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# taz.de -- Yanis Varoufakis über Europas Zukunft: „Wir fangen gerade erst a…
> Griechenlands früherer Finanzminister hat viel vor: Aus seiner Bewegung
> Diem25 soll eine Partei werden, die der Linkspartei Konkurrenz machen
> könnte.
Bild: Reden über Europa: Yanis Varoufakis hat da eine Idee
taz.am wochenende: Herr Varoufakis, Sie haben die Französinnen und
Franzosen dazu aufgerufen, in der Stichwahl Emmanuel Macron zu wählen. Kann
Macron ein Gegengewicht zu Merkel und Schäuble in Europa sein?
Yanis Varoufakis: 2002 haben wir Linke Jaques Chirac gegen Jean-Marie Le
Pen unterstützt. Emmanuel, den ich persönlich sehr gut kenne, ist unendlich
viel besser als Chirac – und Marine Le Pen steht ihrem Vater in nichts
nach. Deshalb habe ich Macron natürlich unterstützt. Was die Frage nach dem
Gegengewicht betrifft: Das sollte er nicht nur gegenüber Merkel und
Schäuble, sondern auch gegenüber Martin Schulz sein. In Bezug auf die
Eurozone steht die gesamte politische Elite Deutschlands meinen und Macrons
Positionen konträr gegenüber.
Wo liegen die Unterschiede?
Erstens versteht Macron Makroökonomie – und Schäuble nicht. Schäuble will
nicht makroökonomisch denken. Er will, dass die Regeln befolgt werden. Der
zweite Unterschied betrifft die Fokussierung der deutschen Politik auf den
Wettbewerb. Wann immer ein deutscher Minister oder eine deutsche Ministerin
spricht, ist die Wettbewerbsfähigkeit ein wichtiger Teil der Erzählung.
Macron verurteilt diese Fixierung, weil sie die europäische Einheit
gefährdet. Statt auf Wettbewerb sollten wir uns auf Produktivität
konzentrieren. Wir können alle zusammen produktiver werden – aber wir
können nicht alle in Konkurrenz zueinander stehen.
Macron ist also kein Neoliberaler?
Doch, aber auf eine skandinavische Art und Weise. Er will – und ich finde
das falsch – den Schutz der Arbeiter einschränken und den Einfluss der
Gewerkschaften reduzieren. Im Gegenzug verspricht er, die soziale
Sicherheit zu erhöhen. Diese Spielart des Neoliberalismus kann aber nur
dann einigermaßen funktionieren, wenn die Investitionen steigen. Dass
Macron den Arbeitsmarkt inmitten einer deflationären Krise deregulieren
will, ist komplett verrückter Neoliberalismus. Mit seiner Absicht, die
Reichensteuer zu senken, liegt er genauso falsch. Deshalb habe ich ihm ein
paar Tage vor der französischen Stichwahl gesagt: Wir geben alles, um dich
jetzt zu unterstützen. Und mit dem gleichen Elan werden wir gegen dich
protestieren, wenn du mit deinem bereits gescheiterten Neoliberalismus
weitermachst.
Was heißt das für Europa? Geht alles weiter wie bisher?
Natürlich, weil die Eurogruppe einfach kontinuierlich die Realität
ignoriert – egal ob es die griechische oder die europäische Krise betrifft.
Die Zeit seit 2008 wird als spektakuläres Versagen im Management einer
makroökonomischen Krise in die Geschichte eingehen. Jedes Mal, wenn die
Eurogruppe mit einer Maßnahme um die Ecke kommt, macht sie einen Fehler –
entweder die Maßnahme greift zu kurz oder sie kommt zu spät. Die
Verantwortlichen treffen keine einzige Entscheidung, wenn sie sie auf
morgen verschieben können. Aber die Krise gärt weiter.
Mit Ihrer Bewegung Diem25 wollen Sie Europa demokratisieren. Wie weit sind
Sie gekommen?
Wir fangen gerade erst an. Seit knapp eineinhalb Jahren rufen wir die
demokratischen Kräfte in Europa auf, dieser Kombination aus autoritärem und
inkompetentem Establishment auf der einen Seite und den zersetzenden
Kräften der Nationalisten auf der anderen etwas entgegenzustellen. Diese
beiden Kräfte sind Europas größte Bedrohung. Nur eine transnationale,
paneuropäische Graswurzelbewegung kann etwas ändern.
Nun soll aus Diem25 aber eine europäische Partei werden. Ist das kein
Widerspruch?
Nein, das ist eine Evolution. Zuerst haben wir uns gefragt: Was wollen wir?
Das haben wir dann in unserem Europäischen New Deal beschrieben, der sich
mit der Krise der Eurozone, Arbeitslosigkeit, Migration und Armut
beschäftigt. Und jetzt sagen wir: Okay, wir sind von dieser europäischen
Agenda überzeugt – aber wenn wir sie nur zur Diskussion stellen, sind wir
ein bloßer Thinktank. Niemand würde unsere Ideen beachten, Politiker
kümmert so was nicht. Denen ist wichtig, an der Macht zu bleiben. Der
einzige Weg, dass unser Europäischer New Deal gehört wird, ist, ihn zur
Wahl zu stellen.
Sie werden also zu den Europawahlen antreten?
Ja, wir werden die europäischen Wählerinnen und Wähler 2019 entweder über
Partnerorganisationen oder auf eigene Faust ansprechen.
Wie genau soll das passieren?
Das wissen wir noch nicht. Wir sind eine demokratische Bewegung. Wir haben
viel dafür getan, um diese Entscheidung überhaupt zu treffen und zu sagen:
Wir verwenden unserer Energie ab sofort darauf, Europas erste
transnationale politische Partei ins Leben zu rufen, mit politischen
Partnern, die uns helfen oder auch Teil von uns sein wollen. Der nächste
Schritt wird sein, dass wir mit all unseren Mitgliedern diskutieren, was
das genau bedeutet. Wahrscheinlich werden wir in einigen Ländern Parteien
unterstützen – wie zum Beispiel in Polen Razem oder in Dänemark die
Alternative, die unsere Agenda übernommen haben. Und in anderen Ländern, in
denen es keine Partei gibt, die auch nur daran interessiert ist, dieselben
Debatten zu führen wie wir, werden wir als Organisation kollektiv
entscheiden, ob, wie und mit wem wir antreten.
Was ist mit Griechenland oder Deutschland?
Das müssen wir noch diskutieren. Für Griechenland wollen wir eine
Abstimmung in ganz Europa auf den Weg bringen, ob wir bei den nationalen
Parlaments- und den Europawahlen antreten. Genauso müssen wir diese
Entscheidung auch in Deutschland treffen.
Wie schätzen Sie die politische Lage hierzulande ein?
Die Grünen sind gespalten. Manche haben mehr mit Schäuble gemein als mit
uns. Die SPD ist sogar tief gespalten. Ihr Establishment ist aus meiner
Sicht nicht von dem der CDU zu unterscheiden, aber sie haben auch sehr gute
Leute. Und natürlich gibt es Leute in der Linkspartei, die unsere
Grundsätze des Europäischen New Deals teilen. Aber zugleich gibt es dort
auch Antieuropäer, die den „Lexit“ wollen, den linken Austritt aus der EU
und dem Euro.
Wenn Sie eine Partei gründen, die auch in Deutschland antreten soll, ist
das nicht eine Konfrontation mit der Linkspartei und deren Vorsitzenden
Katja Kipping, die Mitglied bei Diem ist?
Das müssen Sie Katja Kipping fragen. Wir diskutieren mit unseren Freunden
und fragen sie, ob man auf die Parteien, zu denen sie gehören, Hoffnung
setzen kann. Ich wünschte, es wäre so! Aber ich glaube es nicht.
Wenn Diem gegen die Linkspartei kandidiert, ist das ein Bruch mit der
Partei – und Kipping wird Diem verlassen müssen, oder?
Wer ein Omelette machen will, muss Eier zerbrechen.
Diem hat Positionen zum italienischen Referendum oder den kroatischen
Regionalwahlen erarbeitet. Machen Sie auch Vorschläge für die
Bundestagswahl?
Ja.
Welche?
Wir sind gerade dabei, das auszuarbeiten. Wir predigen Demokratie nicht
nur, wir praktizieren sie. Also werden wir eine Debatte unter unseren
deutschen Mitgliedern anschieben, aus der möglicherweise unterschiedliche
Vorschläge hervorgehen – vielleicht einer, vielleicht zehn. Wenn es dazu
eine Vereinbarung gibt, wird auch der Rest von Diem debattieren. Und dann
werden wir über unsere Position auf der Basis „One person, one vote“
abstimmen. So machen wir das momentan auch mit den Wahlen in Großbritannien
oder Griechenland.
Halten Sie an Ihrem Ziel fest, innerhalb von zehn Jahren eine neue
europäische Verfassung zu schreiben?
Ich halte das für essenziell. Wir müssen diese schrecklichen Verträge
ersetzen. Haben Sie versucht, sie zu lesen? Es sind wirklich furchtbare
Dokumente. Wenn man sich im Gegensatz dazu die Verfassung der Vereinigten
Staaten ansieht, wird klar, welche Kraft eine 20-Seiten-Verfassung haben
kann. Was bringt Amerikaner zusammen? Diese Art von Dokument. Wenn die
Amerikaner sagen, sie schwören auf die Verfassung, fühlen sie sich
patriotisch. Das brauchen wir hier auch.
Wir brauchen einen europäischen Patriotismus?
Absolut. Wir brauchen eine europäische Identität. Identität ist immer eine
Konstruktion, die deutsche wurde zum Beispiel im 19. Jahrhundert
konstruiert. Wir müssen eine europäische Identität konstruieren – als
Grundlage unserer Einheit.
26 May 2017
## AUTOREN
Pascal Beucker
Patricia Hecht
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Yanis Varoufakis
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