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# taz.de -- Kolumne German Angst: Hartz IV, die namenlose Hölle
> SPD-Kandidat Schulz will ALG I ein bisschen reformieren. Der wahre
> Skandal ist aber weiterhin das ALG II, auch „Hartz IV“ genannt.
Bild: Um ALG II drückt sich Schulz
In der vergangenen Woche stand überall: Martin Schulz wolle die Agenda 2010
„[1][zurückdrehen]“, an ihr „[2][rütteln]“, er pflege eine
„[3][Anti-Agenda-Rhetorik]“. Schulz aber hat nichts dergleichen gesagt.
Der Kanzlerkandidat will einen Bruchteil des Pakets reformieren. Also,
eventuell. Arbeitslose, die älter als 50 sind und zuvor beschäftigt waren,
sollen länger als 15 Monate ALG I beziehen. ALG I ist die Luxusvariante von
ALG II, genannt Hartz IV. Zwar werden EmpfängerInnen ähnlich gegängelt,
aber es gibt weniger Strafmaßnahmen und unter Umständen mehr Geld.
Um ALG II drückt sich Schulz. Er spricht nur implizit von jener namenlosen
Hölle, in die jene ALG-I-ler nicht abrutschen dürfen. Aber die heiligen
drei Säulen der Agenda 2010 treffen vor allem die ALG-II-Bezieher: 1. die
Gängelung von Arbeitslosen durch Kürzungen und Strafmaßnahmen, 2. die
Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und Senkung der Löhne und 3. die durch
das Schröder’sche Paradigma der Eigenverantwortung vorangetriebene
Entsolidarisierung. Wer arm ist, ist seither selbst schuld.
ALG II ist eine kafkaesk durchbürokratisierte Armutsmaschine.
Alleinstehenden stehen 409 Euro im Monat zu. Das Existenzminimum. Wegen
kleinster Fristverstöße wird es zusammengestrichen. Um 10 oder 30 Prozent,
um 60, dann auf null.
## 1,54 Euro monatlich für Bildung
Eine Millionen Sanktionen wurden 2015 ausgesprochen, etwa 140.000 Menschen
wurden im Schnitt 104 Euro pro Monat gekürzt. Bleiben 305. Wie soll man
davon leben, wenn schon der Regelsatz von 13 Euro pro Tag – minus
Stromkosten, Versicherung, Internet, Handy vielleicht 8 Euro – nicht
ausreicht? Für Bildung sind übrigens 1,54 Euro monatlich reserviert – so
viel zur sozial induzierten Bildungsungleichheit.
Zuletzt hat das Sozialgericht Gotha beim Bundesverfassungsgericht einen
Vorlagenbeschluss eingereicht, um prüfen zu lassen, ob die Sanktionen mit
dem Grundgesetz vereinbar sind. Wieder einmal. Aber was für eine Frage ist
das überhaupt: Darf der Staat den von ihm zur Deckung der Grundbedürfnisse
des Lebens festgesetzten Minimalbetrag kürzen?
Kein Wunder, dass gegen kein bestehendes Gesetz so häufig Widerstand
geleistet wird. Allein in Berlin gab es 2015 mehr als 20.000 Klagen. Das
macht 1.600 Verfahren im Monat. Der Skandal: Fast die Hälfte der Klagen ist
erfolgreich, die Sanktionen sind oft also bloße Schikane.
## Staatlich verordneter Ausschluss
Die hohe Zahl der Verfahren hat aber auch einen anderen Grund. Das
Jobcenter ist von Gerichtsgebühren befreit. Wozu also dringende Fälle, in
denen Familien nach einer Mieterhöhung die Wohnungslosigkeit droht oder
ein junger Arbeitsloser nach Versäumen eines Termins mit 130 Euro leben
muss, im Amt lösen, wenn das Gericht das übernehmen kann? Ein Teil der
Probleme hat sich nach monatelanger Wartezeit ohnehin erledigt – den einen
wurde der Strom abgestellt, andere arbeiten schwarz, schicken ihre Kinder
nicht auf Klassenfahrt oder werden wohnungslos.
Warum interessiert sich kaum jemand für diesen staatlich verordneten
Ausschluss? Über Hartz IV und Armut schweigt man lieber. Da ist Schulz
nicht der Einzige.
28 Feb 2017
## LINKS
[1] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/kritik-an-martin-s…
[2] https://www.welt.de/print/die_welt/article162245111/Schulz-ruettelt-an-der-…
[3] http://www.focus.de/politik/deutschland/fietz-am-freitag/fietz-am-freitag-s…
## AUTOREN
Sonja Vogel
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