| # taz.de -- Neues Buch von Yanis Varoufakis: Politik im Geheimen | |
| > Dokument und Rache. Griechenlands Exfinanzminister hat ein Buch | |
| > geschrieben, das so einzigartig wie verstörend ist. | |
| Bild: Yanis Varoufakis: Wer nicht seiner Meinung ist, wird schnell zum Feind | |
| Der griechische Exfinanzminister kann verräterische Zitate präsentieren, | |
| weil er in seiner Amtszeit von Januar bis Juli 2015 stets ein geheimes | |
| Aufnahmegerät dabei hatte. Diese Mitschnitte belegen eindeutig, dass | |
| IWF-Chefin Christine Lagarde und Exfinanzminister Wolfgang Schäuble genau | |
| wussten, dass die Sparprogramme für Griechenland ein Desaster sind. | |
| So räumte Lagarde beim ersten Treffen mit Varoufakis ein: „Sie haben recht. | |
| Die Vorgaben können nicht funktionieren. Aber Sie müssen verstehen, dass | |
| wir zu viel in dieses Programm investiert haben. Wir können es nicht | |
| aufgeben.“ Auch Schäuble sagte ganz offen, dass das Sparprogramm „schlecht… | |
| für Griechenland sei. „Es ist nicht gut fürs Wachstum.“ Aber Schäuble ha… | |
| längst andere Pläne. Er wollte die Griechen dazu bringen, vorübergehend die | |
| Eurozone zu verlassen. „Sie müssen es nicht als einen Grexit sehen“, | |
| erklärte er Varoufakis. „Betrachten Sie es als eine Pause.“ Etwa ein Jahr | |
| lang sollten die Griechen ihre eigene Währung haben, um abzuwerten und | |
| wieder wettbewerbsfähig zu werden. „Danach kommen Sie wieder zurück.“ | |
| Der deutsche Finanzminister wollte ein Exempel statuieren, wie er | |
| Varoufakis nicht verheimlichte: „Wer den Euro will, muss Disziplin | |
| akzeptieren. Und es wird eine sehr viel stärkere Eurozone sein, wenn sie | |
| durch einen Grexit diszipliniert wird.“ Als mögliche Sünder hatte Schäuble | |
| nicht nur die Krisenländer im Auge, sondern sogar Frankreich. Schäuble | |
| versprach „große Hilfen“, falls Griechenland vorübergehend die Eurozone | |
| verließe. Umgekehrt machte er deutlich, dass die Griechen drakonische Härte | |
| erwarten würde, falls sie im Euro blieben. Wann immer Varoufakis über | |
| Schuldenerleichterungen verhandeln wollte, war Schäuble plötzlich nicht | |
| mehr zuständig und antwortete nur: „Gehen Sie zu den Institutionen“, also | |
| zur Troika aus IWF, EU und EZB. | |
| Varoufakis rieb sich in einer kafkaesken Pendeldiplomatie zwischen | |
| Eurogruppe, Troika und einzelnen Regierungen auf. Wieder und wieder | |
| rechnete er seinen Gesprächspartnern vor, dass Griechenland seine | |
| Schuldenlast nicht tragen kann. Doch um ökonomische Argumente ging es nie. | |
| „Ich hätte genauso gut die schwedische Nationalhymne singen können.“ | |
| Überrascht stellte Varoufakis fest: „Die Geldgeber wollten ihr Geld gar | |
| nicht zurück. Ihre eigene Autorität war ihnen wichtig und dass diese von | |
| einer linken Regierung infrage gestellt wurde.“ | |
| ## Vom Premier hintergangen | |
| Varoufakis stellt eindrucksvoll dar, dass die Griechen gnadenlos erpresst | |
| wurden – trotzdem will er seine eigene Machtlosigkeit nicht wahrhaben. | |
| Stattdessen behauptet er, dass er die Europäer zu einem Kompromiss hätte | |
| zwingen können, wenn er nicht von seinem eigenen Premier Alexis Tsipras | |
| hintergangen worden wäre. | |
| Varoufakis hatte nämlich einen „Plan“: Notfalls sollte Athen einseitig | |
| verkünden, dass es die griechischen Staatsanleihen nicht mehr bedient, die | |
| sich damals noch in den Büchern der EZB befanden. Die EZB hätte 33 | |
| Milliarden Euro abschreiben müssen. Das ist zwar viel Geld, aber trotzdem | |
| keine Drohung. Es überrascht, dass Varoufakis als Volkswirt offenbar | |
| nicht weiß, dass Zentralbanken Geld aus dem Nichts schöpfen und daher | |
| grenzenlose Verluste verkraften können. Varoufakis’ Plan wäre gescheitert �… | |
| und hätte sofort den Grexit ausgelöst. Die Europäer wären nämlich | |
| begeistert gewesen, endlich einen Vorwand zu haben, die Griechen aus der | |
| Eurozone zu verabschieden. | |
| Der Ausschlussmechanismus wäre simpel gewesen: Die EZB hätte einfach alle | |
| Liquiditätshilfen an die griechischen Banken eingestellt. Die Euros wären | |
| knapp geworden, so dass Griechenland auf eine eigene Währung hätte umrüsten | |
| müssen. Diese Gefahr hat Varoufakis zumindest ansatzweise gesehen: In | |
| seinem Plan war vorgesehen, dass die griechische Regierung eine | |
| „Parallelwährung“ schafft, indem sie Renten oder Beamtengehälter als | |
| Guthaben auf „Smart cards“ ihrer Bürger bucht. | |
| Doch Varoufakis macht es sich zu einfach, wenn er glaubt, dass seine | |
| „Parallelwährung“ als Zahlungsmittel funktioniert hätte. Stattdessen hät… | |
| Rentner und Beamte erlebt, dass niemand ihr Staatsgeld haben will – sondern | |
| nur die wenigen Euros zählen, die noch im Umlauf sind und immer knapper | |
| werden. In Griechenland wäre ein beispielloses Chaos ausgebrochen. | |
| Diese ökonomischen Tücken hat Tsipras wahrscheinlich im Detail nicht | |
| verstanden, aber er vertraute seinem Instinkt. Ziemlich bald war ihm klar, | |
| dass Varoufakis’ Plan nicht funktionieren würde, weswegen andere | |
| Syriza-Politiker mit den EU-Verhandlungen betraut wurden. Sein eitler | |
| Exfinanzminister nimmt jetzt Rache, indem er Tsipras als ahnungslosen | |
| Opportunisten abkanzelt. Überhaupt hat Varoufakis immer recht. Es fehlen | |
| die Gegenargumente, und wer nicht seiner Meinung ist, wird schnell zum | |
| Feind. Varoufakis’ Buch ist daher ein interessantes Dokument, aber leider | |
| keine gute Analyse. | |
| 13 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
| ## TAGS | |
| Yanis Varoufakis | |
| Schwerpunkt Krise in Griechenland | |
| Wolfgang Schäuble | |
| IWF | |
| Christine Lagarde | |
| Eurokrise | |
| Schwerpunkt Europawahl | |
| Schwerpunkt Krise in Griechenland | |
| Europäische Linke | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| Schwerpunkt Krise in Griechenland | |
| Schwerpunkt Krise in Griechenland | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| EU-Wahlantritt in Deutschland: Varoufakis plant Kandidatur | |
| Griechenlands Ex-Finanzminister will in Deutschland zur Europawahl antreten | |
| – als Spitzenkandidat des Bündnisses „Demokratie in Europa“. | |
| Kommentar Schirmloses Griechenland: Hoffen auf neue Spielräume | |
| Griechenland darf endlich den von Europa auferlegten Rettungsschirm | |
| verlassen. Entscheidend wird, ob die Gläubiger der Regierung freie Hand | |
| lassen. | |
| Kommentar Europäische Linke und Syriza: Absurde Selbstgefälligkeit | |
| Frankreichs Parti de Gauche will Syriza aus der Europäischen Linken werfen. | |
| Statt Solidarität spendet der Wagenknecht-Flügel der Linken Beifall. | |
| Yanis Varoufakis über Europas Zukunft: „Wir fangen gerade erst an“ | |
| Griechenlands früherer Finanzminister hat viel vor: Aus seiner Bewegung | |
| Diem25 soll eine Partei werden, die der Linkspartei Konkurrenz machen | |
| könnte. | |
| Kommentar Schäuble und Griechenland: 50 Jahre Knechtschaft | |
| Die Schuldenkrise wird in Griechenland noch Generationen plagen. Und das | |
| nur, weil Wolfgang Schäuble Finanzminister ist. | |
| Treffen mit Varoufakis: Nur noch schnell Europa retten | |
| Griechenlands ehemaliger Finanzminister Yanis Varoufakis hat viele Ideen | |
| für die Zukunft der EU – zu viele für ein Espresso-Date. |