zeit in ein Potpourri packt, mit | |
Mamas und Papas und California Dreaming und indischer Musik und Zauberflöte | |
und am besten noch Jimi Hendrix. Aber es ist doch gerade eine | |
Errungenschaft, dass ich als Komponist heute keinen Widerstand mehr fühle, | |
alle Elemente frei zu mischen. Das ist für mich ein tolles klangliches Bild | |
für die Zukunft. Es geht um Transzendierung in einem ganz realistischen | |
Sinn. | |
Kein Mozartzitat? | |
Es gibt im Stück ein einziges Mozartzitat aus der Zauberflöte, das dauert | |
ungefähr eine Sekunde. Das ist das einzige Zitat, das drin ist, ansonsten | |
ist da nichts drin. | |
Und was sind also Ihre Töne für diesen Abend? | |
Meine Musik ist das Ergebnis der Musikgeschichte von früher bis heute. Sie | |
ist die Folge mir vorangegangener Musik, sowohl die Mozarts als auch die | |
von Komponisten wie Pierre Boulez und John Adams, aber auch den Klängen | |
fernöstlicher Gamelan-Ensembles. Das Musikensemble spielt mit E-Gitarre und | |
Drumset, klar, aber auch Harfen, Klarinette, Flöte. Wir haben Mandoline und | |
eine große vietnamesische Gong-Palette. Sowieso: Ich glaube, in unserer | |
heutigen Musik braucht es mehr Gongs. | |
23 May 2017 | |
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## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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