# taz.de -- Energieversorgung für Arme: Die im Dunkeln sieht man nicht | |
> Die Zahl der Stromsperren wegen offener Rechnungen bleibt hoch. In der | |
> Opposition fand die SPD das schlimm, heute sieht sie kaum | |
> Handlungsbedarf. | |
Bild: Romantisch ist Kerzenschimmer nur, wenn er nicht einer Zwangslage geschul… | |
Berlin taz | Als Oppositionspartei hatte die SPD eine klare Haltung zur | |
„Energiearmut“: Um die besondere Belastung einkommensschwacher Haushalte | |
durch steigende Energiepreise und die damit oft verbundene Unterbrechung | |
der Strom- und Gasversorgung zu verhindern, sei ein „wirksames Konzept“ | |
nötig, schrieb die Arbeitsgruppe Verteilungsgerechtigkeit der | |
SPD-Bundestagsfraktion im Herbst 2012. Gefordert wurde unter anderem | |
„Entlastung beim Stromtarif“ durch eine günstige oder kostenlose Grundmenge | |
Strom und eine „Neuberechnung der Regelsätze“ für Hartz-IV-Empfänger. De… | |
sie erhalten für Strom deutlich weniger als die durchschnittlichen Kosten. | |
Als Regierungspartei, die das für Energiefragen zuständige | |
Bundeswirtschaftsministerium leitet, wollen die Sozialdemokraten von | |
Energiearmut hingegen nichts mehr wissen. „Für den Begriff ‚Energiearmut‘ | |
gibt es keine allgemein gültige Definition. Die Bundesregierung verwendet | |
den Begriff daher nicht“, schreibt SPD-Staatssekretär Florian Pronold in | |
der Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion, die der taz vorliegt. | |
Und auch beim Abstellen der Strom- oder Gasversorgung bei KundInnen, die | |
ihre Rechnungen nicht bezahlt haben, sieht das Wirtschaftsministerium | |
keinen Handlungsbedarf. Das Energie- und Sozialrecht biete „bereits heute | |
einen ausreichenden Rahmen, um soziale Härten bei Stromsperren zu | |
vermeiden“, schreibt Pronold. | |
Die Zahl der Sperrungen ist allerdings weiterhin hoch: Beim Strom wurde das | |
Abstellen im Jahr 2015 in 6,3 Millionen Fällen angedroht und in 331.000 | |
Fällen umgesetzt. Das ist etwas weniger als im Vorjahr – aber immer noch | |
deutlich mehr als etwa 2012, als die SPD dringenden Handlungsbedarf sah. | |
## Kein Interesse an den Mängeln | |
Der Strom darf vom Versorger abgestellt werden, wenn ein Kunde einen | |
Zahlungsrückstand von mehr als 100 Euro hat und diesen trotz angedrohter | |
Sperre innerhalb von vier Wochen nicht ausgleicht. Um dieses Risiko zu | |
verringern, wird ab Juli auch bei Sozialhilfeempfängern die Möglichkeit | |
bestehen, dass die Behörden ausstehende Zahlungen direkt an den | |
Stromversorger leisten; bei ALG-II-Empfängern ist das unter bestimmten | |
Bedingungen schon heute möglich. | |
Daneben verweist das Wirtschaftsministerium auf die Möglichkeit von | |
Energieberatung, die für einkommensschwache Haushalte kostenlos angeboten | |
wird. Weitergehende Änderungen – etwa ein Verbot von Strom- und Gassperren | |
im Winter, wie es in Frankreich gilt – lehnt die Regierung ab. Auch für | |
Untersuchungen zu den Auswirkungen von Strom- und Gassperren auf die | |
Gesundheit sieht Pronold „keinen Anlass“. | |
Die energiepolitische Sprecherin der Linksfraktion, Eva Bulling-Schröter, | |
übt an dieser Haltung scharfe Kritik. „Die Große Koalition verschließt die | |
Augen vor dem Kampf von Millionen von Menschen, am Ende des Monats ihre | |
Energierechnung bezahlen zu können“, sagte sie der taz. Deutschland müsse | |
Energiesperren aufgrund von Zahlungsunfähigkeit gesetzlich verbieten, | |
fordert Bulling-Schröter. „Es kann nicht sein, dass der Sozialstaat in | |
Deutschland hinter Ländern wie Großbritannien, Frankreich und Belgien | |
hinterherhinkt und sich statt vor die Bürgerinnen und Bürger vor die | |
Energiekonzerne stellt.“ | |
Ähnlich scharfe Töne gibt es übrigens auch noch aus der SPD zu hören. „Die | |
Zunahme sogenannter Stromsperren in den letzten Jahren sind alarmierende | |
Signale, die für eine sich ausbreitende Energiearmut in Deutschland | |
sprechen“, sagte Angelika Löber im letzten Sommer. „Es ist ein sozialer | |
Skandal, wenn einkommensschwache Haushalte Energierechnungen nicht mehr | |
bezahlen können.“ Löber ist verbraucherschutzpolitische Sprecherin der SPD | |
im Hessischen Landtag. Und dort sitzen die Sozialdemokraten noch immer in | |
der Opposition. | |
6 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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