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# taz.de -- Forscher fürchten den Brexit: Der Knackpunkt ist die Reisefreiheit
> Britische Wissenschaftler klagen nach dem Brexit darüber, dass Kollegen
> auf dem Festland gemeinsame Anträge auf EU-Fördermittel ablehnen.
Bild: Englische Gelehrtenschmiede Cambridge: Der Nachwuchs vom Festland hat es …
Berlin reuters | Mit dem geplanten Austritt Großbritanniens aus der EU
zieht die Unsicherheit in viele Laboratorien Europas ein. „Der Brexit ist
ein Schock-Ereignis für die europäische Wissenschaft“, beschreibt der
Präsident der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG), Peter Strohschneider,
die Auswirkungen des geplanten Austritts Großbritanniens aus der EU. Denn
der Gemeinschaft britischer Wissenschaftler mit Kollegen aus anderen
EU-Ländern drohen nicht zu kittende Risse.
Grund ist die Förderung der EU, die für viele Universitäten und Institute
ein kaum verzichtbares finanzielles Standbein ist. Knapp 80 Milliarden Euro
hat Brüssel für vielversprechende Projekte unter dem Namen Horizon 2020 für
den Zeitraum 2014 bis 2020 bewilligt. Wenn aber die britischen Spezialisten
künftig keine EU-Bürger mehr sind, droht ihnen der Ausschluss aus dem Kreis
der Empfänger dieses Geldsegens. Bereits jetzt klagen britische Forscher
über eine schleichende Entfremdung zwischen ihnen und den Kollegen jenseits
des Kanals.
Der Knorpel- und Gelenkspezialist Ali Mobasheri von der Universität Surrey
berichtet, Forscher in Belgien und den Niederlanden hätten einen
gemeinsamen Antrag auf EU-Mittel für ein Forschungsprojekt zu
personalisierter Medizin abgelehnt, da britische Partner ein Risiko für die
Finanzierung der Laborarbeiten darstellten.
Für Mobasheri geht es nicht nur ums Geld. Bitter ist auch, dass die
niederländischen Kollegen über eine einzigartige Patientengruppe verfügen,
zu der Mobasheri und seine britischen Partner nun keinen Zugang mehr haben.
Über seine Kollegen in den Niederlanden und Belgien sagt er im
Forscher-Netzwerk TES: „Das sind Leute, die wir wirklich gut kennen,
respektieren und denen wir vertrauen. Es ist der Brexit, der einen Keil
zwischen uns getrieben hat.“
Die Erfahrungen von Mobasheri sind kein Einzelfall. Die Zeitung [1][The
Guardian] zitiert aus einer vertraulichen Umfrage der Russel-Gruppe der
britischen Elite-Universitäten wie Oxford oder Cambridge, nach der vielfach
Briten als Unsicherheitsfaktor bei den Förderanträgen empfunden werden.
## Brain-Drain befürchtet
Für die Forschung im Vereinigten Königreich geht es um viel. Großbritannien
ist der zweitgrößte Empfänger von EU-Forschungsgeldern. Allein 2013
überwies Brüssel 1,4 Milliarden Euro nach London. Rund zwölf Prozent aller
Koordinatoren für Projekte, die Horizon-2020-Mittel erhalten, stammen aus
Großbritannien. Und rund 16 Prozent der bislang von Horizon 2020
ausgeschütteten Gelder flossen in Forschungseinrichtungen auf der Insel.
Universitäts-Präsidenten fürchten nicht nur den Wegfall finanzieller
Mittel, sondern auch einen „Brain-Drain“.
Künftig könnten internationale Spitzenforscher einen Bogen um britische
Einrichtungen machen. „Wenn die Attraktivität des Vereinigten Königreichs
für Forscher unter einer Visumspflicht leidet, wird das einen enormen
Einfluss auf die Anziehungskraft für Forscher in der EU haben“, erklärt
Generalsekretär Kurt Deketelaere von Leru – einem Verband von 21
forschenden Universitäten in Europa, dem auch fünf britische Unis
angehören.
Derzeit stammen 27 Prozent der Hochschulmitarbeiter in Großbritannien aus
dem Ausland. Das könne sich dramatisch verändern, sagte Deketelaere dem
Deutschlandfunk. Auch beim wissenschaftlichen Nachwuchs könnten britischen
Universitäten harte Zeiten bevorstehen. Durch das EU-geförderte
Erasmus-Programm studieren pro Jahr in Großbritannien etwa 125.000
ausländische Studenten. Sie sorgen für einen Umsatz von 2,2 Milliarden
Pfund und sichern damit 19.000 Jobs auf der Insel. Knapp ein Viertel aller
Auslandssemester von deutschen Studenten werden in Großbritannien
realisiert.
## Auch deutsche Forscher betroffen
Der Brexit treibt aber nicht nur britischen Forschern die Schweißperlen auf
die Stirn. Durch die Vernetzung der wissenschaftlichen Welt stellt sich
auch für viele deutsche Forscher die bange Frage nach ihren Perspektiven.
Mit 5.200 Forschern an Universitäten stellt Deutschland die größte
internationale Gruppe im Königreich. In 42 Prozent aller
Horizon-2020-Projekte mit deutscher Beteiligung arbeiten auch britische
Kollegen.
Bundesforschungsministerin Johanna Wanka warnt deswegen in der „Deutschen
Welle“: „Wenn wir unsere britischen Partner verlieren sollten, wird dies
auch auf die deutsche Forschung enorme Auswirkungen haben.“
DFG-Präsident Strohschneider setzt darauf, dass sich die
Brexit-Verhandlungen in die Länge ziehen: „Wir gehen daher momentan davon
aus, dass Großbritannien sich bis zum Ende von Horizon 2020 an diesem
EU-Forschungsrahmenprogramm beteiligen kann.“ Trotzdem scheint der Austritt
Großbritanniens aus der EU unumkehrbar, weswegen viele Wissenschaftler ihre
Hoffnungen auf ein Assoziierungsabkommen setzen. Gegenwärtig hat Horizon
derartige Abkommen mit mehreren Ländern, etwa Norwegen oder der Türkei.
Diese Nicht-EU-Mitglieder haben die Möglichkeit, gegen eine finanzielle
Beteiligung an dem EU-Forschungsprogramm teilzunehmen.
## Das Beispiel Schweiz
Grundlage der Beteiligung an Horizon 2020 ist neben einem finanziellen
Beitrag die Wahrung der Reisefreiheit. Es ist jedoch erklärtes Ziel der
neuen britischen Regierung, den Zuzug von Ausländern zu begrenzen.
Wie sich derartige Einschränkungen auf die Forschungsverbünde auswirken
können, zeigt das Beispiel Schweiz. Die Eidgenossen waren
Horizon-2020-Partner, bis sie beschlossen, den Zuzug von Kroaten zu
drosseln. In der Folge flog die Schweiz aus dem Programm. Bis Februar 2017
hat die Schweiz Zeit, ihre Beschlüsse rückgängig zu machen, sonst verliert
das Land endgültig seinen Assozierungsstatus.
Wie der in seinem Amt bestätigte britische Wissenschaftsminister Jo Johnson
seine neue Aufgabe angehen will, ist noch unklar. Nach seiner Bestätigung
im Amt twitterte er nur: „Vor uns wichtige Arbeit: Führerschaft des
Vereinigten Königreichs in Forschung und Innovation sichern.“ Johnson ist
der Bruder von Boris Johnson, dem Kopf der Brexit-Kampagne und neuem
Außenminister. Im Gegensatz zu seinem Bruder war Jo Johnson erklärter
Gegner des Brexit.
21 Jul 2016
## LINKS
[1] https://www.theguardian.com/uk
## AUTOREN
Hans-Edzard Busemann
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