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# taz.de -- Kolumne „Minority Report“: Wir armen Opfers!
> Das „Nein“ zu AKP-Auftritten in Deutschland ist das falsche „Nein“. Es
> könnte Erdoğan zusätzliche Stimmen beim Referendum bringen.
Bild: Deutschland so: Nö. Und Erdoğan so: Woop! Woop!
Neulich war ich für eine Lesung in Hamburg. Im Anschluss an die
Veranstaltung kam eine Besucherin auf mich zu, mit Fragezeichen in den
Augen: „Die Zustände in der Türkei, die Verhaftung von Deniz Yücel, das
bewegt mich alles so. Wir müssen doch was machen. Aber was? Man sollte
denen verbieten, hier aufzutreten, oder?“
Die Sorge, die sich hinter dieser Frage verbarg, wirkte sehr aufrichtig.
Und ich empfinde oft eine ähnliche Hilflosigkeit, weshalb ich die Frau am
liebsten umarmt hätte. Ein „Ja“ konnte ich mir aber nicht abringen. Weil
ich mir nichts aus Verboten mache. Und weil es normalerweise die türkische
Regierung ist, die allzu gerne und häufig Verbote ausspricht. Sollte man
den Verbietern nun auch etwas verbieten? Macht man sich zu*r Mittäter*in,
wenn man „denen“ eine Bühne gibt?
Allein diese Fragestellung ist nur ein weiteres Symptom einer zweifelhaften
Türkei-Politik der Bundesregierung. Die AKP durfte in Vergangenheit
unzählige Auftritte in Deutschlands Großveranstaltungshallen absolvieren.
Und Deniz Yücel ist nicht der erste Journalist, der in der Türkei hinter
Gittern landet. Nur besitzt Yücel neben der türkischen auch die deutsche
Staatsbürgerschaft und fällt damit ganz offenkundig in den
Verantwortungsbereich der Bundesregierung.
Doch: Wird Yücel frei gelassen, wenn man AKP-Ministern verbietet, in
Deutschland Wahlkampf zu machen? Wird sich die Situation der Pressefreiheit
und der Minderheiten in der Türkei verbessern, wenn man die unbequemeren
Gespräche auf Eis legt?
## „Sie grenzen Muslime aus“
Fakt ist: Im April steht ein Verfassungsreferendum an, dass alle Macht
endgültig beim Staatsoberhaupt konzentrieren wird – was nicht mal alle
AKPler gut finden. Für ein mehrheitliches „Ja“ ist Erdoğan auf die Stimmen
der Rechtsextremen und Nationalisten angewiesen. Die „Ja“-Kampagne lief
recht schleppend – bis jetzt.
Denn nun heißt es: „Deutschland lässt uns nicht rein. Sie grenzen uns aus,
weil wir Muslime sind. Sie sprechen von Meinungsfreiheit, aber schalten uns
stumm“. Keine Agentur der Welt hätte eine bessere Kampagne designen können,
um die Gunst der Nationalisten zu gewinnen. Potenzieller Slogan: „Wir armen
Opfers!“
Wenn die türkische Regierungspartei hierzulande Wahlkampf macht, bekommt
sie höchstens die Stimmen, die sie immer kriegt: von AKP-nahen
Auslandstürken, die ihr Angespartes in der Türkei anlegen. Wenn der AKP
allerdings untersagt wird, in Deutschland aufzutreten, könnten noch ein
paar Stimmen hinzukommen: Von jenen Deutschtürken, die sich sowieso schon
gesellschaftlich ausgegrenzt fühlen.
## Nichts Neues
Leider ist es nicht das erste Mal, dass deutsche Entscheidungen der AKP in
die Hände spielen. Angela Merkel war erst Anfang Februar bei Erodğan in
Ankara – wie so oft fiel ihr Türkei-Besuch ausgerechnet in den Zeitraum
eines Wahlkampfs.
Für ein „Nein“ zum Verfassungsreferendum hat sie sich dort nicht
ausgesprochen. Dabei wäre es das wichtigere „Nein“ gewesen, als das „Nei…
zu irgendwelchen Festhallen-Auftritten irgendwelcher Minister, die sowieso
nichts Neues zu sagen haben.
5 Mar 2017
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Recep Tayyip Erdoğan
Schwerpunkt Türkei
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