| # taz.de -- Energiekonzern Gazprom: „Wir bezahlen die Kreml-Clique“ | |
| > Gazprom agiert als verlängerter Arm der Kreml-Kleptokratie, sagt der | |
| > Journalist Jürgen Roth. Das müssten auch Schalker und Sozialdemokraten | |
| > begreifen. | |
| Bild: „Schalke macht Propaganda für einen Konzern, der für undemokratische … | |
| taz: Herr Roth, schauen Sie eigentlich gern Spiele von Schalke 04? | |
| Jürgen Roth: Ja, wenn ich mich fürchterlich ärgern will. Schalke macht | |
| Propaganda für einen Konzern, der für undemokratische Verhältnisse | |
| mitverantwortlich ist. Für ein positives Image viel Geld zu bezahlen, | |
| aufgebaut auf der Naivität der Fans – darin ist Gazprom durchaus effektiv. | |
| Sie haben gerade ein Buch über Gazprom veröffentlicht. Hat sich der Gigant | |
| schon gemeldet? | |
| Jürgen Roth: Nein. Gazprom hat bei einer anderen Geschichte gesagt, zu Roth | |
| gebe man keinen Kommentar ab. | |
| Wenn man heute ein Buch über Gazprom schreibt – auf welche Schwierigkeiten | |
| stößt man da konkret? | |
| Auf Angst bei Managern, die mit Gazprom in Geschäftsbeziehungen stehen; und | |
| bei Kollegen aus Osteuropa, die nicht über Gazprom berichten wollen, weil | |
| es zu gefährlich ist, wenn man zu vermuteten mafiosen Machenschaften von | |
| Gazprom-Tochtergesellschaften recherchiert. | |
| Das heißt, es gibt einen grundlegenden Unterschied etwa zu einer Recherche | |
| zur planmäßigen Korruption bei Siemens? | |
| Gazprom ist fest eingebunden in die Machtpolitik der Kreml-Kleptokratie, | |
| also in ein undemokratischen System. Deshalb ist Gazprom kein normaler | |
| Multi, mit all den üblichen dreckigen Machenschaften. Das scheint man hier | |
| immer noch nicht zu begreifen. | |
| Gazprom hat zuletzt Interesse an dem griechischen staatlichen Gaskonzern | |
| Depa bekundet. Was halten Sie davon? | |
| Ein Konzern wie Gazprom findet in einem korrupten oder wirtschaftlich | |
| labilen System einen sehr fruchtbaren Boden vor. Das illegal | |
| erwirtschaftete Geld, mit dem solche Ankäufe – nicht nur auf Gazprom | |
| beschränkt – getätigt werden, ist eben keine normale Investition. Es | |
| zerstört den freien Wettbewerb, nicht nur in Griechenland. Gazprom – das | |
| darf man ja nicht vergessen – arbeitet auch mit dem, was ich politische | |
| Erpressung nenne. | |
| Zum Beispiel? | |
| Putin hat dem bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borissow gesagt, | |
| entweder Gazprom darf hier investieren oder die Bulgaren werden einen | |
| kalten Winter erleben. Und er hat es ernst gemeint. | |
| Welche Rolle spielt denn Deutschland in dieser Sache? Wer leidet hier? Mit | |
| unseren Gasrechnungen zementieren wir alle die Kleptokratie in Russland. | |
| Wir bezahlen die riesigen Besitztümer, die Milliardeneinnahmen der Bosse | |
| und der Kreml-Clique. | |
| Und die für den Lobbyisten Gerhard Schröder? | |
| Das ist eher ein Fall von nicht vorhandener politischer Ethik, auch bei | |
| Herrn Voscherau, der vor kurzem Chef von South Stream geworden ist. Im | |
| Grundsatzprogramm der SPD steht: „Mit ihrer durch Kartelle und Verbände | |
| noch gesteigerten Macht gewinnen die führenden Männer der Großwirtschaft | |
| einen Einfluss auf Staat und Politik, der mit demokratischen Grundsätzen | |
| nicht vereinbar ist. Sie usurpieren Staatsgewalt.“ Genau für dieses System | |
| arbeiten die beiden SPD-Repräsentanten. | |
| Also muss man sie rauswerfen aus der SPD? | |
| Ja, natürlich. Aber führende SPD-Politiker, die ich gefragt habe, wie sie | |
| zu dem Engagement Schröders bei Gazprom stehen, haben allenfalls gesagt, | |
| dass sei dessen Privatsache. Das zeigt die Feigheit der SPD-Granden. | |
| Und die Staatsanwaltschaft? | |
| Welcher vom Justizministerium abhängige Staatsanwalt wird sich der Mühe | |
| unterziehen, hier genauer hinzuschauen? Das erworbene Machtwissen und die | |
| geknüpften Netzwerke während seiner Zeit im Amt wird Schröder nach | |
| menschlichem Ermessen nicht außen vorgelassen haben. | |
| Deutschland bezieht nur ein Drittel seines Erdgases aus Russland. Wo ist | |
| das Problem? | |
| Wollen wir weiterhin akzeptieren, dass die ethische Prostitution, also das | |
| skrupelloses Profitstreben von Energiemonopolen jegliche ethische | |
| Verantwortung ersetzt? Dafür stehen sowohl Gazprom als auch die Expolitiker | |
| und Konzernchefs, die mit Gazprom Geschäfte machen. Es gibt ein bislang | |
| wenig beachtetes Kartell der Energiekonzerne für Europa, in dem Absprachen | |
| getroffen werden. Es ist der European Business Congress e.V. Da sitzt | |
| Gazprom in den entscheidenden Positionen. Das Büro dieser Organisation | |
| befindet sich übrigens in Berlin. Hier werden die Strategien der | |
| Profitmaximierung diskutiert, und zwar unter der Fuchtel von Gazprom. Wir | |
| können auch nicht so tun, als gebe es Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, | |
| Kroatien oder Serbien nicht – die sind zum überwiegenden Teil vom Gas aus | |
| Russland, also von Gazprom, abhängig und erpressbar. | |
| Wie kommen wir aus dieser Falle raus? | |
| Für die Staaten, aus denen wir Gas beziehen, müssen dieselben | |
| Transparenzregeln gelten wie hier. Die Regierungen der Förderländer müssen | |
| alle Gaseinnahmen öffentlich machen und Verschiebungen der Einnahmen aus | |
| dem Gasgeschäft auf Offshore-Firmen blockieren. Dafür könnte man ihnen | |
| technische Hilfe bereitstellen. Die deutschen Konzerne und Banken, die dort | |
| prächtige Geschäfte machen, werden allerdings die Letzten sein, die so | |
| etwas unterstützen. | |
| Inwiefern ist in deutschen Ermittlerkreisen Problembewusstsein vorhanden? | |
| Es ist da, aber die finanziellen wie personellen Ressourcen im Bereich der | |
| Wirtschaftskriminalität, unter anderem auch der Geldwäsche, werden immer | |
| weiter beschnitten. Aber was könnten sie schon machen, wenn in Russland | |
| Topkriminelle unter staatlichem Schutz stehen? | |
| Könnte eine demokratische Regierung in Russland daran was ändern? | |
| Es gibt unabhängige Richter und Staatsanwälte in Russland. Mit einer | |
| anderen Regierung könnten die tätig werden. Auch unter den Intellektuellen | |
| wird der Raubbau am Volksvermögen erkannt und verurteilt. Wir müssen die | |
| Bürgergesellschaft in Russland und in den anderen sowjetischen | |
| Nachfolgestaaten massiv unterstützen – in unserem eigenen Interesse. | |
| 1 May 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
| Ambros Waibel | |
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| Bunker | |
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