| # taz.de -- Neue Regierung in Russland: Putin auf Lebenszeit | |
| > Wladimir Putin zieht zum dritten Mal in den Kreml ein. Doch die Ära des | |
| > Teflon-Präsidenten ist vorbei. „Ich möchte nicht auch noch unter ihm | |
| > sterben“, so das Volk. | |
| Bild: Putin 2.0? Eher Auslaufmodell Putinismus. | |
| MOSKAU taz | Ein alter sowjetischer Witz erfährt dieser Tage in Moskau eine | |
| Neuauflage: Der Kongress der Kommunistischen Partei tagt in der Hauptstadt. | |
| Alle Kanäle des Staatsfernsehens übertragen rund um die Uhr live. Iwan | |
| Iwanowitsch sucht dennoch ein anderes Programm. Als er fündig wird, sitzt | |
| dort ein KGB-General und droht: „Glaub bloß nicht, dass du davonkommst, | |
| Iwanowitsch. Ich schalte dich sofort zurück!“ | |
| Viele ältere Russen fühlen sich atmosphärisch in die stagnierende Endzeit | |
| des Kommunismus zurückversetzt. Bei der Zeremonie im Andreassaal des Großen | |
| Kremlpalasts schwor Putin am Montag auf die Verfassung des Landes. | |
| Anschließend kündigte er in einer Rede eine „neue Etappe“ für Russland a… | |
| Die kommenden Jahre seien „entscheidend“ für die Zukunft des Landes „auf | |
| Jahrzehnte hinaus“. Sechs staatliche TV-Stationen berichten seit dem frühen | |
| Morgen. | |
| Wladimir Putin zieht zum dritten Mal seit 2000 in den Kreml ein. In der | |
| Amtsperiode von 2008 bis 2012 hatte er seinen Vertrauten Dmitri Medwedew | |
| als Stellvertreter im Kreml placiert. Läuft alles nach Plan, bleibt Putin | |
| bis 2018 im Amt und könnte noch einmal für den Posten bis 2024 kandidieren. | |
| Putin auf Lebenszeit. Diese Perspektive sagt vielen Bürgern nicht mehr zu. | |
| „Ich möchte nicht auch noch unter ihm sterben“, sagte ein Hörer dem | |
| Radiosender Echo Moskwy. | |
| Putin ist noch immer Russlands populärster Politiker. Im März gaben ihm | |
| nach offizieller Zählung 64 Prozent der Wähler ihre Stimme. Dennoch hat | |
| sich die Stimmung seit den Massenprotesten nach den manipulierten | |
| Dumawahlen im Dezember deutlich verändert. Auch die Präsidentenwahl | |
| entsprach keineswegs demokratischen Maßstäben. Ein Anflug von Illegitimität | |
| liegt seither über den Institutionen der Macht. | |
| ## Keine glaubwürdigen Gegenkandidaten | |
| Putin ist nicht mehr „Präsident aller Russen“, er verlor auch die Aura des | |
| „nationalen Leaders“, die seine Entourage ihm zugeschrieben hatte: „Putin | |
| ist unser Alles, er wird uns retten“, war eines der Leitmotive bei den | |
| Wahlen 2000 und 2004. Diesmal fällten die Bürger keine emotionale, sondern | |
| eine rationale Wahl. Ministerpräsident Putin war der einzige | |
| ernstzunehmende Bewerber. Glaubwürdige Gegenkandidaten hatte er längst aus | |
| der Politik vertrieben. | |
| Bei einer anderen Kandidatenliste und freiem Zugang zu den Medien wäre das | |
| Ergebnis anders ausgefallen, meinte selbst der Direktor des kremlnahen | |
| Umfrageinstituts VZIOM, Waleri Fjodorow. Die rationale Entscheidung der | |
| Wähler birgt für den neu-alten Kremlchef ein ungewohntes Risiko. Fehler und | |
| Mängel werden ihm nicht mehr einfach so verziehen. Der einstige Pantokrator | |
| wird auf normales Menschenmaß zurückgestutzt. Die Ära des | |
| Teflon-Präsidenten, in der Fehlschläge, Katastrophen und Versäumnisse von | |
| ihm abperlten, ist vorbei. | |
| Mit der veränderten Gemengelage tut sich der Rückkehrer schwer. Ein | |
| Jahrzehnt der Schonung und Verehrung als gottgleicher Patron hinterließ | |
| Spuren. Putin, so scheint es, hat den Bezug zur Realität verloren. Er hält | |
| sich für den Einzigen, der Russland führen kann. Sollte er an Größenwahn | |
| leiden, wie Beobachter befürchten? | |
| Dass Russlands starker Mann das Gespür für Land und Leute verloren hat, | |
| zeigte sich in aller Deutlichkeit zum ersten Mal auf dem Parteitag der | |
| Putin-Partei „Einiges Russland“ im letzten Herbst. Verzückt kündigte der | |
| Ministerpräsident seine Rückkehr in den Kreml an und gestand mit diebischer | |
| Freude: Der Ämtertausch mit Medwedew sei von Anfang an vereinbart gewesen. | |
| Tausende Jubelperser huldigten ihm. Aber viele Russen, auch jene, die dem | |
| Chef lange die Stange gehalten hatten, fühlten sich verhöhnt. Da machte | |
| sich jemand, der seit 12 Jahren die Geschicke des Landes lenkte, über sie | |
| lustig. Seither sinkt sein Stern. | |
| ## Putin 2.0? | |
| Auch die Imageberater sind vorsichtiger geworden. Auf Show-Einlagen als | |
| Dompteur, halbnacktes Sexsymbol oder Formel-1-Pilot muss Putin verzichten. | |
| Bis zur Lächerlichkeit ist es nur ein kleiner Schritt. Nach den | |
| Protestaktionen hofften viele Bürger, der begeisterte Sportler würde sich | |
| als Putin 2.0 neu erfinden und auf die Forderungen der breit gefächerten | |
| Opposition nach mehr Teilhabe an der Politik eingehen. | |
| Bisher blieb es jedoch bei taktischen Zugeständnissen, um Druck aus dem | |
| Dampfkessel zu lassen. Dennoch verfing die Methode zunächst, es ist wieder | |
| etwas ruhiger geworden. Die Probleme, die die Bürger auf die Straße | |
| trieben, sind jedoch nicht gelöst. Anscheinend kann der Kremlchef sich | |
| nicht mehr ändern und gedenkt fortzufahren wie bisher. Warum auch nicht? | |
| Fehler habe er keine gemacht, sagte Putin im Fernsehen. | |
| Das Volk schaut jetzt indes genauer hin. Die Stabilität, deren sich Putin | |
| rühmt, entpuppt sich als Stagnation. Das wirtschaftliche Wohlergehen beruht | |
| auf Einnahmen aus dem Rohstoff-Verkauf. Der Ölpreis müsste jährlich weiter | |
| um 20 US-Dollar pro Fass steigen, damit der Staat seinen Verpflichtungen | |
| nachkommen könnte. Damit ist ausgerechnet Moskaus «souveräne Demokratie» | |
| auf Gedeih und Verderb von äußeren Faktoren abhängig. | |
| 12 Jahre Putinismus waren für die Modernisierung der Wirtschaft verlorene | |
| Jahre. Auch das moniert die Mittelschicht, der Putin die kalte Schulter | |
| zeigt. Er stemmt sich gegen Reformen, weil Wandel ihn über kurz oder lang | |
| aus dem Amt heben würde. Persönliche Interessen wiegen schwerer als das | |
| Staatswohl. Noch bleibt der Kremlchef. Der Putinismus aber ist bereits ein | |
| Auslaufmodell. | |
| 7 May 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Helge Donath | |
| ## TAGS | |
| Dmitri Medwedew | |
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