# taz.de -- Anti-Regierungsproteste in Russland: „Hexenprozess“ im Namen Go… | |
> Eine Aktion gegen Premier Putin in der Christi-Erlöser-Kathedrale bringt | |
> drei Mitgliedern der Punkband Pussy Riot U-Haft ein. Im April stehen die | |
> Feministinnen vor Gericht. | |
Bild: Mitglieder der feministischen Punk-Band Pussy Riot bei einem Interviewter… | |
MOSKAU taz | „Mutter Gottes, werde Feministin“, kreischten die Frauen und | |
wandten sich im selben Atemzug mit noch einer Bitte an die Jungfrau Maria: | |
„Heilige Mutter, vertreibe uns den Putin.“ Die Jungfrau erhörte die | |
Fürbitte nicht, dafür vernahm sie aber ganz Russland mithilfe von Youtube. | |
Pussy Riots nennen sich die Frauen der feministischen Punkband, die sich | |
mit dem Stoßgebet kurz vor den russischen Präsidentenwahlen im Heiligtum | |
der russisch-orthodoxen Kirche, der Moskauer Christi-Erlöser-Kathedrale, | |
Luft verschafften. Fünf Minuten dauerte ihr Auftritt in gehäkelten | |
Wollmasken und schrillen Netzstrümpfen, bis die himmlischen Wächter den | |
Altarraum von ihnen gesäubert hatten. Es war nicht ihr erster provokanter | |
Auftritt. Zuvor zelebrierten sie auf dem Roten Platz vor der | |
Basiliuskathedrale die Austreibung Wladimir Putins, des Symbols der | |
nachhaltigen Macho-Gesellschaft. | |
Drei der Frauen sitzen in Untersuchungshaft. Die Causa Pussy Riot ist zum | |
Politikum geworden. Ende April soll ein Gericht über das Schicksal der | |
Delinquentinnen entscheiden. Zurzeit wird ihnen „Rowdytum“ zur Last gelegt. | |
Die Höchststrafe beträgt sieben Jahre. Ob der Tatbestand des „Extremismus“ | |
erfüllt ist, die Band „interkonfessionellen Hass“ schürte und auch dafür | |
bestraft werden könnte, prüfen Juristen noch. | |
Die Ideologen der orthodoxen Kirche würden an den aufmüpfigen Frauen am | |
liebsten ein Exempel statuieren. Dass sie kleine Kinder haben, bewahrte die | |
Mütter nicht vor der U-Haft. Die orthodoxe Gemeinde fordert Vergeltung. | |
Verständnisvollere Gläubige, die die Kirche baten, den Sünderinnen zu | |
vergeben, sind eine Minderheit. Der Patriarch der orthodoxen Kirche, | |
Kirill, war erschüttert, dass Gläubige die Punkerinnen in Schutz nahmen. | |
Die Band hätte die Kirche entweiht, sagte der Oberhirte: „Solche Menschen | |
glauben nicht an die Macht des Gebets, sie glauben an die Macht der | |
Propaganda, der Lügen und Verleumdungen, des Internets und der Massenmedien | |
…“ | |
## Eine Frage von Verrat und Loyalität | |
Das Gleiche hätte der Kirchenvater genauso gut der politischen Führung | |
vorhalten können. Doch Kirill ist ein Mann des Systems, für den auch die | |
Trennung von Staat und Kirche ein bedauerlicher Sündenfall ist. Gemäßigte | |
Stimmen haben da keine Chance, wo dunkle Kräfte, derer sich der Teufel | |
bemächtigt hätte, ihr Unwesen treiben, verlautete aus dem Patriarchat. | |
Die Kirche stilisiert den Vorfall zu einer Frage von Verrat und Loyalität. | |
Dabei geht es nicht um Glauben, sondern um Russland und dessen | |
Herrschaftssystem. Wer es wagt, die Orthodoxie zu kritisieren, stellt sich | |
gegen Russland. Es ist der gleiche Reflex, den Wladimir Putin im Wahlkampf | |
ausbeutete. Nach dem Motto: Wer gegen mich ist, verrät auch Russland. Die | |
Beschwörung von Feinden soll das System am Laufen halten. | |
Diese Spielart der russischen Theokratie wird seit den Massenprotesten | |
jedoch hinterfragt. Vor allem junge unabhängige Künstler wie die | |
Artperformer der Gruppe „Woina“, zu der auch die festgenommene Punkerin | |
Nadeschda Tolokonnikowa gehört, wehren sich gegen den Schulterschluss von | |
Kreml und Kirche. Das war die Botschaft des vermeintlich blasphemischen | |
Aktes. Dass einer politischen Geste derart repressive Maßnahmen folgen, | |
hätte sie nicht erwartet, erklärte die Gruppe Pussy Riot schriftlich. Man | |
wolle aber weiter Protestgrüße an das Macho-Regime Putins schicken. | |
Die Orthodoxie kannte im Unterschied zur katholischen Kirche im ausgehenden | |
Mittelalter keine Hexenprozesse. Jetzt holt die Kirche das nach. | |
„Wahrscheinlich verdienen die Frauen es, auf dem Scheiterhaufen verbrannt | |
zu werden“, meinte der rechtsradikale Ideologe Alexander Dugin in der | |
kremlnahen Komsomolskaja Prawda. | |
26 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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