| # taz.de -- Debatte Arm und Reich: Mit Sicherheitspickeln übersät | |
| > Unter Reichen boomen Bunker, die ihr Überleben nach der Apokalypse | |
| > sichern sollen – auf Kosten aller anderen. Das können wir uns nicht | |
| > leisten. | |
| Bild: Bunker müssen nicht unterirdisch sein – leisten können sie sich ohneh… | |
| Was ist das exemplarische Objekt unserer Zeit? Der Computer? Das | |
| Smartphone? Oder eher der Selfie-Stick? Wie wäre es denn mit dem Bunker? | |
| Der ist nämlich neuerdings wieder groß im Kommen. Nicht nur im übertragenen | |
| Sinn. Die Reichen und Vermögenden (ich habe den Unterschied nie verstanden) | |
| dieser Welt errichten sich imposante Höhlen privater Existenzsicherung, um | |
| auf die [1][kommende Apokalypse] vorbereitet zu sein. Falls sich der | |
| Klimawandel doch nicht als Hysterie erweist. Falls die hungernden Massen | |
| doch einmal den Krieg auf die neoliberalen Paläste entfachen. Falls die | |
| Vergiftung der Erde so sehr voranschreitet, dass nur noch artifizielle | |
| Hemisphären funktionieren. Der einfache Mensch schaut sich im Multiplex | |
| einen apokalyptischen Film an, der Milliardär studiert in seinem Loft die | |
| Baupläne für seinen Bunker. | |
| Denn der Bunker der Gegenwart ist keine militärisch-nüchterne Anlage, | |
| sondern ein Hochluxusgefängnis. Die Apokalypse ist doch kein hinreichender | |
| Grund, auf den gewohnten Komfort zu verzichten. Als „moderne Arche Noah“, | |
| die größte private Schutzzone mitten in Europa, preist der Anbieter Vivos | |
| seine Ware an, 400 Fuß unter der Erdoberfläche. | |
| Hilfsbereit bietet die Webseite eine Checkliste an, eine Art TÜV für den | |
| Weltuntergang, damit jeder Kunde die Zeichen der Zeit deuten kann, denn: | |
| „denkt daran, es regnete nicht, als Noah seine Arche baute“. Das Geschäft | |
| mit dem Untergang boomt. Die Verkäufe bei einem anderen Marktführer (Rising | |
| S Company) sind 2016 um atemberaubende 700 Prozent gestiegen. | |
| ## Unverzichtbare Menschen | |
| Das Geschäftsmodell dieser Firmen besteht darin, die Apokalypse | |
| heraufzubeschwören. Natürlich im Vertrauen darauf, dass sie ausbleibt, denn | |
| während der großen Flut – um im Bild zu bleiben – wurden nur wenige Archen | |
| verkauft. Vielleicht erklärt sich ja so die maßlose, unfassbare Gier der | |
| Kapitaleliten weltweit: Sie haben einen Kostenvoranschlag für ihren Bunker | |
| erhalten. Sich von allen Realitäten zu isolieren ist teuer. | |
| Diese Haltung ist keineswegs neu. Früher, zu Zeiten des Kalten Krieges, | |
| haben die Eliten voller Zuversicht auf den atomaren Erstschlag | |
| unterirdische Ersatzwelten ausbetoniert. In der Nähe von Bonn etwa, ab 1960 | |
| gebaut, mit Platz für 3.000 unverzichtbare Menschen: Politiker und | |
| Bürokraten. | |
| In Albanien übersäte die staatseigene Paranoia das Land mit | |
| Sicherheitspickeln. Objekt 0774 in der Nähe von Tirana etwa ist die | |
| kommunistische Entsprechung des Bonner Regierungsbunkers: endlose Korridore | |
| mit Dekontaminationsschleusen, Notstromaggregaten und Luftfiltern. Solide | |
| genug, um der Atombombe auf Hiroshima zu widerstehen. | |
| Noch früher errichte man Bunker mit tausendjähriger Verfallszeit, und noch | |
| viel früher bildete man einfach einen Kreis mit Planwagen und Pferden, wenn | |
| man als Europäer in Nordamerika oder Südafrika auf Raubzug war und sich | |
| wunderte über die mangelnde Gastfreundschaft der Einheimischen. Die | |
| Wagenburg, auf Afrikaans laager, führte zur berüchtigten | |
| ‚Laager-Mentalität‘. Denn wer „Bunker“ sagt, denkt auch an „einbunke… | |
| Die Popularität der Bunker widerlegt endgültig eine zentrale These der | |
| Grünen und anderer Ökologen, die Verseuchung und Zerstörung der Welt | |
| betreffe alle gleichermaßen und überwinde somit Unterschiede zwischen den | |
| Schichten, weil sich keiner vor „Tschernobyl“ retten könne. | |
| Im Gegenteil: Weil zu viele Menschen die Erde bevölkern (was in gewissen | |
| Kreisen in letzter Zeit mantrahaft wiederholt wird) und weil die | |
| Automatisierung rasante Fortschritte macht, wird die drohende Katastrophe | |
| hinter vorgehaltener Hand wie ein globaler Frühlingsputz betrachtet, aus | |
| dem eigenen Bunkerkomplex heraus, wo man weiterhin fein dinieren, ins | |
| Theater gehen (also müssen einige Künstler auch gerettet werden, es sei | |
| denn, die Aufführungen werden von Hologrammen bestritten), durch einen | |
| Garten spazieren oder im Schwimmbecken seine Längen ziehen, Cafés und Klubs | |
| besuchen kann. | |
| Jeder Bunker ist eine Beleidigung der gesamten Gesellschaft, denn er | |
| vermittelt, dass gewisse Kreaturen der Ansicht sind, sie hätten das Recht | |
| zu überleben. Es gibt kaum etwas Unmenschlicheres als die Entscheidung, | |
| viele Menschenleben zu opfern für das Wohlergehen einiger weniger. | |
| Genau das aber entspricht dem politischen Zeitgeist, nicht nur in Russland | |
| und China, in allen Bananenrepubliken und zentralasiatischen Diktaturen, | |
| sondern auch in den USA. Die unverblümte Refeudalisierung der Gesellschaft | |
| durch die Oligarchen schreitet voran. Zur Feudalzeit bot die Burg nur | |
| wenigen Schutz. Die Leibeigenen unten in der Ebene, draußen vor dem | |
| Burggraben, würden den barbarischen Horden, seien es Wikinger oder Hunnen, | |
| zum Opfer fallen – das war eingeplant als mittelalterlicher | |
| Kollateralschaden. | |
| Deswegen auch die [2][Steigerung des Militärbudgets] – nicht nur, weil | |
| Oligarchen alias Geschäftemacher früh erkannt haben, dass das Militär eine | |
| Einladung zur [3][Kleptokratie] ist: Nirgendwo sonst verschwinden so viele | |
| Milliarden in so vielen undurchsichtigen Projekten von so dubiosem Nutzen. | |
| Das Militär ist zudem nötig, die Bunker zu schützen, denn auf der | |
| Checkliste der Firma Vivos stehen nicht nur Vulkanausbrüche, sondern auch | |
| soziale Explosionen. | |
| Und deswegen auch die Finanzierung von Marionetten und Rattenfängern. Man | |
| kann es nicht oft genug wiederholen: Trumps Wahlkampfkampagne wurde von | |
| einigen der reichsten Männer der Vereinigten Staaten finanziert, darunter | |
| parasitäre Hedge-Fonds-Manager wie Robert Mercer, die ernsthaft meinen, die | |
| Megareichen sollten über die Zukunft ihres Landes entscheiden. | |
| Wie schrieb schon Theodore Dreiser anno 1900 in seinem Debütroman „Sister | |
| Carrie“: „Die Schönen und Mächtigen schaffen eine Atmosphäre, die sich | |
| ungut auf die Kleinen und Unbedeutenden auswirkt, eine unmittelbar spürbare | |
| Atmosphäre.“ Weil dem so ist, und weil wir uns nicht in Maulwürfe | |
| verwandeln wollen, sollten wir endlich konstatieren: Wir können uns die | |
| Reichen nicht leisten. Wir müssen sie einsparen. | |
| 25 May 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ilija Trojanow | |
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