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# taz.de -- Historiker über die Trump-Ära: „Nicht immer nach Hitler suchen�…
> Eskalierender Nord-Süd-Konflikt: Warum der Historiker Ulrich Herbert
> nicht viel von Vergleichen zwischen Trump und dem Faschismus hält.
Bild: Ähnlichkeiten sind nicht rein zufällig, aber führen leicht in die Irre
taz.am wochenende: Herr Herbert, Donald Trumps Berater Stephen Bannon will
das US-System zerschlagen und sieht das Land in einem globalen Krieg gegen
den Islam. Erinnert diese Semantik an faschistische Bewegungen?
Ulrich Herbert:Bannon zieht diese Analogien zu den 1930er Jahren ja selbst.
Bannon ist ein Rechtsradikaler, der über seinen Einfluss auf den
Präsidenten eine Art Konservative Revolution in den USA in Gang setzen will
und der dabei auf die Wucht einer applaudierenden und fanatischen
Massenbewegung setzt. Nur – der Unterschied zwischen den USA mit ihren
gefestigten demokratischen Institutionen und dem von Krieg und Bürgerkrieg
zerrissenen Deutschland der Weimarer Jahre ist so groß, dass solche
Parallelen wenig Aussagekraft besitzen.
US-Historiker Timothy Snyder sieht Parallelen zwischen Trump und Hitler.
Beide wurden anfänglich unterschätzt. Ist es eine einleuchtende Analogie?
Wir verstehen die Entwicklung in den USA nicht besser, wenn wir sie auf den
Leisten des deutschen Faschismus ziehen. Es gibt so viele Varianten des
Autoritären, Diktatorischen – warum gerade Hitler? Warum nicht Putin,
Erdoğan, Orban, Kaczyński oder von mir aus Franco oder Stalin? Wer nur
auf die Naziparallele schaut, übersieht die spezifische und in der Tat sehr
gefährliche Lage in den USA. Und die erklärt sich vor allem aus der
amerikanischen Geschichte, nicht aus der deutschen.
Gibt es im Kampf gegen den Islam nicht Parallelen zum Kampf der Nazis gegen
die Juden – die Vorstellung, es mit einem übermächtigen Feind zu tun zu
haben?
Nur sehr vordergründig. Trump will die „judäo-christliche Welt“ vor dem
Ansturm des Islamismus retten. Tatsächlich aber sperrt er Millionen
potenzieller Einwanderer aus Lateinamerika aus und will illegale
Einwanderer ausweisen – alles gute Katholiken. Die gegenwärtige Agitation
wird übrigens dazu führen, dass auch der Antisemitismus in den USA zunimmt.
Kurz: Die Parallelisierung von gegenwärtigem Antiislamismus und
historischem Antisemitismus erklärt die Politik der Trump-Administration
nicht. Sie soll auch nur ausdrücken, dass man das alles sehr schlimm findet
und deshalb zu den stärksten Vergleichen greift. Außerdem ist es nicht
klug, zu oft zu rufen, dass der Wolf kommt. Wenn er dann wirklich kommt,
glaubt einem niemand mehr.
Wenn Leute wie Jürgen Elsässer oder Björn Höcke im Bundeskanzleramt säßen
und ausheckten, wie sie die Demokratie ruinieren, würde wir hier auch
glauben, der Wolf sei schon da. Bannon redet von dem unausweichlichen Krieg
zwischen Christentum und Islam. Ruft präfaschistisches Denken wie Oswald
Spenglers „Untergang des Abendlandes“ auf . . .
. . . oder Samuel Huntingtons „Clash of Civilisations“. Nicht vergessen:
Auch Saddam Hussein wurde mit Hitler verglichen, ebenso Gaddafi. Analytisch
ist das wenig einleuchtend.
Die Intellektuellen sind angesichts von Trump perplex. Er wirkt zwar
lächerlich, macht jedoch die Lüge salonfähig und stellt den
Wahrheitsanspruch an sich infrage. Das ruft eine ähnliche Fassungslosigkeit
hervor, wie sie Karl Kraus 1933 in dem Satz zusammenfasste: „Mir fällt zu
Hitler nichts ein.“
Die Absage an Rationalität, Diskurs, Abwägung und deren Ersetzung durch
Propaganda gehört zum Wesen jeder autoritären und totalitären Herrschaft.
Wir finden sie bei Stalin und bei Hitler, bei Franco und in Nordkorea. Wir
kennen natürlich die 30er Jahre und Deutschland am besten, deshalb fallen
uns diese Ähnlichkeiten am ehesten auf.
Was ist das Besondere der Situation in den USA derzeit?
Im Kern geht es um „White Supremacy“, um die Vorherrschaft der Weißen. Seit
vor einigen Jahren bekannt wurde, dass in den USA die christliche weiße
Mehrheit zahlenmäßig keine Mehrheit mehr ist, befindet sich die Rechte und
mit ihr die Republikanische Partei in einer Art putativer Defensive. Sie
sehen sich in einem Abwehrkampf gegen den Verlust ihrer Dominanz. Es ist ja
kurios – die Republikaner haben derzeit alle Macht in der Hand, sind aber
dennoch von dem Empfinden geprägt, mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Diese
Entwicklung hat sich schon seit den sechziger Jahren, seit Barry Goldwater,
sukzessive aufgebaut. Nun hat man hier den Eindruck: letzte Chance. Jetzt
oder nie mehr. Und dann unterstützen selbst gemäßigte Republikaner oder die
Evangelikalen, die ja mit Trump sonst wenig verbindet, diesen Mann, weil er
verspricht, die Dominanz der weißen Christen in den USA wiederherzustellen.
Damit es „wieder normal wird“, wie es im Wahlkampf hieß. Das trifft es.
Trump geht gegen die Justiz vor, verleumdet Medien, sperrt Muslime aus,
schiebt Migranten ab. Das zielt auf die Aushöhlung der Demokratie. Wie
bedrohlich ist das?
Das ist gefährlich. Aber: Der Ausgang ist offen. Wir wissen nicht, wie
Trumps Kampf gegen die Institutionen in den USA ausgeht. Oder ob die EU
stabil bleibt. Deshalb ist die Prognose, dass wir es mit einem neuen 1937
zu tun haben, alarmistisch. Aber wenn es Trump und seinen Leuten gelingt,
das zu stabilisieren, wird es richtig problematisch.
Inwiefern?
Zum einen durch seine nationalistische Wirtschaftspolitik. Wenn er damit
Erfolg hat, und sei es nur für zwei, drei Jahre, wird das zu einer Abkehr
von Weltwirtschaft und Freihandel führen und Begriffe wie
„Großraumwirtschaft“ wieder ins Gedächtnis zurück rufen – mit
Handelskriegen und allem, was dazugehört. Zum anderen: Die Republikaner
sind derzeit verstärkt dabei, die Zuschnitte in den Wahlbezirken so zu
verändern, dass sie ihre Macht nicht mehr einfach verlieren können. Auf
diese Weise sind die Gouverneurswahlen in einigen Bundesstaaten bereits von
den Republikanern trotz deutlicher Stimmenminderheit gewonnen worden. Das
wird derzeit stark forciert. Es gab 2016 in Texas und andernorts zudem
weitflächige Aussperrung von Schwarzen von der Wahl – mit immer neuen
Begründungen. Das zielt darauf ab, die Dominanz des rechten Lagers und der
Weißen auf Dauer zu sichern.
Es gibt international einen Aufschwung rechtsautoritärer Bewegungen – von
Wien über Paris bis Washington. Ist das die Antwort auf die Krise des
globalisierten Finanzkapitalismus?
Das ist komplizierter. Wir haben Rechtsbewegungen auch in Ländern, die von
der Krise 2008 überhaupt nicht betroffen waren, wie etwa Polen. In anderen
Ländern, in denen die Auswirkungen der Krise besonders ausgeprägt waren,
haben wir solche Bewegungen nicht, etwa in Kanada.
Die Ungleichheit ist in den USA in den letzten 30 Jahren gewachsen. Die
Managergehälter sind explodiert, das Versprechen, dass es Kinder besser
haben werden, für die Mittelschicht implodiert. Ohne das ist Trump nicht
begreifen . . .
Da bin ich skeptisch. In Österreich, einem der reichsten Länder Europas,
lässt sich der Zuspruch für die FPÖ nicht durch Verarmungsprozesse
erklären. Ebenso nicht in den Niederlanden, in Skandinavien. Und schon gar
nicht in Deutschland, wo die AfD in dem Augenblick stark wird, als es den
Deutschen so gut geht wie nie zuvor in der Geschichte.
Den USA aber nicht. Nach der Lehman-Krise 2008 haben dort Hunderttausende
Häuser und Renten verloren. Das hat das Vertrauen in das demokratische
System erschüttert . . .
Aber haben die Geschädigten der Finanz- und Immobilienkrise Trump gewählt
und an die Macht gebracht? Das Wahlverhalten hat sich 2016 nur minimal
geändert: Die Reichen und die Leute aus den ländlichen Regionen haben
Republikaner gewählt, die Ärmeren und die Großstädter Demokraten. Die
Kernbereiche sind gleich geblieben, mit kleinen, aber folgenreichen
Verschiebungen in den Swing States.
Was verbindet die rechtspopulistischen Bewegungen in Europa und den USA
miteinander?
Von Trump über Le Pen bis zu Wilders und Kaczyński streiten diese
Bewegungen gegen den kulturellen und wirtschaftlichen Liberalismus, gegen
Homosexuelle, gegen die Auflösung männlicher Dominanz, gegen supranationale
Strukturen wie die EU, gegen die Eliten. Sie tun das in unterschiedlicher
Intensität und Ausprägung. Allen gemeinsam ist vor allem die massive Abwehr
gegen Einwanderung aus den armen Regionen des Südens. Das ist der zentrale
Punkt aller rechten und rechtsradikalen Parteien, die wir jetzt
„rechtspopulistisch“ nennen.
Aber warum gerade jetzt deren internationaler Aufschwung?
Die wachsenden Migrationsströme sind ja Ausdruck des eskalierenden
Nord-Süd-Konflikts, der in gewisser Weise den Ost-West-Konflikt als
Signatur der Epoche abgelöst hat. Der globale Süden verarmt und versinkt in
Bürgerkriegen, der Norden schottet sich ab. Das Gefühl, von Migranten
bedroht zu werden, reicht bis weit in die Mitte der Gesellschaften. All das
kann man aus der Perspektive des Postkolonialismus betrachten. Das ist
produktiver, als immer nur nach Hitler zu suchen.
Ist das Anschwellen des Rechtspopulismus ein Echo auf das Verblassen der
Erinnerung an Zweiten Weltkrieg und Massenmorde?
Die USA haben im 20. Jahrhundert – seit Präsident Wilsons 14 Punkten von
1917, um genau zu sein – eine stark moralbasierte Politik betrieben. Das
Bewusstsein etwa, 1945 den „good war“ gewonnen zu haben, in dem das Gute
über das Böse triumphiert habe, war in den USA sehr stark verankert. Das
scheint sich nun zu ändern. Statt „Healing the world“ heißt es nun „Ame…
first.“ Das Bewusstsein, eine auch moralische Großmacht zu sein, ist
offenbar auf dem Rückzug. Ähnliches sehen wir in Europa in Bezug auf die
EU. Die Generation von Kohl und Mitterand hat die EU vor allem als
Friedensprojekt begriffen. Diese Grundidee verliert an Zustimmung, auch an
emotionaler Kraft. Stattdessen rückt in den Mittelpunkt: Was bringt uns die
EU und was kostet sie uns? Und „uns“ meint jeweils: dem Nationalstaat. Aber
noch mal: Das sind Tendenzen, und es gibt Gegenkräfte. Und wir wissen
nicht, wie es ausgeht.
12 Mar 2017
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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