# taz.de -- Populismus und Wissenschaft: Wissenschaft lebt von Weltoffenheit | |
> Für die Wissenschaft ist die Abschottungspolitik à la Trump wie ein Stich | |
> ins Herz. Die Folgen sind nicht absehbar. | |
Bild: Mitarbeiter der US-Umweltbehörde protestieren gegen den von Trump nomini… | |
Berlin taz | Der Populismus an der Macht bekommt der Wissenschaft nicht | |
gut. In den USA sind die Forscher in Aufruhr, besonders nach den von | |
Präsident Donald Trump verfügten Einreisebeschränkungen. In den | |
Universitäten und Labors formiert sich eine Oppositionsbewegung, die ihren | |
Protest im April in einem [1][„Science March“] nach Washington tragen will. | |
Auch in Deutschland wächst die Besorgnis über die Erfolge der | |
„Antiaufklärung“. Zugleich beginnt ein Nachdenken, dass sich Wissenschaft | |
in anderer Weise als bisher für die Gesellschaft öffnen muss. „Wissenschaft | |
muss für die Demokratie streiten“, fordert der Präsident der Deutschen | |
Forschungsgemeinschaft (DFG), Peter Strohschneider. | |
Viele antiwissenschaftliche Positionen Trumps wie die Leugnung des | |
menschengemachten Klimawandels, die im Wahlkampf um die Präsidentschaft | |
noch als übersteigerte Rhetorik aufgenommen wurden, kommen nun tatsächlich | |
in die politische Umsetzung. US-Klimaforscher haben begonnen, ihre Daten zu | |
sichern, bevor sie von den politischen Aufsichtsbehörden gesperrt werden. | |
Das Nachbarland Kanada registriert eine akademische Fluchtbewegung. An der | |
Universität Toronto erhöhte sich die Bewerberzahl von Studenten und | |
Forschern aus USA um 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Präsident der | |
Technischen Hochschule Lausanne in der Schweiz erhielt nach der Wahl Trumps | |
den Hilferuf eines New Yorker Kollegen: „Hast du einen Job für mich?“ | |
Inzwischen wollen die eidgenössischen Hochschulen nach Schweizer | |
Medienberichten den Brain Drain aktiv für sich nutzen. „Wir werden unser | |
Headhunting in den USA intensivieren“, stellte der Rektor der Uni Zürich, | |
Michael Hengartner, in Aussicht. | |
## Schöpfungsgeschichte statt Evolution | |
Vor allem mit der Besetzung von wissenschaftspolitischen Schaltstellen | |
durch konservative Republikaner treibt die Trump-Administration das Roll | |
back voran. Betroffen war davon unter anderem die Umweltschutzbehörde | |
Environmental Protection Agency (EPA) und in dieser Woche das | |
Bildungsministerium. In einer knappen Entscheidung wurde die Milliardärin | |
Betsy DeVos ins Amt gehoben. Sie gilt als Sympathisantin der | |
„Intelligent-Design“-Bewegung, die Darwins Evolutionstheorie ablehnt und in | |
den Schulen die Schöpfungsgeschichte der Bibel lehren will. | |
Den größten bisherigen Schock auch weit über die USA hinaus löste Trumps | |
Einreisebeschränkungen Ende Januar aus. Als einer der ersten deutschen | |
Wissenschaftler reagierte darauf der Direktor des Hasso-Plattner-Instituts | |
für Softwaretechnik (HPI) in Potsdam, Christoph Meinel. Anlass war, dass | |
eine langjährig in Deutschland forschende Doktorandin aus dem Iran nicht in | |
die USA einreisen und an dem jährlichen HPI-Stanford Design Thinking | |
Research Workshop teilnehmen durfte. | |
## Pauschale Diskriminierung | |
„Wir sind am HPI stolz auf unsere langjährige Zusammenarbeit mit der | |
Stanford University“, betonte Meinel. „Das Einreiseverbot für Bürger aus | |
sieben muslimischen Ländern in die USA ist ein großer Schlag gegen | |
internationale Forschungsprogramme und Kooperationen“, so der Informatiker. | |
Wissenschaft lebe von Weltoffenheit. In gleicher Weise kritisierte der | |
Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Horst Hippler, das Dekret. | |
Es stelle „eine pauschale Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer | |
Staats- und Religionszughörigkeit dar und verstößt damit gegen die | |
Grundwerte der internationalen Gemeinschaft“. Der Schaden für die | |
Wissenschaft sei „massiv“. | |
Die Allianz der großen deutschen Wissenschaftorganisationen formulierte | |
sogar einen gemeinsamen Protest. „Der durch das Dekret eingeschlagene Weg | |
der Abschottung hat derzeit noch unabsehbare, aber in jedem Fall | |
weitreichende Folgen über die Wissenschaftsnation USA hinaus“, heißt es | |
darin. Zu berücksichtigen sei, dass Wissenschaft auch einen Wert über sich | |
hinaus habe: „Gerade in Zeiten internationaler Krisen ist die Wissenschaft | |
ein wertvolles zwischenstaatliches Bindeglied, welches dringend erhalten | |
werden muss.“ | |
Inzwischen wurde das Dekret in den USA richterlich gestoppt. Aber auch in | |
Deutschland sind die Tore seitdem für gestrandete Wissenschaftler geöffnet. | |
Das Bundesland Baden-Württemberg erklärte am Dienstag seine Bereitschaft, | |
drei verfolgte Forscher aus dem Iran und Syrien aufzunehmen, die wegen des | |
US-Einreiseverbots und der folgenden Unsicherheiten nicht in die | |
Vereinigten Staaten einreisen konnten. Das Land werde die Wissenschaftler, | |
die auf der Flucht und in einer Notlage seien, an den Universitäten | |
Heidelberg, Stuttgart und Tübingen beschäftigen, teilte das | |
Wissenschaftsministerium in Stuttgart mit. | |
Auch die neue „Internationalisierungsstrategie“ der deutschen Wissenschaft, | |
die Bundesforschungsministerin Johanna Wanka in der vergangenen Woche | |
vorstellte, will Öffnung statt Abschottung. „Wir sehen mit Sorge die | |
Bedrohung von Wissenschaft in Teilen der Welt“, sagte die Politikerin vor | |
Journalisten. Über die Ursachen der grassierenden | |
Wissenschaftsfeindlichkeit machte sich der Chef der größten deutschen | |
Förderorganisation für Wissenschaftsprojekte DFG, Peter Strohschneider, in | |
seiner Neujahrsansprache in Berlin tief gehende Gedanken: „Es macht sich – | |
befeuert durch die ‚sozialen‘, tatsächlich aber oft ‚asozialen‘ Medien… | |
eine Vulgarisierung breit, die die liberale Gesellschaft selbst, ihren | |
gelassenen Pluralismus und ihre rationale Streitkultur gefährdet“, sagte | |
der in München lehrende Historiker. Das gefährde sowohl die Wissenschaft | |
als auch die Demokratie. | |
## Experten sind nicht mehr gefragt | |
Das Ansehen von Experten sei dramatisch gesunken. In einem Gespräch mit dem | |
Wissenschaftsjournalisten Rainer Korbmann, das in dieser Woche in | |
[2][seinem Blog] erschien, berichtet Strohschneider von der Situation in | |
Großbritannien. Dort wurde der britische Justizstaatssekretär Michael Gove | |
zwei Tage vor der Brexit-Abstimmung in einer Pressekonferenz gefragt, was | |
er dazu sage, dass der weit überwiegende Teil der britischen | |
Wirtschaftsexperten vom Brexit abrät. Seine Antwort war eine Gegenfrage: | |
„Was sagen Sie denn dazu, dass der weit überwiegende Teil der britischen | |
Gesellschaft von Experten die Nase gestrichen voll hat.“ | |
Diese Abwendung von wissenschaftlicher Expertise müsse das Forschungssystem | |
sehr beunruhigen, findet Strohschneider. Gerade weil Wissenschaft auf | |
„gesellschaftliches Vertrauen“ angewiesen sei. Dabei gehe es nicht nur um | |
eine andere, verständlichere Kommunikation von Wissenschaft. Vielmehr müsse | |
die Rolle von Wissenschaft in der modernen Gesellschaft wegen ihres | |
faktischen Machtzuwachses neu verortet werden. | |
„Wissenschaftliche Erkenntnis ermöglicht enorme private Machtansammlungen | |
auf unterschiedlichen Feldern“, sagt Strohschneider und nennt als Beispiele | |
digitale Algorithmik, Datenkapitalismus, synthetische Biologie und Genome | |
Editing. „Von demokratischer Politik können diese Ansammlungen allenfalls | |
teilweise noch kontrolliert werden.“ Es steht also auch die | |
„Demokratiefähigkeit von Technologien“ infrage, zitiert der DFG-Chef eine | |
Formulierung von Klaus Töpfer. In der Wissenschaft haben die Bemerkungen | |
eine neue Nachdenklichkeit ausgelöst. | |
## Die Wände werden dicker | |
Reinhard Hüttl, der vorgestern in Berlin als Präsident der Technikakademie | |
Acatech verabschiedet wurde, setzt auf die Funktion unabhängiger Medien. | |
Zwar sitze die Wissenschaft heute nicht mehr im elitären Elfenbeinturm. | |
„Doch die Wände neuer Echoräume werden dicker“, stellt der | |
Geowissenschaftler fest. Schon finde es ein Drittel der deutschen | |
Bevölkerung falsch, zu sehr der Wissenschaft zu vertrauen, weil die eigenen | |
Gefühle eine bessere Orientierung geben. Eine Arbeitsgruppe der | |
Wissenschaftsakademie werde demnächst Empfehlungen zu einem verbesserten | |
Verhältnis von „Wissenschaft, Öffentlichkeit, Medien“ vorstellen, kündigt | |
Hüttl ein. | |
Ein Vorschlag sieht vor, den unabhängigen Journalismus als Anti-Echokammer | |
stärker zu fördern. So könnte, empfiehlt Hüttl, „der Journalismus | |
öffentliche Fördermittel in Selbstverwaltung einsetzen, wie es die | |
Wissenschaft bereits tut“. | |
10 Feb 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.marchforscience.com/ | |
[2] https://wissenschaftkommuniziert.wordpress.com/2017/02/07/wir-haben-dramati… | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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