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# taz.de -- Messungen des Kraftfahrt-Bundesamtes: Das Märchen vom Diesel
> Autos mit Dieselmotor gelten als Klimaschützer. Doch interne Messungen
> der Behörden belegen längst, dass das nicht stimmt.
Bild: Hier stinkt's ganz gewaltig
Es ist nur eine schlichte Tabelle mit 30 Einträgen, die auf eine Seite
passt. Aber sie zerstört einen Mythos, der seit Jahrzehnten in Deutschland
und Europa aufgebaut wurde: die Geschichte vom Klimaschützer Dieselmotor.
Denn Diesel-Pkws verbrauchen zwar im Schnitt etwa 15 bis 30 Prozent weniger
Treibstoff als vergleichbare Benzinmotoren – aber deutlich mehr als bislang
offiziell behauptet. Deshalb stoßen sie auch mehr Klimagas CO2 aus. Das
haben Verkehrsexperten und Umweltverbände lange kritisiert. Nun wird zum
ersten Mal ein offizielles Papier der Bundesregierung öffentlich, das
diesen Vorwurf belegt.
Die „Übersicht Stand CO2 Nachmessungen, Stand KW 25/2016“, ein internes
Papier des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA), das der taz vorliegt, zeigt: Alle
30 Wagentypen, die im Sommer 2016 von der Behörde laut dieser Liste
getestet wurden, liegen mindestens 10 Prozent über dem Wert, der in ihrer
Typzulassung angegeben ist – die größten Ausreißer, Modelle von Audi,
stoßen bis zu 36 Prozent mehr CO2 aus als erlaubt. Auf der Liste finden
sich Modelle von praktisch allen Herstellern, die in Deutschland Autos
verkaufen: Audi, Alfa Romeo, BMW, Fiat, Jaguar, Jeep, Land Rover, Peugeot,
Mercedes, Renault, Mitsubishi, Volvo, Suzuki, Opel, Smart und Porsche – und
gleich sieben Modelle von VW.
Die Liste ist gleich mehrfach brisant: Das KBA hat die Werte nämlich nach
dem offiziell gültigen (unrealistischen) Fahrzyklus NEFZ gemessen. Anders
als bei den realistischeren Tests von Umwelt- oder Verkehrsverbänden
erreichten die Wagen damit nicht einmal unter optimalen Laborbedingungen
die Werte, auf die sie offiziell zugelassen sind.
Die Techniker des KBA haben zur Sicherheit auch zweimal gemessen: In der
23. Kalenderwoche 2016 stellten sie 54 Modelle auf den Prüfstand. Weil die
Tests so schlecht ausfielen, wurden sie zwei Wochen später mit den 30
auffälligsten Kandidaten wiederholt. Das Ergebnis: Die Werte stimmen. Als
Konsequenz haben manche Hersteller inzwischen still und leise die
Zulassungsdaten ihrer Modelle nach oben korrigiert. VW etwa bestätigt auf
Anfrage der taz, man habe auf die Messungen des KBA reagiert und im
sogenannten „CoP“-Verfahren (Conformity of Production) die Abgaswerte für
die betroffenen Modelle nachträglich nach oben korrigiert.
## Ergebnisse zu brisant, um veröffentlicht zu werden
Erhoben wurden die Daten im Anschluss an die „VW-Untersuchungskommission“
des Bundesverkehrsministeriums. Diese hatte vom Herbst 2015 bis Frühjahr
2016 gängige Modelle von Dieselautos auf den Luftschadstoff Stickoxid (NOx)
getestet. Sie bestätigten den Betrug von VW und brachten ans Licht, dass
fast alle anderen Hersteller ebenfalls „Abschalteinrichtungen“ verwenden.
Die Prüfer interessierten sich aber auch für die CO2-Abgase der Autos.
Diese Ergebnisse waren so brisant, dass sie bis heute nicht veröffentlicht
sind. Während der Abschlussbericht der „VW-Untersuchungskommission“ im
Ministerium seinen Bericht im April 2016 vorlegte, verweigert das Haus von
Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) zu den CO2-Werten jede Auskunft.
Eine schriftliche Anfrage der taz und mehrere mündliche Nachfragen führten
auch drei Wochen lang nur zu der stereotypen Antwort: „Die Untersuchungen
zur CO2-Problematik sind noch nicht abgeschlossen.“ Was wie warum noch
gemessen wird, dazu gibt es keine Aussage von Ministerium und KBA. Die
Listen selbst sind als „vertraulich“ und sogar als „geheim“ eingestuft.
Begründung: Sie enthalten schutzwürdige Betriebsgeheimnisse der Autobauer.
In der Tat nehmen die Autokonzerne die CO2-Grenzwerte durchaus ernst. Denn
anders als beim Lungengift NOx wird die Überschreitung beim Kohlendioxid
mit empfindlichen Geldbußen belegt: Bis 2020/21 dürfen die Flotten der
Hersteller nur noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen, sieht eine
EU-Richtlinie vor. Für jedes Gramm darüber drohen Bußgelder, die jedes Jahr
in die Milliarden gehen können. Wenn die Konzerne ihre CO2-Bilanz
verbessern, wird auch das teuer: „Jedes Gramm CO2-Reduktion kostet uns 100
Millionen Euro“, sagte der frühere VW-Chef Martin Winterkorn.
Und der Druck wird größer: Wenn die EU ihre Verpflichtungen zum Klimaschutz
einhalten will, muss vor allem der Verkehrssektor massiv CO2 einsparen.
Demnächst wird nach der 95-Gramm-Grenze für 2020 das Ziel für 2025
verhandelt. „Wir wollen da eine 7 vorne sehen“, fordern Umweltexperten aus
der Regierung. Denn bislang hat der Verkehr als einziger Sektor seinen
Beitrag zum Klimaschutz verweigert: Die Emissionen aus dem Straßenverkehr
lagen 2016 so hoch wie 1990. Einsparung praktisch null.
## Ein fehlerhaftes Produkt
Theoretisch verbrauchen Dieselwagen laut Umweltbundesamt etwa 15 Prozent
weniger als vergleichbare Benzinmotoren, der ADAC findet sogar Einsparungen
bis zu 30 Prozent. In der Praxis aber gleichen immer größere und schwerere
Dieselmotoren diesen Vorteil wieder aus: 2014 lag deshalb laut UBA der
durchschnittliche CO2-Ausstoß der neuen Diesel-Pkws 2 Gramm pro Kilometer
über den Werten der Benzinautos.
Die CO2-Grenzwerte sind für die Autokonzerne noch aus einem anderen Grund
viel bedeutender als der Ärger, den sie bei den NOx-Emissionen haben: Sie
geben den Käufern im Zweifel das Recht, ihr Auto als „fehlerhaftes Produkt“
an den Hersteller zurückzugeben.
Erst im August 2016 entschied das Landgericht Düsseldorf mit Verweis auf
die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der Käufer sei zum Rücktritt vom
Kaufvertrag berechtigt, „wenn der im Verkaufsprojekt angegebene kombinierte
Verbrauchswert um mehr als 10 Prozent überschritten wird“. Wird das wie in
der KBA-Liste offiziell festgestellt, könnte den Autobauern in Deutschland
eine Welle von stornierten Kaufverträgen drohen.
Für die Opposition im Bundestag ist Dobrindts geheime Liste ein Ärgernis:
„Die Beantwortung aller Fragen zum Thema CO2 haben Dobrindt und seine
Beamten im Untersuchungsausschuss komplett verweigert“, sagt der grüne
Verkehrsexperte Oliver Krischer. „Den Klimavorteil des Diesels gibt es
angesichts der Schwere und Größe der Fahrzeuge im Vergleich zum Benziner
schon lange nicht mehr.“
## Die Illusion vom gelobten Sparschwein
Wenn die CO2-Angaben nicht mehr stimmen, seien „Steuernachzahlungen in
Milliardenhöhe für die Autoindustrie fällig. Herbert Behrens, Vorsitzender
des Untersuchungsausschusses von der Linksfraktion, will deshalb das
Finanzministerium auffordern, „den steuerlichen Schaden zu berechnen und
eventuell den Bundesrechnungshof damit zu befassen.“ Das Ministerium
„spielt massiv auf Zeit“, so Behrens, um das Thema CO2 nicht mehr in dieser
Wahlperiode zu behandeln.
Die interne Liste des Verkehrsministeriums belegt einen europaweiten Trend
weg vom Diesel. Denn mit dem Beginn der EU-Klimapolitik 2007 setzten vor
allem die deutschen Autobauer auf immer effizientere Dieselmotoren: Mit
ihnen sollten die Klimaziele der EU erreicht werden. Diese Hoffnung hat
sich nicht nur im realen Verkehr auf den Straßen als Illusion erwiesen, wo
der Verbrauch die Werte der Hersteller bis zu 40 Prozent überschreiten
kann.
Jetzt zeigen die Messungen des KBA, dass der Diesel nicht einmal unter
optimalen Bedingungen das gelobte Sparschwein ist. Die Begeisterung für den
Motor, der in Deutschland für 800.000 Arbeitsplätze sorgt, ist merklich
abgekühlt. Seit den Debatten um das Fahrverbot gehen auch die
Neuzulassungen von Diesel-Pkws zurück. Und in Brüssel sagt Elżbieta
Bieńkowska, die EU-Kommissarin für Industriepolitik: „Der Diesel wird
viel schneller verschwinden, als wir es uns vorstellen.“
20 Apr 2017
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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